An Toni Kroos scheiden sich bis heute die Geister. Dabei ist der 32-Jährige einer der erfolgreichsten deutschen Fussballer der Geschichte: Weltmeister, vierfacher Champions-League-Sieger, dreimal spanischer Meister, dreimal deutscher Meister.
Viel mehr geht eigentlich nicht und doch ist Kroos drauf und dran, noch einen draufzusetzen. Im Final im Pariser Stade de France zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool (21.00 Uhr, live auf 3+) kann er den Henkelpott zum fünften Mal gewinnen – womit er den Rekord von Cristiano Ronaldo egalisieren würde.
Eine unglaubliche Bilanz und Titelausbeute, und doch hat man das Gefühl, dass die Kritik, das Genörgel aus Deutschland zwar leiser wird, aber nie ganz verstummt – während in Spanien Kroos' Image komplett anders ist.
In der spanischen Hauptstadt ist Toni Kroos seit acht Jahren unumstrittener Stammspieler bei Real Madrid, dem schillernden spanischen Rekordmeister und Champions-League-Rekordsieger. Hier ist Kroos Taktgeber, Regisseur, Stratege, Virtuose im Herzen des königlichen Spiels und damit einer der grossen Erfolgsgaranten der vier Champions-League-Siege Reals zwischen 2014 und 2018.
In Spanien für sein Spiel respektiert, in Deutschland eher belächelt (Stichwort «Querpass-Toni») – doch die Meinungen aus der Heimat dürften ihm mittlerweile sicherlich herzlich egal sein. Seine Titelsammlung spricht ja für sich selbst.
Dass er nun den fünften Champions-League-Titel gewinnen kann – er ist auch schon der erste deutsche Spieler, der die Königsklasse viermal gewann – bedeutet Kroos persönlich aktuell eher weniger, wie er im Gespräch mit Per Mertesacker beim ZDF in dieser Woche vor dem Endspiel verriet: «Vier Champions-League-Titel ist schon gut, da schaue ich irgendwann mal auf die Karriere zurück, aber so lange sie läuft, versuche ich jedes Jahr einen dazuzuholen», so Kroos bescheiden.
Er legt den Fokus lieber auf das Team und nicht auf sich selbst – ganz seinem Spielstil entsprechend. «Mir geht es weniger darum, der wievielte Titel es für mich persönlich ist. Es geht darum, dass wir uns als Mannschaft für diese Saison belohnen», sagte Kroos in seinem Podcast «Einfach mal luppen».
Belohnen für eine völlig verrückte Königsklassen-Saison, in der Real Madrid nicht einmal, nicht zweimal, sondern dreimal in Folge im Achtelfinale, Viertelfinale und Halbfinale eigentlich fast ausgeschieden war. Gegen PSG, Chelsea und Manchester City lag Real Madrid zwischenzeitlich jeweils zurück, schaffte aber immer wieder das nicht mehr für möglich gehaltene Comeback. Und steht nun im Endspiel.
🪑 Esa silla ya es parte de nuestra historia.#APorLa14 | #UCL pic.twitter.com/ooh1WanvdI
— Real Madrid C.F. (@realmadrid) May 27, 2022
«Gefühlt waren wir ein paar Mal schon raus», bekennt Kroos im ZDF-Gespräch: «Das ging im Achtelfinale gegen Paris los, hat sich übers Viertelfinale und Halbfinale gezogen. Da gab es Momente, als auch wir auf dem Platz uns vom Gefühl her wunderten: ‹Okay kriegt man's hin?› Vor allem die Leute aussen hatten öfters mal Momente, wo man sagt: ‹Jetzt ist aber das Ende der Fahnenstange erreicht.›»
Letzten Endes hat Real Madrid sich aber trotzdem durchgesetzt – durch Siegeswille und unbändigen Glauben an sich selbst. Kroos' Königliche haben mehrfach das beinahe Unmögliche geschafft. Jetzt soll im Endspiel in Paris auch Königsklassen-Titel Nummer 14 folgen, um sich in dieser verrückten CL-Saison für die legendären Aufholjagden zu belohnen.
«Wenn man sieht, wie wir da hingekommen sind, ist es so, dass wir mehrere Male alles reinhauen mussten, um es schaffen zu können oder überhaupt eine Chance dazu zu haben. Jetzt sind wir da – klar, jetzt wollen wir das Ding logischerweise auch holen», sagt Kroos über das Grande Finale in Paris.
Den Madrilenen steht aber der vierte grosse Brocken bevor, nun wartet Jürgen Klopps FC Liverpool im Stade de France auf Kroos und sein Team. Die nächste Mammutaufgabe für «Los Blancos», die erneut 100 Prozent und mehr geben müssen, wenn sie am Ende als Sieger vom Platz gehen wollen.
«Im Champions-League-Final haust du so oder so alles rein. Auch in dem Bewusstsein, das wissen wir alle, dass wir gegen eine der besten Mannschaften spielen, die es im Moment gibt», erklärt Kroos über den Gegner aus England, der auf Revanche gegen Real aus ist. Schliesslich siegte 2017/18 im CL-Finale in Kiew Real Madrid gegen die Reds mit 3:1.
«Ich schätze Liverpool nochmal stärker ein als 2018. Sie haben ihre besten Spieler behalten, haben einige richtig gute dazu bekommen, vorne gibt es ein, zwei Neuzugänge (Diogo Jota und Luis Diaz, Anm. d. Red.). Sie haben mit Thiago jemanden, der ihr Spiel prägt, stehen hinten richtig gut», befindet Kroos und lobt Klopps Liverpool, das in der Premier League hinter Manchester City nur ganz knapp Vizemeister wurde.
«Von der gesamten Saison, von der Konstanz her ist es vielleicht die beste Mannschaft Europas. Aber es ist ein Spiel. Wir sind letztes Jahr gegen sie in der K.o.-Runde im Viertelfinale weitergekommen. Von daher sehe ich das ganz klar Fifty-Fifty.»
Ein Fifty-Fifty-Spiel auf Augenhöhe, das möglicherweise erneut richtig spannend und dramatisch wird und am Ende durch Wille, unbändiges Selbstvertrauen und eine Sag-niemals-nie-Mentalität entschieden werden könnte. Vorteil Real Madrid also, das in dieser Saison mehrfach solch verrückte Spiele auf dem Weg nach Paris gewonnen hat, zweimal sogar in nervenzehrenden Verlängerungen.
«Wir wissen ja alle aus Erfahrung, es kann alles passieren in einem Finale, in dem sich zwei solche Mannschaften gegenüberstehen», sagt Kroos nur. Wohl wissend, dass er Samstagnacht seinen fünften Champions-League-Titel gewinnen kann. Ein Triumph, der seinen Status noch weiter zementieren würde – wohlgemerkt den Status, den Kroos in Spanien und nicht in Deutschland geniesst.
Eins vertragen die Bayern noch weniger als wenn Spieler sie verlassen, dass Spieler die sie loswerden wollten eine unglaubliche Karriere hinlegen.