Was für eine Dramatik! Manchester City sieht im Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen Real Madrid lange wie der sichere Sieger aus, da schafft Real in den letzten Minuten quasi aus dem Nichts die Wende. Dank eines Doppelpacks von Joker Rodrygo in der 90. und 91. Minute retten sich die Königlichen in die Verlängerung, wo Karim Benzema mit einem verwandelten Penalty zum 3:1-Sieg das Schicksal der «Citizens» endgültig besiegelt.
Es ist ein Spiel, das unzählige Geschichten schreibt. Drei Dinge sind uns aber besonders aufgefallen.
ManCity macht gegen Real lange alles richtig und verteidigt die knappe Führung aus dem Hinspiel unaufgeregt und souverän: Das Team von Pep Guardiola steht hinten kompakt, lässt kaum Torchancen zu und setzt in der Offensive immer wieder Nadelstiche.
Und just als Real nach einer kleinen Druckphase seine Abwehr etwas entblösst, schlagen die «Citizens» eiskalt zu: Nach einer geschickten Spielverlagerung durch den eingewechselten Ilkay Gündogan legt Bernardo Silva den Ball in der 73. Minute quer zu Riyad Mahrez, der den Ball aus 16 Metern ins kurze Eck hämmert.
Das Spiel scheint gelaufen. Vor allem, weil Real in den folgenden Minuten kaum etwas Konstruktives zustande bringt und hinten offen wie ein Scheunentor steht. Doch ManCity verpasst es gleich mehrfach, den «Königlichen» den Todesstoss zu versetzen. Erst packt Real-Keeper Thibaut Courtois nach einem Schuss von João Cancelo eine Monsterparade aus, dann muss Ferland Mendy für seinen schon geschlagenen Keeper auf der Linie retten und schliesslich rettet Courtois in extremis mit dem Fuss gegen den eingewechselten Jack Grealish.
«Das ist wie in den alten Bond-Filmen, wenn der Schurke ewig labert, statt Bond zu töten», beschreibt ein Twitter-User die Szenerie vor den Schlussminuten trefflich. Und so kommt es, wie es eben kommen muss: Bond überlebt und erlegt den Schurken in der Schlussszene. Ein Doppelpack von Joker Rodrygo in 89 Sekunden kurz vor Ende der regulären Spielzeit sowie ein verwandelter Benzema-Penalty in der Verlängerung lassen Real doch noch jubeln.
Das ist wie in den alten Bond-Filmen, wenn den Schurke ewig labert, statt Bond zu töten. #rmamci
— Malte Asmus (@MalteAsmus) May 4, 2022
«Das war Wahnsinn. Wir waren in der gesamten K.o-Phase schon 26 Mal raus und haben uns 26 Mal zurückgekämpft», freut sich Real-Mittelfeldmotor Toni Kroos nach dem Schlusspfiff. «Es ist manchmal schwer zu erklären, auch für mich. Wir sind uns einig, dass es heute am Ende nicht gut aussah.» Real scheint wie Bond einfach «keine Zeit zu sterben» zu haben.
Wenig verwunderlich wird am Ende dieses verrückten Halbfinals Real-Keeper Thibaut Courtois zum «Man of the Match» gewählt. Mit seinen Paraden macht er die königliche «Remontada» («Aufholjagd») erst möglich. Es hätte aber auch ein paar weitere Anwärter für die Auszeichnung gegeben. Zur Überraschung vieler – mit Ausnahme von Karim Benzema – aber nicht unbedingt die üblichen Verdächtigen.
Weltfussballer Luka Modric und seine Mittelfeld-Kollegen Toni Kroos und Casemiro stehen zum Zeitpunkt der Real-Wende schon nicht mehr auf dem Platz, weshalb andere in die Bresche springen müssen. Allen voran natürlich Doppeltorschütze Rodrygo: Der 21-jährige Brasilianer gilt eigentlich nicht als Liebling von Trainer Carlo Ancelotti und muss sich meist mit der einer Nebenrolle begnügen. Zwar kam er in dieser Saison schon zu 42 Einsätzen, über 90 Minuten durfte er aber nur zweimal ran.
Neben Rodrygo spielen sich gegen ManCity noch weitere aus der zweiten Garde in den Fokus. Rechtsverteidiger Dani Carvajal zum Beispiel, der nicht nur das 2:1 vorbereitet, sondern auch mit 89 Ballaktionen, 9 Balleroberungen und 3 Torschussvorlagen glänzt. Oder Innenverteidiger Nacho, der den verletzten David Alaba ersetzt und hinten kompromisslos fast alles abräumt. Und dann ist da auch noch Eduardo Camavinga. Das französische Supertalent bringt als Joker dank seinem Tempo und seiner Zweikampfstärke frischen Schwung ins Real-Mittelfeld und leitet das 1:1 sowie die Szene, die zum finalbringenden Penalty in der Verlängerung führt, ein.
Über allen thront aber einmal mehr Karim Benzema. Der Real-Torjäger treibt sein Team nach dem Rückstand unentwegt an, liefert den Assist zum 1:1-Ausgleich und holt in der Verlängerung schliesslich den Penalty raus, den er wenig später souverän zum 3:1 verwandelt. In 43 Saisonspielen hat der 34-jährige Franzose nun schon 43 Mal getroffen, in der Champions League steht er bei 15 Treffern in 11 Partien. Zwei Tore fehlen zum Rekord von Cristiano Ronaldo aus der Saison 2013/14.
Pep Guardiola gilt als bester Trainer der Gegenwart. Doch in wichtigen Spielen hat sich der ManCity-Coach zuletzt immer wieder vercoacht. Im Champions-League-Finale 2021 verzichtete der 51-jährige Katalane auf einen echten Sechser und Linksverteidiger João Cancelo. Ausgerechnet dessen Vertreter Oleksandr Zinchenko liess Chelseas Kai Havertz vor dem Siegtor dann entwischen.
In der Saison davor erlitt Guardiola im Viertelfinal gegen Lyon mit einer Dreierkette Schiffbruch. 2019 opferte er gegen Tottenham mit Kevin De Bruyne seinen besten Mann und kriegte am Ende die Quittung dafür. 2018 war ebenfalls in der Runde der letzten Acht Endstation – auch, weil Guardiola gegen Liverpool Ilkay Gündogan völlig überraschend links spielen liess und damit die Statik des City-Spiels aus den Fugen geriet.
Und dieses Mal? Eigentlich hat Guardiola alles richtig gemacht und doch ist er mit ManCity auf der Jagd nach dem grossen Ziel einmal mehr krachend gescheitert. Vielleicht war der «Citizens»-Coach auch deshalb am Boden zerstört: «Es ist grausam. Wir waren nah dran, aber konnten es nicht zu Ende bringen», erklärte Guardiola nach dem Spiel. «Wir werden Zeit brauchen, um das zu verarbeiten.»
Aber woran liegt es nun, dass Guardiola die Champions League seit seinem zweiten Triumph mit dem FC Barcelona im Jahr 2011 partout nicht mehr gewinnen kann? Die spanische «Marca» glaubt, dass ein Fluch auf Guardiola lastet. Ausgesprochen soll diesen Dimitri Seluk, der einstige Berater von Yaya Touré, haben. 2018 setzte Guardiola den Ivorer im letzten Saisonspiel von ManCity auf die Bank und provozierte so dessen Abschied.
«Damit hat er ganz Afrika gegen sich aufgehetzt, viele afrikanische Fans haben sich von Manchester City abgewandt», sagte Seluk damals und führte an: «Ich bin mir sicher, dass viele afrikanische Schamanen Guardiola in Zukunft nicht erlauben werden, die Champions League zu gewinnen. Das wird für Guardiola ein afrikanischer Fluch sein. Das Leben wird zeigen, ob ich Recht habe oder nicht.»
Man City 1-2 Lyon pic.twitter.com/56gqqb1XNz
— Dimitry Seluk (@dmitriseluk) September 19, 2018
Ob Fluch oder nicht – bislang hatte Seluk recht. Es scheint, als könne Guardiola die Königsklasse einfach nicht mehr gewinnen. Selbst wenn er für einmal fast alles richtig macht.