Mario Basler zählte einst zu den besten Fussballern Deutschlands. Jedenfalls erzählt man sich das so. In verrauchten Eckkneipen, der Chefetage des FC Bayern und in der Generation meines Vaters. Eckbälle, erinnert sich mein Vater, hätte Basler direkt ins Tor geflankt, «wie ein Gott». Drei deutsche Meisterschaften, zwei DFB-Pokalsiege und sechs Auszeichnungen zum Tor des Monats kommen nicht zufällig zustande.
Ich, ein Kind der Jahrtausendwende, habe Mario Basler nie Fussball spielen sehen. Als er den Höhepunkt seiner Karriere erreichte, war ich noch nicht geboren. Dennoch weiss ich, wer Basler ist, vielmehr aber kenne ich seinen Ruf, der ihm vorauseilt.
Herr Basler, in Vorbereitung auf unser Interview habe ich eine Freundin gefragt, was ihr als Erstes in den Sinn kommt, wenn sie den Namen Mario Basler hört. Können Sie erahnen, was ihre Antwort war?
Mario Basler: Ich habe keine Idee, sagen Sie.
Sie hat mich gefragt, wer Mario Basler ist.
Wirklich?
Kratzt das an Ihrem Ego?
Auf keinen Fall. Wissen Sie, wie schlimm das wäre, wenn jeder mich kennen würde? Dann hätte ich gar keine Ruhe mehr.
In ihrem neuen Buch «Das Leben nach den besten Jahren» schreiben Sie, dass Sie wollen, dass Menschen sich an Ihre Tore, Vorlagen und Dribblings erinnern. Aber in Trash-TV-Formaten sprechen Sie ständig vom Saufen und Rauchen und klopfen Sprüche.
Das gehört nun mal dazu. Im Fussball war das früher gang und gäbe. Das ist heute noch so. Sie glauben wohl nicht, dass die Sportler nicht mal mehr ein Bier oder ein Gläschen Wein trinken.
Warum wollen Sie ihr Bad-Boy-Image unbedingt aufrechterhalten?
Ich will überhaupt nix. Das Ding ist, dass Ihr als Journalisten immer wieder danach fragt. Es weiss jeder, dass ich seit 43 Jahren rauche. Ich bin es auch leid, aber wenn ich gefragt werde, sage ich was dazu.
Trotzdem treten Sie in einer TV-Show auf, in der Sie vor die Herausforderung gestellt werden, fünf Stunden nicht zu rauchen.
Ja, und ich habe es geschafft. Was sagen Sie dazu?
Warum machen Sie da freiwillig mit?
Weil ich dafür bezahlt wurde. Aber ganz ehrlich: Ich weiss nicht, was diese Frage mit dem Buch zu tun hat.
Ein Kapitel in Ihrem Buch lautet: «Wenn dein Leben dir eine Zitrone gibt... brauchst du erstmal eine Kippe». Ist es nicht legitim, danach zu fragen?
Sie regen sich doch gerade darüber auf, dass ich so viel übers Rauchen spreche. Aber Sie fragen mich doch auch.
Ich möchte wissen, welches Bild Sie von sich zeichnen möchten.
Ich war nie derjenige, der seine Zigarette versteckt hat, im Gegensatz zu vielen anderen Fussballern. Ich finde es nicht schlimm, dass ich immer wieder darauf angesprochen werde, aber Sie stellen es so dar, als wenn ich das immer wieder in den Vordergrund stelle. Ich tue es nur, weil Sie fragen. Es gibt keinen Journalisten, der nicht gefragt hat, wie viel ich am Tag rauche.
Warum sind Sie so besessen von Aufmerksamkeit?
Bin ich nicht.
Über Ihren ersten Bühnenauftritt schreiben Sie: «Kaum bekam ich die ersten Lacher, den ersten Applaus, regte sich der Hunger in mir.»
Das ist doch normal, wenn man 15 Jahre lang als Fussballprofi im Mittelpunkt stand, Woche für Woche vor der Kamera, Woche für Woche Interviews geben musste. Vor 50'000 Menschen Fussball gespielt hat, alle haben dir zugejubelt. Das ist etwas Schönes. Es ist immer schöner, bejubelt, als ausgepfiffen zu werden. Aber auch das ist zur Genüge vorgekommen.
«Den echten Basler», schreiben Sie, finde man nur am Rasen. Haben Sie eine innere Leere nach Ihrem Karriereende verspürt?
Ich hatte das grosse Glück, dass ich als Trainer arbeiten durfte. Und dann trat ich als Fussballexperte bei Sport1 auf. Der Übergang fiel mir also nicht so schwer.
Warum wollten Sie dem Fussball nicht als Trainer erhalten bleiben?
Dass ich als Mario Basler keine grosse Chance in Deutschland bekomme, als Fussballtrainer zu arbeiten, ist doch naheliegend. Ich werde immer wieder damit konfrontiert, wie ich früher als Profi gelebt habe. Man denkt noch immer, ich habe die gleiche Einstellung wie früher: wenig Schlaf, Zigaretten, Bierchen trinken.
Warum haben Sie aufgehört?
Ich habe es probiert, aber irgendwann hat es nicht mehr so viel Spass gemacht.
Warum?
Früher hat man Trainer entlassen, wenn sie gegen den Abstieg gespielt haben. Heute ist es egal, ob du Zweiter, Dritter, Vierter bist. Wenn dein Gesicht nicht mehr passt, dann fliegst du raus. Als Trainer bist du nur noch eine Marionette, die durch den Zoo geführt wird. Und darauf habe ich einfach keine Lust gehabt.
Das war der einzige Grund?
Ich habe auch keine Lust mehr gehabt, mit Spielern zusammenzuarbeiten, die sich von morgens bis abends zukleistern, sich tätowieren lassen und dann zwei Tage nicht trainieren können, weil sie ihren Arm verbunden haben. Deswegen habe ich mich irgendwann entschieden, kein Trainer mehr zu sein. Weil mich aber auch keiner mehr gewollt hat. Das ist auch Teil der Wahrheit.
Warum hadern Sie so mit dem Zeitgeist?
Ich verstehe halt viele Dinge nicht. Ich bin vom alten Schlag, werde dieses Jahr 57 Jahre alt. Vieles ist für mich unverständlich. Warum wird man auf einmal verpönt, wenn man Fleisch isst? Seit mehreren hundert Jahren wird Fleisch gegessen. Vegetarier sollen doch ihr Grünzeug essen, wie sie wollen. Sollen doch aber uns Fleischesser in Ruhe lassen.
Herr Basler, ich bin in einer anderen Generation aufgewachsen. Es fällt mir schwer zu verstehen, warum Sie mit gesellschaftlichen Veränderungen hadern.
Ich gehe mit der Zeit, gegen Veränderungen habe ich nichts. Aber ich möchte mir keine Vorschriften mehr machen lassen. Ich mach' das, was ich möchte. Es ist nicht alles schlecht, was auch früher schön und gut war.
Fällt es Ihnen schwer, anzuerkennen, dass Sie älter geworden sind?
Das gehört zum Leben dazu. Keiner bleibt ewig jung, ausser man geht zum Schönheitschirurgen. Ich habe mir nichts spritzen lassen, gehe auch ohne Make-up in Fernseh-Sendungen. Mit dem Altern habe ich kein Problem. Ich fühle mich aber auch nicht wie 56, sondern eher wie 40.
Was andere über Sie denken, sei Ihnen egal. Aber es muss doch Worte geben, die Sie verletzen.
Sie werden lachen, aber mich persönlich kann man nicht verletzen. Man kann mich nur verletzen, wenn man meine Familie angreift.
Es gibt wirklich nichts, was Ihnen nahe geht?
Ich stehe seit mehr als 30 Jahren in der Öffentlichkeit. Sie glauben gar nicht, was ich da alles erfahren habe. Wie oft ich beschimpft wurde, wie oft ich kritisiert wurde, wie oft man mich beleidigt hat.
Und das hat Sie noch nie gestört?
Es ist mir wirklich, das können Sie mir glauben, völlig wurscht. Als Person der Öffentlichkeit musst du unheimlich viel über dich ergehen lassen. Das gehört dazu. Ich habe das so viele Jahre mitgemacht. Ich wurde von Journalisten beschimpft, von Fans bespuckt. Was soll mich jetzt noch aufregen?
Wie würden Sie reagieren, wenn ein Spieler auf Sie zugeht und sagt, dass eine Aussage, die Sie getätigt haben, ihn verletzt hat?
Wenn es jemanden verletzt hätte, würde ich mich entschuldigen. Ich habe bestimmt schon viele Menschen angegriffen, das gehört aber auch ein wenig zum Expertentum dazu. Aber bis jetzt hat noch keiner bei mir angerufen oder hat sich beschwert, gesagt, dass eine Entschuldigung angebracht wäre. Ich wurde in meiner Karriere bestimmt härter angegriffen als jene Spieler, die ich kritisiert habe. Die Spieler sollen nicht so Weicheier sein. Die sollen mal Männer sein.
Was verstehen Sie unter Männlichkeit?
Dass man nicht wegen jeder Kleinigkeit rumheult. Die Fussballer heute, die beschweren sich, weil sie zu viele Spiele haben. Die hatten wir auch. Die verdienen aber auch das Achtfache von dem, was wir verdient haben.
Fussballer heutzutage sind weinerlich?
Was ich nicht mag, ist, dass so viel gejammert wird, dass so viele verweichlicht sind. Das heisst nicht, dass Männer nicht weinen dürfen.
Wann haben Sie zuletzt geweint?
Vor kurzem.
Wollen Sie sagen, warum?
Mein Enkel wurde an den Mandeln operiert, Polypen. Nach der OP habe ich ein Bild von ihm gesehen, mit Schlauch im Mund. Da sind mir die Tränen gekommen. Ich kann auch weinen.
Welchen Mario Basler sehen Sie heute, wenn Sie in den Spiegel blicken?
Ich sehe genau den Mario Basler, den ich vor 40 Jahren auch schon gesehen habe. Ich sage nach wie vor meine Meinung, die vielleicht nicht jedem passt, die auch nicht immer richtig sein muss. Aber ich bin der geblieben, der ich schon immer war. Ich gehe mit Jogginganzug ins Restaurant, weil ich das liebe. Ich bin mit mir selbst zufrieden und das wird auch in den nächsten Jahren so bleiben.