Bei dieser Serie ist schon nach den ersten Minuten offensichtlich, dass sie nur grossartig werden kann. Selbst als Fussballfan mit Jahrgang 1997 kennt man die Gesichter, die sich in den Anfangssequenzen der ZDF-Doku «FC Hollywood – der FC Bayern und die verrückten 90er» vor die Kamera setzen, alle. Sei es als Trainer wie Jürgen Klinsmann und Markus Babbel, als Experten wie Mehmet Scholl und Dietmar Hamann oder als beides wie Lothar Matthäus. Und so weiss man auch, dass es den Macherinnen und Machern der Serie an Zündstoff sicher nicht gemangelt hat.
Der FC Bayern ist im Sommer 1995 titellos und verfügt über eine Ansammlung hervorragender Einzelspieler, die aber kein richtiges Team bilden. Das wissen die Protagonisten heute alle – und doch verfolgten sie gemeinsam ein grosses Ziel: den Gewinn der Champions League. Erstmals seit 1976 wollte München wieder den Thron des europäischen Fussballs erklimmen. Innenverteidiger Babbel, der nach seiner Karriere Trainer bei mehreren Bundesligisten sowie beim FC Luzern war und mittlerweile als Experte tätig ist, sagt heute zu dem Vorhaben: «Das konnte eigentlich nur scheitern.»
Und bei diesem Scheitern kann der Zuschauer den Bayern über fünf Folgen und insgesamt gut drei Stunden hautnah zuschauen. Dabei wird schnell klar, dass die meisten Probleme des Klubs in dieser Zeit hausgemacht waren. Einige Spieler verachteten sich gegenseitig, wie zum Beispiel Matthäus und Klinsmann, deren öffentlicher Streit in der Serie erneut beleuchtet wird. Dieser ging so weit, dass Matthäus Klinsmann zu einem öffentlichen TV-Duell herausforderte und der Stürmer München vor allem aufgrund der Uneinigkeiten im Team 1997 nach nur zwei Jahren wieder verliess.
Noch heute sind die beiden Streithähne unterschiedlicher Meinung über die damalige Zeit. Auch dies ist eine Stärke der Serie: Viele der Stars des «FC Hollywood» kommen zu Wort und reflektieren das Geschehen, ihr Handeln und die Fehler von sich selbst und dem Verein. Die meisten hätten aus heutiger Sicht wohl anders gehandelt als in ihrer Zeit als Profi – aber dann wäre die Serie nicht halb so unterhaltsam.
Es ist rückblickend fast nicht zu glauben, wie offen die Spieler mit den Medien umgingen. Die Journalistinnen und Journalisten hatten die Telefonnummern der Spieler und sprachen täglich mit mehreren von ihnen. Vom Verein kontrollierte niemand die Interviews und die Profis sprachen einfach drauflos. «Bunte»-Chefin Patricia Riekel berichtet, dass die Redaktion der Klatsch-Zeitschrift jeweils Lothar Matthäus angerufen habe, wenn es eine Lücke im Heft zu füllen gab. Irgendeine Geschichte lieferte er immer.
Aber auch die anderen Spieler versorgten den Boulevard mit ausreichend Nahrung. Den Absturz von Teenieschwarm Mehmet Scholl, der im Teamhotel randalierte und auf Mitspieler losging, verfolgten «Bild» und Co. ebenso mit Freude wie den Maulwurf-Skandal oder die Liebe einiger Spieler zum Münchner Nachtleben, die dann gar dazu führte, dass der FC Bayern seine Spieler von Privatdetektiven beschatten liess.
Dass plötzlich alles an die Öffentlichkeit drang, hatte der Klub ebenfalls selbst zu verantworten. Manager Uli Hoeness hatte in seiner Angst, niemand könnte sich für den FC Bayern interessieren, die Flöhe ins Bett geholt. Trotz des WM-Titels 1990 wurden die Stadien in Deutschland lange nicht gut besucht, Hoeness erkannte aber das Vermarktungspotenzial. Seine Devise: Das Publikum muss fünf Tage lang unterhalten werden, damit es am Wochenende ins Stadion kommt.
Hoeness war ein Vorreiter des modernen 24/7-Unterhaltungsapparats, zu dem Fussballklubs geworden sind. Plötzlich schauten bei den Trainings täglich 5000 Leute zu, Hoeness wollte den Andrang aber grösser und noch grösser machen – und begründete an der Säbener Strasse so den Zirkus «FC Hollywood».
Dass einem Team, bei dem zu viele Egos als grösstes Problem diagnostiziert worden sind, auch noch Mario Basler und Stefan Effenberg hinzugefügt wurden, darf im Nachhinein als zweifelhaft angesehen werden. Der Unterhaltungsmaschinerie schadete es in jedem Fall nicht. Ihre Eskapaden wurden aufgrund ihrer grossen fussballerischen Klasse gewissermassen geduldet – heute würde das Duo Basler-Effenberg wohl bei keinem Topklub mehr einen Platz haben. Aber es war eine andere Zeit im Fussball, jene der sogenannten «echten Typen». Giovanni Trapattoni verzweifelte jedoch an den vielen Egos, auch seine legendäre Wutrede fiel in diese Zeit.
Trotz all dieser Nebenschauplätze gelangen den Münchnern zwischen 1995 und 1999 zwei Meisterschaften sowie je ein Triumph im DFB-Pokal und dem UEFA-Cup, oder wie es Kaiser Franz Beckenbauer sagte: «Cup der Verlierer». Und beinahe hätten die von Trainer Ottmar Hitzfeld gezähmten Bayern zum Ende des Jahrtausends noch einen riesigen Erfolg gefeiert. Doch nach einem filmwürdigen Champions-League-Final gegen Manchester United – «FC Hollywood» eben – standen die Münchner trotz Führung bis zur 93. Minute mit leeren Händen da.
Diese «Mutter aller Niederlagen» gilt heute als Ursprung der grossen Erfolge, die nach der Jahrtausendwende folgen sollten. «Bunte»-Chefin Riekel bezeichnet die 90er-Jahre als «Grundstock für die Faszination des FC Bayern» und für Basler ist klar: «Das Nonplusultra ist der FC Bayern.» Auch aus diesem Grund lohnt sich die Serie.
Wahrscheinlich hätten noch deutlich mehr Skandale gezeigt werden können, schliesslich wurde Goalie-Titan Oliver Kahn kaum thematisiert, was angesichts seiner Eskapaden eigentlich schade ist. Die ZDF-Doku «FC Hollywood – der FC Bayern und die verrückten 90er» ist aber auch so unterhaltsam genug. Wer wissen will, was die «leere Flasche» Thomas Strunz zu Trapattonis legendärer Wutrede heute sagt, wie Mario Basler über sich als Fussballer denkt, wer der Maulwurf wirklich war oder woher der Name «FC Hollywood» überhaupt kommt, kann sich die Serie in der ZDF-Mediathek oder am Freitagabend ab 22.30 Uhr sowie in der Nacht auf Sonntag ab 0.25 Uhr im Free-TV ansehen.