Mit Sexspielzeug wurde Alan Frei reich. Doch seine Gesundheit litt unter dem stressigen Leben. Also verkaufte er Amorana und suchte sich ein neues Ziel – und fand es im Wunsch, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Anfangs wurde er dafür belächelt. Heute ist der 42-jährige Aargauer seinem Traum näher, als er es selbst für möglich gehalten hätte.
Wie oft in Ihrem Leben wurden Sie schon für verrückt erklärt?
Alan Frei: (Lacht.) Ich glaube, die Leute merken langsam, dass ich es ernst meine. Aber am Anfang, wenn man eine neue Idee hat, wird man schon belächelt. Als ich eine Firma gründete, um Sextoys zu verkaufen, kam niemand und sagte: «Das ist aber eine coole Idee.»
Wie sind Sie eigentlich auf die Olympia-Idee gekommen?
Als ich Ende 2022 meine Firma verkaufte, bin ich zu mehr Geld gekommen, als ich es mir erträumt hätte. Und plötzlich hatte ich viel Zeit und viele Mittel. Dazu aber auch ein Problem: Ich lebte extrem ungesund. Ich wog über 100 Kilogramm bei einer Körpergrösse von 1,72 Meter. Also ging ich zum Arzt und dieser erklärte mir, dass ich auf einem schlechten Weg sei. Da wurde mir klar: «Es wäre ja doof, wenn ich jetzt sterbe, jetzt, wo ich Zeit und Geld habe in meinem Leben.»
Und dann?
Ich sagte zu meiner Freundin: «Weisst du was? Ich will versuchen, mich für die Olympischen Spiele 2026 in Mailand zu qualifizieren.»
Andere würden einfach mal mit Joggen beginnen.
Ich denke sehr gerne gross. Darum habe ich ein Anwaltsbüro beauftragt, die Reglemente aller Olympia-Sportarten durchzugehen, um herauszufinden, wo ich die grössten Chancen hätte. Die Antwort fiel allerdings ernüchternd aus. Die Anwälte sagten: «Herr Frei, Sie haben überhaupt keine Chance. Weder im Winter noch im Sommer.»
Und trotzdem versuchten Sie es.
Meine Mutter ist Filipina. Da sagte ich mir, dass ich ja für die Philippinen starten könnte. Das veränderte die Ausgangslage. Die Antwort hiess jetzt: «Im Langlauf ist es für Sie vielleicht möglich.»
Nicht im Curling?
Nein. Also fuhr ich ins Engadin, mietete Langlaufski und ging auf die Loipe. Aber ich musste sehr schnell feststellen: Ich bin absolut talentbefreit (lacht). Doch dann ist plötzlich ein Wunder passiert.
Ein Wunder?
Im März 2023 habe ich ein E-Mail erhalten. Es meldete sich ein Christian Haller, er habe 26 Jahre Erfahrung im Curling und wollte wissen, ob wir telefonieren könnten. Also rief ich ihn an, und er sagte: «Es gibt da aktuell eine Konstellation, die wird es so nie mehr geben.»
Und wie sah diese aus?
Christian erzählte mir, dass er schweizerisch-philippinischer Doppelbürger sei und dass im Emmental die Brüder Marc und Enrico Pfister leben, die für die Schweiz schon an Weltmeisterschaften spielten, und ebenfalls Halb-Filipinos seien. Die drei hatten eine Whatsapp-Gruppe, die sie «Team Philippines» nannten. Und jedes Mal, wenn sie in der Schweiz einen Curler entdeckten, der asiatisch aussah, fragten sie ihn, ob er Filipino sei. Aber sie wurden nicht fündig.
Wie kamen sie auf Sie?
Sie haben von meinem Plan, an Olympia teilzunehmen, gelesen und fragten: «Machst du mit?» Und ich dachte mir: Warum nicht, schlimmer als beim Langlaufen kann es ja wohl nicht werden.
Und wie war es?
Wie vermutlich viele, die schon mal Curling geschaut haben, dachte ich: «So schwierig kann das ja nicht sein.» Doch dann stieg ich aufs Eis und habe realisiert: «Oh, shit, das wird viel härter als erwartet.»
Sie gaben aber nicht auf.
Als Erstes rief ich den Schweizer Curling-Verband an und erklärte, dass mein Name Alan Frei sei und ich als Filipino Curling lernen wolle. Sie sagten mir, dass es in Baden eine Halle gebe. Und ich dachte: «Perfekt, ich habe 25 Jahre lang in Baden gewohnt.» Aber von der Halle hatte ich nie gehört. Also rief ich im Bareggcenter an und sagte: «Ich bin Alan Frei, und ich will für die Philippinen an die Olympischen Spiele. Ich suche einen Trainer.» Sie empfahlen mir Marcel Käufeler.
Den ehemaligen Aargauer Proficurler, der 2019 EM-Silber gewann?
Genau. Also habe ich Marcel angerufen. Aber er sagte mir, er führe ein Geschäft und habe darum keine Zeit, mir das Curling beizubringen.
Aber so leicht lassen Sie sich nicht abwimmeln.
(Lacht.) Ich sagte zu ihm: «Komm, wir machen folgenden Deal: Du verrechnest mir deinen Stundenansatz und zeigst mir alles, was ich über Curling wissen muss, und ich erzähle dir im Gegenzug alles, was ich über das Unternehmertum weiss.» Am nächsten Tag rief er an und sagte, er sei dabei. Und seither trainieren wir fast täglich zusammen.
Und wie reagierte er auf Ihr Niveau, als Sie sich erstmals trafen?
Er hat schnell gemerkt, dass ich es ernst meine. Ich trainiere aber auch jeden Tag richtig, richtig hart. Inzwischen habe ich 27 Kilo abgenommen. Trotzdem kam mein Vorhaben nicht überall gut an.
Wie äusserte sich die Kritik?
Ich bekam anonyme Hassmails. Einige fragten: «Was soll der Scheiss?» Andere bezeichneten mich als «Lachnummer». Ein Stück weit konnte ich die Reaktionen verstehen. Da kommt ein Millionär, der nie Curling gespielt hat, und plötzlich ist er überall in den Medien. Das Einzige, was ich tun konnte, war, mich richtig reinzuhängen und zu beweisen, dass ich es ernst meine. Und die Nörgler verstummen mehr und mehr. Und wissen Sie, was das Schönste am Ganzen ist?
Nein.
Egal, wie viel Aufmerksamkeit ich bekomme, egal, was ich erzähle, am Ende des Tages zählt einzig der Erfolg. Und den kann ich nicht kaufen. Gleiches gilt für die Olympiateilnahme. Ich muss selbst trainieren und ich muss selbst mit meinen Teamkollegen auf das Eis. Dort entscheidet es sich. Und inzwischen sind wir weiter, als ich es mir jemals erträumt hätte: Wir spielen im nächsten Jahr an zwei Turnieren um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2026.
Trotz der Kritik: Die Aufmerksamkeit geniessen Sie auch.
Ich spreche sehr gerne mit Leuten, das ist mein Naturell. Man kann sagen, dass ich egozentrisch sei, aber ich bin nicht egoistisch. Ich muss mich nicht in den Vordergrund drängen. Mich freut es sehr, dass jetzt auch meine Teamkollegen immer stärker in den Fokus rücken.
Was war sportlich bis jetzt die grösste Herausforderung?
Das grosse Leistungsgefälle zwischen mir und meinen Teamkollegen.
Haben Sie auch mal gezweifelt?
Es gab Momente, als ich mich fragte, was ich hier eigentlich mache?
Welche Momente waren das?
Zwei Dinge fallen mir ein. Erstens: Wenn ich ganz allein in der Halle bin. Im Sommer trainieren viele Topteams in Baden. Aber im Winter bin ich oft allein. Darum ist der Mittwochabend das Highlight für mich. Weil dann die Rentner kommen und spielen. Dann ist etwas los.
Und das zweite?
Im Baregg findet einmal im Jahr das Baden Masters statt. Dort nehmen viele internationale Topteams teil. Und weil das Turnier in meiner Heimhalle stattfindet, dachte ich mir, dass wir da mitmachen müssen, schliesslich repräsentieren wir die Philippinen. Also machten wir mit. Aber dann stürzte ich beim Wischen und räumte alle Steine ab. Und alle sahen es. Alles Profis, die vielleicht vor 15 Jahren zum letzten Mal hingefallen sind. Und du liegst da und denkst nur: «Scheisse!» (Lacht.)
Und wie waren die Reaktionen?
Bei Stürzen fallen die Leute oft auf den Hinterkopf. Das ist gefährlich. Es gibt unter Curlern darum eine Regel: Zuerst schaut man, ob es dem Gestürzten gut geht. Dann macht man Witze. Es gibt Videos, wie ich alle Steine abräume. Die wurden in der Folge natürlich fleissig geteilt.
Wie sehr wird Ihr Weg auf den Philippinen wahrgenommen?
Als unsere Geschichte bekannt wurde, wurden wir vom philippinischen Botschafter nach Bern eingeladen. Und auch die Zeitungen auf den Philippinen berichten regelmässig über uns.
Wie viel Filipino steckt in Ihnen?
Dazu gibt es eine lustige Geschichte: Ich sass gerade mit dem Team in einem Restaurant, da lief plötzlich die philippinische Nationalhymne. Aber keiner von uns hat sie erkannt. Da sagten wir uns: «Die müssen wir lernen.» Beim Fussball stört es mich, wenn nicht gesungen wird.
Wie realistisch ist es, dass Sie die philippinische Nationalhymne auch im Februar 2026 an Olympischen Spielen in Mailand singen werden?
Als ich das Projekt angefangen habe, haben wir gesagt, dass wir etwa ein halbes, vielleicht ein Prozent Chance haben. Nun haben wir aber das erste von drei entscheidenden Turnieren gewonnen. Jetzt müssen wir uns noch im pankontinentalen Pre-Qualifier und dann in der Qualifikation durchsetzen. Dass wir die Pre-Qualifikation überstehen, scheint möglich. Aber dann wird es schwierig, dann trifft man auf Topteams. Ich würde die Chancen derzeit auf 20 Prozent beziffern.
Was braucht es, damit es noch mehr wird?
Meine Teamkollegen haben nun ebenfalls begonnen, wieder mehr zu trainieren, obwohl sie weiter voll arbeitstätig sind. Man muss ehrlich sein: An den Turnieren, die wir jetzt spielen werden, bin ich Stand jetzt von allen Mannschaften der Schlechteste. Ich spiele die ersten beiden Steine des Teams. Meine Schussgenauigkeit liegt derzeit bei gut 65 Prozent. Ich muss aber auf 85 bis 90 Prozent kommen. Aber fast noch entscheidender ist, dass ich mich beim Wischen verbessere. Ich kann derzeit erst auf eine Seite wischen. Das ist ein sehr grosser Nachteil.
Leben Sie derzeit eigentlich als Curling-Profi?
Nicht, wenn es mein Niveau betrifft (lacht). Aber mein Leben sieht aus wie das eines Profi-Spielers. Ich bin jeden Morgen im Gym, und ich habe meine Ernährung angepasst. Ich schaue mir über Mittag Curling-Spiele als Taktikschulung an, und dann gehe ich in die Curlinghalle.
Ihr Projekt begleitet ein Filmer. Sieht man Sie dereinst auf Netflix?
Das wäre das Ziel. Wir haben jetzt einen ersten Trailer gemacht. Und wir werden die erste Episode selbst mal herausbringen. Vielleicht macht ja ein Schweizer Medienhaus mit. Oder ich rufe bei Netflix an.