Es ist Freitagnachmittag in Bern. Patrick Rahmen sitzt im Bauch des Stadions Wankdorf. Rahmen ist der neue Trainer von Meister YB. Er muss dafür sorgen, dass YB neben dem Gewinnen von Titeln und Erreichen der Champions League endlich auch wieder attraktiven Fussball zeigt. Wie viel Gefahr steckt in dieser Herausforderung?
Mögen Sie Provokationen?
PATRICK RAHMEN: Kommt darauf an, je nach Situation (lacht).
Also: Wer wird Vize-Meister hinter YB?
Wir konzentrieren uns ganz auf uns selbst. Das Ziel ist klar, die Titelverteidigung. Wer da oben auch mitmischen soll und wird, das ist nicht so relevant für mich.
Sechs der letzten sieben Meistertitel hat YB gewonnen. Zuletzt kam aber der Eindruck auf, dass die Leistungen kaum einmal mehr genügten. Es wurde viel gemäkelt. Auch Siege alleine reichten nicht mehr. Wie nehmen Sie das wahr?
Das ist ein Teil unserer Aufgaben. Diesen müssen wir uns stellen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Gewinnen alleine nicht immer reicht. Es ist wichtig, dass sich die Fans damit identifizieren können, wie eine Mannschaft auftritt, wie sie wirkt, welche Energie sie versprüht. Und es ist immer die Frage: Wie definiert man attraktiv?
Wie definieren Sie es?
Wenn eine Mannschaft füreinander einsteht, wenn Feuer, Leidenschaft und Intensität drin sind, dann bin ich sicher, schauen das die Leute als attraktiv an. Es geht gar nicht ums Schönspielen. Die Herausforderung ist, dass in den Momenten der vielen Erfolge der Hunger und das Feuer bleiben. Darauf lege ich extrem viel Wert. Auf der anderen Seite gab es ein Transparent der YB-Fans zum Abschluss der letzten Saison mit der Aufschrift: «Nichts ist selbstverständlich». Das zeigt mir, dass ein Bewusstsein da ist, dass man für alles hart arbeiten muss. Es gibt genügend Beispiele, dass das Team mit den besten Individualisten trotzdem nur eine durchschnittliche Saison spielt.
Wie ist es für Sie, dass von Tag 1 an Ihres Wirkens bei YB die Frage im Raum steht: Wie toll ist der Rahmen-Fussball wirklich?
Seit ich Cheftrainer in Biel geworden bin, hat sich aus meiner Sicht immer wieder gezeigt: Meine Mannschaften haben einen Plan nach vorne, sie schiessen viele Tore. Das liegt auch in der YB-DNA – und für mich ist klar, dass das unbedingt so bleiben muss. Es geht auch nicht darum, dass ich unbedingt etwas einbringen will, was nicht der Mannschaft entspricht. Punktuell etwas variabler werden, das schon. Auch klar ist: Du kannst nicht immer gleichzeitig zu null spielen und ganz viele Tore schiessen. Eine offensivere Ausrichtung hat auch zur Folge, dass es ab und an ein Gegentor mehr gibt. Aber mir ist auch klar, dass ein Defensivfundament entscheidend ist, um die Spiele zu gewinnen.
Der Satz von Sportchef Steve von Bergen sagt eigentlich alles: «Ich mag es nicht, zu sagen: Wir verteidigen den Titel. Wir greifen den nächsten Titel an.»
So ist es. Wobei das «wir» entscheidend ist. Wenn alles auf der individuellen Klasse aufgebaut ist, dann kommt es nicht gut über eine Saison. Die EM hat das auch gezeigt. Die Teams, die performt haben, hatten einen ausgeprägten Teamspirit. Andere Topnationen sind nicht auf ihr Level gekommen, weil sie sich zu stark auf die Individualität verlassen haben.
Dass Spanien im Final England besiegt hat, ist also eine gute Message für den Fussball …
Ja, hundertprozentig. Diese Mannschaft hatte für alles einen Plan. In allen Zonen der Offensive. Die Spanier konnten hinten rausspielen. Sie konnten umschalten. Sie konnten einen tief stehenden Gegner bespielen. Gingen vorne voll drauf. Aber es gab auch Momente, wo sie selbst tief standen. Und vor allem haben sie als Mannschaft funktioniert.
Die letzten Trainer, die Winterthur verlassen haben, wurden nicht glücklich. Alex Frei nicht. Bruno Berner nicht. Warum bleibt Patrick Rahmen dasselbe Schicksal erspart?
Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich denke an meine Ausgangslage, die wir hier haben. Warum soll das eine mit dem anderen etwas zu tun haben? Für mich ist YB der Verein, der zuletzt zurecht oben stand. Natürlich weiss ich, was es bedeutet, YB-Trainer zu sein. Es ist eine grosse Erwartungshaltung, es ist ein gewisser Druck da – aber ich freue mich auf die Ausgangslage. Meine Erlebnisse in der Vergangenheit bestärken mich in der Meinung, dass ich mich auf diese Saison freuen kann. In Basel, früher auch in Hamburg habe ich es ja schon erlebt, wie es ist, in Grossklubs zu arbeiten. Ich gehe ohne Selbstzweifel an die Aufgabe heran.
Wie viel Zeit blieb Ihnen zwischen Winterthur und YB, um die Batterien aufzuladen?
Es war schon sehr kurz, aber das ist okay. Ich war ein paar Tage im Tessin. Und ein paar Tage von zu Hause aus mit dem Bike unterwegs, um mir einige Gedanken zu machen. Die Kinder hatten Schule. Schliesslich habe ich zwei EM-Spiele der Schweiz live vor Ort gesehen, gegen Ungarn und Deutschland.
Welche Erkenntnisse haben Sie mitgenommen?
Ich habe alles aufgesogen. Die ganze Euphorie im Land und an den Spielen vor Ort. Die Stimmung. Was man aus Schweizer Sicht sicher mitnehmen kann: Wie weit es einen bringt, wenn man füreinander einsteht. Dieser ausgeprägte Teamspirit war auch auf dem Rasen zu sehen. Das ist etwas, das meine Mannschaften bisher auch ausgezeichnet hat. Diesen Fokus will ich auch bei YB legen.
Ist YB die Chance Ihres Lebens?
Das ist etwas zu hoch gegriffen. Es ist ein gewisser Lohn für meine letzten Jahre. YB ist auch deswegen auf mich zugekommen, weil sie honorieren, was sie zuletzt sahen - mit allen Facetten. Ich selbst hatte null Zweifel, als YB auf mich zukam.
Hat sich FCB-Präsident David Degen einmal entschuldigt bei Ihnen für den Rauswurf beim FCB?
David muss sich für nichts bei mir entschuldigen. Er ist verantwortlich für den Verein und trifft Entscheidungen, die er in diesem Moment für richtig hält. Zudem hat er ja schon mehrfach erwähnt, dass er heute nicht mehr so handeln würde. Für mich ist das alles passé; mich interessiert die Zukunft, und die ist bei den Young Boys in Bern.
Wie hat sich die Super League aus Ihrer Sicht entwickelt in den letzten Jahren?
Der Schweizer Fussball wird immer ein bisschen schlechter gemacht als er aus meiner Sicht ist. Man hat immer das Gefühl, an anderen Orten sei alles viel besser. Ich schaue mir auch international viele Spiele an, und wenn ich dann vergleiche, dann ist es manchmal auch einfach so, dass ein grösseres Stadion und mehr Zuschauende einen anderen Eindruck vermitteln – man hat dann schnell das Gefühl, es sei alles attraktiver. Aber wer den Kern des Spiels auseinandernimmt, merkt: Der Unterschied ist nicht mehr ganz so gross.
Dann braucht sich der Schweizer Fussball nicht allzu klein zu machen?
Der Schweizer Fussball hat sich so entwickelt, dass er für junge Spieler eine tolle Plattform ist. Da stelle ich eine super Entwicklung fest. Wenn man schaut, wie viele Spieler aus der Liga heraus in die grossen Ligen zu grossen Vereinen gewechselt sind, Transfererlöse beschert haben und selbst gute Karrieren gemacht haben - dann kann nicht alles verkehrt sein. Wir haben dazu stabile Zuschauerzahlen.
Ist es ein bisschen viel Drama manchmal?
Für mich gibt es ein bisschen viele Nörgler, die im Wohlstand, in dem wir leben, oft das Negative sehen. Ich sehe das anders. Aber man kann es nicht allen recht machen. Schauen wir auf die internationalen Wettbewerbe. YB und Servette haben eine gute Falle gemacht. Auch Lugano. Basel war in der vorletzten Saison im Halbfinal der Conference League. Wenn alles verkehrt wäre, könnten wir auch nicht mithalten.
Wie sehr ist die Champions League schon in Ihren Gedanken präsent?
Natürlich wissen wir, dass die Champions League nicht planbar ist – aber sie ist unser grosser Traum. Die Hürde wird hoch, aber wir wollen sie überspringen. Noch kennen wir den Gegner in den Playoffs von Ende August nicht, herausfordernd und emotional wird es aber sowieso.
Wen erwarten Sie als grössten Herausforderer in der Meisterschaft?
Zuletzt haben Servette und Lugano zwei gute Saisons gespielt, sehr stabil. Und hatten stets wenig Wechsel, auch jetzt wieder. Ich rechne damit, dass sie auch wieder eine gute Rolle spielen. Basel hat sich seit der Zeit von Fabio Celestini stabilisiert, man kann damit rechnen, dass sie auch wieder eine bessere Saison spielen. Und dann gibt es in der Regel ein Überraschungsteam. (aargauerzeitung.ch)