Ein amerikanisches Märchen. Die Rams opferten ihre Zukunft, in dem sie höchste Draft-Rechte für die nächsten Jahre investierten, um starke, routinierte Spieler nach Los Angeles zu holen. Mit dem einzigen Ziel, diesen Super Bowl im eigenen, rund fünf Milliarden Dollar teuren SoFi-Stadium zu gewinnen – und das im ersten Jahr, in welchem in diesem Komplex vor Zuschauern gespielt werden kann.
Die Besitzer investierten mehr als ein Dutzend Draft-Picks der ersten Runden für die nächsten Spieler-Drafts, um Jalen Ramsey (Oktober 2019), Quarterback Matthew Stafford, Von Miller und Odell Beckham Jr. (beide im November 2021) und andere nach Los Angeles zu holen.
Die Rams nahmen Sean McVay als Headcoach unter Vertrag, als dieser gerade mal 30 war, und sie hielten 2018 nach einer desaströsen Saison mit nur vier Siegen an ihm fest. McVay wurde mit 36 der jüngste Headcoach, der mit seinem Team die Super Bowl gewann.
Die Rams setzten für diese Saison alles auf eine Karte – und gewannen alles. Die Lohnkosten der Rams übertrafen diese Saison die erlaubte Obergrenze der NFL um 14 Millionen Dollar, was viel zusätzlichen Strafzoll (Luxury tax) kostet und es verunmöglicht, das Team mit vielen auslaufenden Verträgen beisammen zu halten.
Warum tut ein Team das? Warum geht jemand dieses immense Risiko ein? Denn die nahe Zukunft der L.A. Rams erscheint jetzt nicht mehr sehr erfolgversprechend.
Die Rams taten es, weil Stan Kroenke (74), ihr Besitzer, gleichzeitig auch der Besitzer der Colorado Avalanche (NHL), der Denver Nuggets (NBA), der Colorado Mammoth (US Lacrosse-Liga) und der Colorado Rapids (Major League Soccer), es für nötig erhielt. Kroenke war sich sicher, dass es einen Meistertitel braucht, um in L.A., der Stadt, die nur die Dodgers (Baseball) und die Lakers (Basketball) und Sieger liebt, Fuss zu fassen und eine (immer noch überschaubare) Fan-Gemeinschaft aufzubauen.
Zum Hollywood-Märchen der Rams passt aber auch, dass in dem Moment, als Los Angeles die Super Bowl gegen Cincinnati zu verlieren drohte, die eigenen Stars das Ruder herumrissen. Den entscheidenden Touchdown-Pass (und praktisch alle wichtigen Spielzüge im letzten Drive der Rams, der sechs Minuten vor Schluss beim Stand von 16:20 ganz hinten begann) fing Cooper Kupp, den die Rams vor fünf Jahren drafteten, aus der Luft. Und Verteidiger Aaron Donald, der in den Schlusssekunden den letzten Anlauf der Bengals auf eine Wende stoppte, verpflichteten die Rams vor acht Jahren.
Überhaupt: Cooper Kupp! Noch mehr als Quarterback Matt Stafford erwies sich der 28-jährige Wide Receiver als ganz grosse Figur.
In der zweiten Halbzeit lastete der gesamte Druck des Siegen-müssens auf seinen Schultern, denn der andere Star-Passempfänger, Odell Beckham Jr., schied ohne gegnerische Einwirkung schon vor der Pause mit einer Knieverletzung aus. Kupp machte die Verantwortung nichts aus. «Was immer sie von mir verlangten oder wünschten, versuchte ich so gut wie möglich zu tun», so Kupp am Ende bescheiden.
Dabei ist Bescheidenheit im Fall von Cooper Kupp fehl am Platz. Er fing diese Saison von allen Spielern in der NFL die meisten Pässe (145) über die meisten Yards (1947) und skorte die meisten Touchdowns (16). Wenn einer in den drei wichtigsten Statistiken obenaus schwingt, sprechen die Amerikaner von der «Triple Crown». Kupp wurde zum besten Offensivspieler der Liga gewählt. Er krönte die Saison mit dem MVP-Award an der Super Bowl. Nur ein einziger anderer Spieler, Jerry Rice, schaffte das alles auch. Aber Kupp holte all diese Bestmarken in einer einzigen Saison.
Wie geht es für die Los Angeles Rams nach dem Happy-end in der Heim-Super-Bowl weiter? Sie werden Schlüsselspieler verlieren, sie werden Spieler mit auslaufenden Verträgen ziehen lassen müssen, und sie werden sich über den alljährlichen Spieler-Draft in den nächsten zwei, drei Jahren kaum entscheidend verbessern können.
Aber die Kerngruppe um Stafford, Kupp und die Verteidiger Aaron Donald und Jalen Ramsey bleibt zusammen. Ausserdem sind die Rams bereit, weiter viele Moneten zu investieren, denn – und das sagt Geschäftsführer Kevin Demoff – «um in Los Angeles neben den Dodgers und den Lakers im Gespräch zu bleiben, brauchst du eine grossartige Saison nach der anderen und ein grossartiges Jahrzehnt nach dem anderen».
Es gibt Teams mit besseren Perspektiven als die L.A. Rams wie etwa die Kansas City Chiefs oder Buffalo Bills. Aber es gibt nicht viele Teams mit mehr Geld. (ram/sda)