Zwei Schritte nach rechts, Hände hoch, zwei Schritte nach links, Hände hoch – dieses Bewegungsschema wiederholt die junge Frau immer wieder. Ohne Pause. Stundenlang.
In Deutschland würde das wohl als eine Art besonderes «Workout» durchgehen. Auf den Rängen des olympischen Skistadions in Zhanjiakou rund 200 Kilometer nördlich von Peking ist es dagegen Standard. Zumindest für einige junge Menschen in weiss-blauen Skianzügen. Ihre Mission: Dem Publikum den Takt vorgeben, damit alles möglichst synchron aussieht. Synchron gut gelaunt.
Einige Hundert Menschen sind an diesem Samstag beim Skispringen der Damen von der Normalschanze dabei. Sie sind gut verteilt auf den Rängen, sodass die Arena besser gefüllt aussieht, als sie es in Wirklichkeit ist.
Die Stimmung ist untypisch für einen solchen Wettbewerb. Freudig hin und her wippend schwenken die Zuschauerinnen und Zuschauer kleine blaue Fähnchen. Durchgehend. Fast ohne Pause – und ohne Bezug zum Geschehen auf der Schanze. Kein «Ziiieeeh», kein «Ohhh», kein «Neeeiiin».
Dann naht der grosse Showdown: Katharina Althaus kann im allerletzten Sprung Gold perfekt machen. Sie landet fast genau auf der eingeblendeten Linie, die die dazu nötige Weite anzeigt.
Die Stimmung in einem europäischen Skisprungstadion wäre spätestens jetzt förmlich explodiert. Und im «National Ski Jumping Center» von Zhanjiakou? Geht es weiter, als ob nichts gewesen wäre. Das Publikum schwenkt seine Minifähnchen stoisch weiter – ohne übermässige emotionale Regungen.
Man möchte den Menschen auf den Rängen die Frage zurufen: Warum reagiert ihr so? Seht ihr nicht, was hier gerade passiert? Doch Gespräche mit dem Publikum sind vom Veranstalter nicht vorgesehen. Wichtiger sind offenbar nur die Fernsehbilder von einem gefüllten Stadion und guter Stimmung.
Doch woher kommt dieses Publikum überhaupt? Erst Mitte Januar hatte die chinesische Regierung den Vorverkauf der Tickets gestoppt, aufgrund der komplizierten Pandemielage. Ausländische Besucher wurden wegen der Corona-Situation bereits mehrere Monate zuvor verboten.
Ausschliesslich Angehörige der «olympischen Blase», in der Sportler, Offizielle und auch Journalisten komplett von der Aussenwelt abgeschottet sind, sollten die Spiele verfolgen dürfen.
Pünktlich zur Eröffnungsfeier Anfang Februar wurden dann doch 150'000 Zuschauer ausserhalb dieser «Bubble» zugelassen. «An jedem Austragungsort wird die Hälfte der Zuschauer innerhalb des geschlossenen Kreises und die andere Hälfte ausserhalb des geschlossenen Kreises anwesend sein», hiess es einer Präsentation des Organisationskomitees.
Diese seien allerdings nicht öffentlich verkauft, sondern amtlich vergeben worden, berichtete das Nachrichtenportal «Inside The Games». Wie diese Vergabe genau gelaufen sei, ist nicht bekannt.
«Es werden wohl vor allem Staatsangestellte und Schulklassen zuschauen dürfen», vermutete die «Neue Zürcher Zeitung» zu Beginn der Spiele, also Personen, die der chinesischen Regierung genehm sind und für positive Fernsehbilder sorgen.
Emotionaler als beim Skispringen geht es im Biathlonstadion zu. Zumindest etwas. Zum Einzelrennen der Männer haben sich hier rund 500 Menschen auf der Haupttribüne eingefunden. Im Vergleich zum Skispringen wird gesessen – und zwar in relativer Ruhe. Und dann plötzlich – wie aus dem Nichts – steht die gesamte Tribüne auf, applaudiert und ruft etwas.
«They are saying: ‹Come on, China›», erklärt ein junger Mann am gegenüberliegenden Schiessstand. Das hört sich in etwa an wie «Tja ijo» (ausgeschrieben: «Zhōngguó jiāyóu») und ertönt immer, wenn ein chinesischer Biathlet ins Rennen geht – und die aus dem Skisprungstadion bekannten blau-weissen Vorsinger das Zeichen dazu geben. Nach etwa 15 bis 20 Sekunden ist dann aber wieder Ruhe.
So ruhig, dass der deutsche Biathlet Roman Rees auf Nachfrage von t-online nach dem Rennen verdutzt antwortet: «Ich muss ehrlich sagen, dass ich nullkommanull mitbekommen habe, dass hier Zuschauer waren.» Er finde es zwar durchaus positiv, wenn die Chinesen ein paar Leute an die Strecke brächten, gehört habe er diese aber nicht.
Ähnlich erging es Rees' Teamkollegen Benedikt Doll. «Es ist fast wie ohne Zuschauer», sagt der Weltmeister von 2017. Weil es so ruhig war, habe sich das Ganze teilweise wie Training angefühlt.
Gross verwunderlich ist das nicht, denn auch die beim Biathlon sonst so typischen Jubelausrufe nach Treffern am Schiessstand fehlten. Ob fünf Fehler oder fünf Treffer – anhand der Regungen des Publikums war das nicht zu erahnen.
Lediglich beim Zieleinlauf gab es wieder Anfeuerung – diesmal sogar für alle Sportler. «Da habe ich das Publikum ein bisschen wahrgenommen, aber so wirklich habe ich die Audience noch nicht erlebt», erklärt Doll und fügt hinzu: «Das war schon eine etwas spezielle Atmosphäre heute.»
Sorry, diese olympischen Spiele werden an Lächerlichkeit und Peinlichkeit nur noch von der chinesischen Diktatur und den Speichelleckern vom IPC überboten.