Der 12. September 2021 hätte der vielleicht grösste Tag in Novak Djokovics Karriere werden können. Mit einem Sieg im US-Open-Final hätte der Serbe seinen 21. Grand-Slam-Titel gewinnen, so an Roger Federer und Rafael Nadal vorbeiziehen und alle vier Major-Turniere 2021 für sich entscheiden können. Doch am Ende blieben Djokovic nur die Tränen. Gegen die Weltnummer 2 Daniil Medwedew war der 34-Jährige chancenlos und musste sich mit 4:6, 4:6, 4:6 geschlagen geben.
Am Sonntag kam es nun zur grossen Revanche zwischen Djokovic und Medwedew. Die beiden besten Spieler der Welt trafen im Final von Paris-Bercy aufeinander. Und diesmal behielt Djokovic die Oberhand: Nach verlorenem Startsatz rang der Serbe den Titelverteidiger mit 4:6, 6:3, 6:3 nieder. Entscheidend war eine neue Strategie von Djokovic, welche er sich extra für den Final zurechtgelegt hatte.
So trat die Weltnummer 1 in Paris nicht so auf, wie man es von ihr kennt. Djokovic vertraute nicht auf sein starkes Grundlinienspiel, sondern rückte für ihn aussergewöhnlich oft vor. Ganze 36 Netzangriffe startete der Serbe gegen Medwedew, fast dreimal so viele wie der Russe. Und damit war er erfolgreich: Djokovic gewann trotz Medwedews Stärke bei Passierbällen 75 Prozent der Punkte am Netz und legte so die Basis für seinen Erfolg.
Ebenfalls erstaunlich: Mehr als die Hälfte dieser Netzpunkte spielte Djokovic als Serve-and-Volley, eine Strategie, welche heute nur noch von wenigen praktiziert wird. 22 Mal stürmte der Serbe gleich nach dem Service nach vorne, 19 Mal holte er den Punkt. Dabei versuchte er jeweils, den ersten Volley kurz zu halten und mit Winkel zu spielen, um dem schnellen Medwedew die Chance auf einen Passierball zu rauben. Damit verhinderte Djokovic eine Situation wie bei den US Open, als er auch bei eigenem Service immer wieder in lange Ballwechsel verwickelt wurde, in welchen er nie wirklich ein Rezept fand.
«Als ich gegen ihn in New York verloren hatte, musste ich verstehen, was ich falsch gemacht habe», erklärte Djokovic nach dem Sieg und bestätigte, dass eine Strategieanpassung nötig war. «Ich musste herausfinden, was ich verbessern muss, um ihn zu schlagen. Und es hat funktioniert.»
Wie wichtig und richtig es aus Sicht von Djokovic war, die Punkte kurz zu gestalten, bestätigen auch die Statistiken. Bei den Punkten mit maximal vier Schlägen war der Serbe mit 54:35 deutlich überlegen. Wenn der Ball hingegen mal länger im Spiel war, lagen die Vorteile erneut eher bei Medwedew. Bei den langen Ballwechseln mit mindestens neun Schlägen holte der Russe 21 von 38 Punkten, ein ähnliches Bild wie in New York.
Zudem zeigte sich erneut, wie schwer sich Djokovic von der Grundlinie aus gegen den extrem soliden Medwedew tut, vor allem in den Duellen Rückhand gegen Rückhand. So schlug die Weltnummer 1 auf der Backhandseite bei zwölf Fehlern von der Grundlinie aus nur gerade einen Winner.
Mit der starken Reaktion auf die US-Open-Niederlage und dem Triumph in Paris hat Djokovic derweil für weitere Rekorde sorgen können. Dank den zusätzlich gewonnenen Punkten in der französischen Hauptstadt ist bereits jetzt klar, dass der Serbe das Jahr zum siebten Mal in seiner Karriere als Weltnummer 1 beenden wird – ein Kunststück, das zuvor noch keinem Profi gelungen ist. Gleichzeitig war der Titel in Paris Djokovics 37. an einem Masters-1000-Turnier. Damit setzte er sich wieder von Rafael Nadal ab, nachdem ihn dieser in Rom hatte einholen können.
Auch bei der Pressekonferenz nach dem Sieg betonte Djokovic, wie wichtig ihm solche Zahlen sind. «Es bedeutet mir die Welt, in einer solchen Position zu sein», erklärte der Serbe. «Im Moment habe ich noch keine Zeit, um viel darüber nachzudenken, weil man immer gleich an die nächste Herausforderung denkt. Aber es ist natürlich eine meiner grössten Motivationen, warum ich noch Tennis spiele.»
Nach dem Sieg in Paris startet Djokovic nun in die Vorbereitung für die ATP Finals, welche in diesem Jahr erstmals in Turin stattfinden. Beim Turnier in Norditalien bietet sich dem Serben eine weitere Chance auf einen Rekord: Mit einem Sieg würde er seinen sechsten Titel bei den inoffiziellen Tennis-Weltmeisterschaften holen und so in der ewigen Bestenliste zu Roger Federer an die Spitze anschliessen. (dab)