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Peking: So lief das bizarre «Equipe»-Interview mit Peng Shuai

Peng Shuai hat der «Équipe» ein aufsehenerregendes Interview gegeben.
Peng Shuai hat der «Équipe» ein aufsehenerregendes Interview gegeben.bild: twitter/lequipe

«War nie verschwunden» – so lief das bizarre «Equipe»-Interview mit Peng Shuai

Peng Shuai äusserte Missbrauchsvorwürfe gegen einen chinesischen Politiker und verschwand danach wochenlang. Nun hat sich die Tennisspielerin mit IOC-Chef Thomas Bach getroffen und erstmals einem unabhängigen Medium ein Interview gegeben. Dieses verlief allerdings ziemlich ungewöhnlich.
07.02.2022, 11:4307.02.2022, 12:10
Philipp Reich
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Der Fall der Tennisspielerin Peng Shuai bewegt seit einigen Monaten die Welt. Am 2. November hatte die ehemalige Weltnummer 1 im Doppel im sozialen Netzwerk Weibo Vorwürfe wegen eines sexuellen Übergriffs durch den ehemaligen chinesischen Spitzenpolitiker Zhang Gaoli veröffentlicht.

Das Statement von Peng Shuai vom 2. November.
Das Statement von Peng Shuai vom 2. November.bild: twitter

Der Post verschwand nach wenigen Minuten wieder. Genau wie die 36-jährige Chinesin. Wochenlang gab es kein Lebenszeichen von ihr. Am 21. November wurde dann ein virtuelles Gespräch von Peng Shuai mit dem IOC-Präsidenten Thomas Bach veröffentlicht, in dem sie angab, dass es ihr gut gehe und sie sich in Sicherheit befinde.

Peng Shuai, Thomas Bach, IOC
Thomas Bach im Gespräch mit Peng Shuai.Bild: Ois/Ioc/ International Olympic C / EPA

Dass sie niemals verschwunden gewesen sei, wiederholte Peng Shuai kurz vor Weihnachten gegenüber einer Reporterin der chinesischen Zeitung «Lianhe Zaobao» aus Singapur, die sie – angeblich zufällig – bei einer Skisportveranstaltung in Schanghai in Anwesenheit des chinesischen Basketballstars Yao Ming getroffen hatte.

Danach wurde es wieder still um die Tennisspielerin – bis zu diesem Wochenende: Nach einem Treffen mit IOC-Präsident Thomas Bach am Samstag gab sie der französischen Zeitung «L'Équipe» erstmals wieder ein Interview mit einem unabhängigen, westlichen Medium. Das Gespräch wurde vom chinesischen Nationalen Olympischen Komitee organisiert und in einem Pekinger Hotel geführt.

Völlig frei konnten die Journalisten Peng dabei allerdings nicht befragen. Das Interview verlief ziemlich bizarr, wie die «Équipe» verriet:

  • Das Interview wurde in Anwesenheit des Stabschefs des chinesischen Olympischen Komitees, Wang Kan, geführt. Pengs Antworten wurden von ihm übersetzt.
  • Sämtliche Fragen mussten die Journalisten vorab einreichen.
  • «L'Equipe» musste sich verpflichten, die Übersetzung von Wang Kan wortwörtlich im Frage-Antwort-Format wiederzugeben.
  • Nicht alle geplanten Fragen durften gestellt werden.

Im «Équipe»-Interview wiederholte Peng, die gemäss den Journalisten «in guter Verfassung erschien», via Übersetzer Kan erneut, dass sie nie verschwunden war, dass sie einen Missbrauchsvorwurf erhoben hat und dass alles nur ein grosses «Missverständnis» sei.

Die wichtisten Aussagen im Wortlaut:

Peng über ihren Vorwurf des sexuellen Übergriffs:

«Sexueller Übergriff? Ich habe nie gesagt, dass mich jemand sexuell missbraucht hat.»

Auf die Frage, warum ihr Weibo-Beitrag verschwunden sei:

«Ich habe ihn gelöscht. Warum? Weil ich es wollte. Ich wollte, dass der Inhalt des Posts nicht noch weiter verdreht wird. Und ich hoffe, dass der Medien-Hype damit aufhört.»
«Meine Liebesprobleme, mein Privatleben dürfen nicht mit Sport und Politik vermischt werden. Der Sport sollte nicht politisiert werden, denn wenn, dann läuft das meistens auf eine Abkehr vom olympischen Geist hinaus und widerspricht dem Willen der Sportwelt und der Athleten.»
FILE - China's Peng Shuai waves after losing to Canada Eugenie Bouchard in their first round match at the Australian Open tennis championships in Melbourne, Australia on Jan. 15, 2019. Out of pub ...
Peng Shuai 2019 an den Australian Open.Bild: keystone

Auf die Frage, warum für Wochen niemand etwas von ihr gehört habe:

«Ich war nie verschwunden, jeder konnte mich sehen. Es ist nur so, dass viele Leute, meine Freunde, darunter auch vom IOC, mir Nachrichten geschrieben haben, und es war ziemlich unmöglich, auf so viele Nachrichten zu antworten. Aber mit meinen engen Freunden blieb ich immer in engem Kontakt. Ich habe mit ihnen diskutiert, ihre E-Mails beantwortet.»

Auf die Frage, ob sie die Angst um sie verstehen könne:

«Ich hätte nicht gedacht, dass es eine solche Besorgnis geben würde, und ich würde gern wissen: warum diese Besorgnis?»

Auf die Frage, wie es ihr heute gehe:

«Mein Leben ist, wie es sein soll: nichts Besonderes. Die Leute sollen verstehen, wer ich bin: Ich bin ein ganz normales Mädchen, eine ganz normale Tennisspielerin. Manchmal bin ich ruhig, manchmal bin ich glücklich, manchmal bin ich traurig, oder ich fühle mich sehr gestresst, unter sehr starkem Druck. All die normalen Emotionen und Reaktionen, die Frauen haben, erlebe ich und fühle ich auch.»

Im Interview gab Peng zudem ihren Rücktritt vom Tennis bekannt. Mit Blick auf ihr Alter, ihre Knie-Probleme und die Corona-Pandemie sei es nur sehr schwer vorstellbar, dass sie noch einmal ihr früheres Niveau erreiche.

Peng berichtete weiter vom Treffen mit IOC-Präsident Thomas Bach und der früheren Athletensprecherin Kirsty Coventry aus Simbabwe am Samstag. Sie habe Bach und Coventry zum Abendessen getroffen. Das IOC bestätigte das Treffen, bei dem «die drei über ihre gemeinsamen Erfahrungen als Athleten bei Olympischen Spielen gesprochen» hätten.

Beim Treffen habe Peng angekündigt, nach Europa reisen zu wollen, wenn die Pandemielage es zulasse, teilte das IOC mit. Auch ein Besuch des IOC-Museums in Lausanne sei geplant. In Peking habe sich die Chinesin bereits Curling angeschaut und wolle auch noch zum Eiskunstlaufen und zum Ski-Freestyle, um ihre Landsfrau Eileen Gu anzufeuern. Über weitere Inhalte des Gesprächs sei zwischen den drei Beteiligten Vertraulichkeit vereinbart worden.

Angesprochen auf Pengs Aussagen erklärte IOC-Sprecher Mark Adams am Montagmorgen, dass man keine Bewertung vornehmen wolle, ob die ehemalige Tennisspielerin ihre Vorwürfe aus freien Stücken zurückgenommen habe. «Wir als Sportorganisation tun alles dafür, um sicherzustellen, dass sie glücklich und zufrieden ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, und es ist nicht Ihre Aufgabe zu bewerten, wie ihre Position einzuschätzen ist.»

Freie Aussagen? Die Zweifel sind gross

Weltweit sind die Zweifel aber gross, dass Peng ihre Aussagen tatsächlich aus freien Stücken zurückgezogen hat. Der chinesische Künstler Ai Weiwei, der nach regierungskritischen Äusserungen im Jahr 2011 für 81 Tage inhaftiert wurde und bis 2015 das Land nicht mehr verlassen durfte, glaubt, dass Pengs Aussagen mit der Wahrheit wenig zu tun haben: «Sie ist in den sehr sicheren Händen der Kommunistischen Partei», erklärte er in einem Interview mit dem «Guardian» vom Sonntag.

FILE - Chinese artist Ai Weiwei poses for the media during an "I am a Hong Konger! Discussing Human Rights and Democracy" panel discussion hosted by the faction of the German Liberals at the ...
Ai Weiwei fiel 2011 in China in Ungnade.Bild: keystone

«Sie werden dafür sorgen, dass sie sich genau auf der Linie der Partei verhält. Sie denkt vielleicht selbst schon, dass sie einen Fehler gemacht hat, als sie diese sehr tiefe, dunkle Beziehung offengelegt hat. Sie hat ihre Familie, Freunde und Karriere aufs Spiel gesetzt. Sie ist eine andere Person geworden, und was immer sie sagt, ist nicht wahr.»

Und SRF-China-Korrespondent Martin Aldrovandi erklärt: «Die Absicht dieses Interviews scheint zu sein, die Sorgen um Peng Shuai zu zerstreuen. Wohl in der Hoffnung, dass die internationale Aufmerksamkeit rund um die Vorwürfe abnehmen wird – zumindest von der chinesischen Regierung aus gesehen.» Er gehe nicht davon aus, dass sich die Sportlerin frei äussern könne. «Das Interview hat sie nicht alleine gegeben, sondern sie war offenbar in Begleitung.» Sie stehe wohl unter grossem Druck. Und auch ihre Antworten muteten seltsam an, so Aldrovandi.

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43 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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manuel0263
07.02.2022 12:22registriert Februar 2017
Geschätzte Community, genau so sehen Interviews in totalitären Staaten aus: Fragen vorher einreichen, nicht alle Fragen beantworten, alles abstreiten und stattdessen die Situation verharmlosen, leugnen, schönreden etc. etc., und das alles auch noch unter Aufsicht.
Man sollte daran denken, bevor man hier im demokratischen Westen von Bevormundung, Einschränkung der Meinungsfreiheit und Diktatur spricht...und genauso bei jedem Artikel "Made in China", den man kaufen möchte.
Und bevor man die nächste WM/ Olympiade vergibt.
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Salvatore_M
07.02.2022 12:13registriert Januar 2022
Konnte sie völlig frei reden? Nein? Na, dann ist alles klar. Die französischen Journalisten hätten auch direkt nur mit den chinesischen Sportfunktionären und ohne Anwesenheit von Peng Shuai sprechen können, und dann wären genau die gleichen Antworten gekommen. Diesen Typ von Interview kennt man eigentlich aus der Zeit des kalten Krieges. Hätten wir in der Schweiz ein Zensursystem, dann würde dieser Blog auf Watson von den Sicherheitsbehörden überwacht.
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Jo Kaj
07.02.2022 12:19registriert Juli 2019
Das stinkt wieder einmal bis hier drüben! Leider ist dieser Gestank schom so sehr bekannt. Nur bitte nicht sich daran gewöhnen.
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