Sport
International

Kommentar: Das IOC verrät Peng Shuai und übergibt sie in Geiselhaft

September 18, 2019, Guangzhou, Guangdong, China: Chinese professional tennis player Peng Shuai plays against Serbian professional tennis player Nina Stojanovic at the second round of WTA, Tennis Damen ...
Peng Shuai ist wieder aufgetaucht. Doch für ihre öffentlich gemachten Äusserungen dürfte sie einen hohen Preis bezahlen.Bild: image-images
Kommentar

Das IOC verrät Peng Shuai und übergibt die Tennisspielerin in chinesische Geiselhaft

Erst spielte das internationale Olympische Komitee IOC im Fall der Tennisspielerin Peng Shuai keine Rolle, nach dem Videogespräch des IOC-Chefs Thomas Bach mit der Chinesin eine besonders schmutzige. Das ist kein Zufall. Bach hat damit niemandem einen Gefallen getan.
23.11.2021, 11:10
simon häring / ch media
Mehr «Sport»

An der muslimischen Minderheit der Uiguren wird ein Ethnozid verübt, Menschenrechte missachtet, die freie Meinungsäusserung unterdrückt, religiöse und politische Minderheiten verfolgt, das Internet zensiert. Zu alledem sagt das Internationale Olympische Komitee IOC: nichts.

Dessen Chef, Thomas Bach, sagt immer wieder: «Wir sind keine Weltregierung, die dafür Sorge tragen kann, dass ein souveränes Land Gesetze verabschiedet und bestimmte Standards einhält.» Das sei «Aufgabe der Politik.» Die Verantwortung des IOC beziehe sich auf die Olympischen Spiele.

Die Tennisszene diskutiert seit Wochen besorgt, was aus Peng Shuai geworden ist, weshalb sie seit fast zwei Jahren keine Turniere mehr spielt, vor allem aber: Was mit ihr geschehen ist und noch geschehen mag, nachdem sie den früheren Vizepremier Chinas, Zhang Gaoli, in einem mutmasslich von ihr im Internet veröffentlichten und rasch zensierten Beitrag des sexuellen Missbrauchs beschuldigt hatte. Peng schrieb dort:

«Warum musstest du mich zum Sex mit dir zwingen? Ich kann nicht beschreiben, wie angewidert ich war und wie oft ich mich gefragt habe, ob ich noch ein Mensch bin. Ich fühle mich wie eine wandelnde Leiche. [...] An diesem Nachmittag war ich nicht einverstanden, ich hörte nicht auf, zu weinen [...]»
In einem schnell gefälschten Beitrag auf «Weibo», dem chinesichen Pendant zu Facebook, hatte Peng Shuai von sexuellem Missbrauchs berichtet.
In einem schnell gefälschten Beitrag auf «Weibo», dem chinesichen Pendant zu Facebook, hatte Peng Shuai von sexuellem Missbrauchs berichtet.Bild: screenshot

Und was tat das IOC angesichts des Hilferufs einer dreimaligen Olympia-Teilnehmerin? Was tat Thomas Bach, als ehemaliger Florettfechter ein Meister im Ausweichen und Fintieren, immer im Dienst der Bewegung? Schweigen. Wie Kirsty Coventry, die Leiterin der Athletenkommission.

Erst, als ein chinesisches Staatsmedium ein angebliches Statement von Peng veröffentlichte, in dem sie behauptete, wohlauf zu sein und man möge sie doch bitte in Ruhe lassen, liess Bachs IOC ausrichten: «Wir sind ermuntert von den Versicherungen, dass sie wohlauf ist.» Man tausche sich mit den Tennisverbänden aus und «beobachte» die Situation aufmerksam.

Dilettantische Nebelpetarden aus China

Während Verbände, allen voran die WTA, die Profiorganisation der Frauen im Tennis, Menschenrechtsorganisationen, Sportler und Diplomaten eine lückenlose und transparente Aufklärung der Vorfälle fordern, lässt sich das IOC von den dilettantisch inszenierten Nebelpetarden der Chinesen (Pengs Schreiben begann mit der Zeile «Hallo, ich bin Peng Shuai») abspeisen.

Und dieses IOC will nun den Beweis erbracht haben, dass alles in Ordnung sei, indem man sich für ein 30-minütiges Videogespräch zwischen Peng und Bach instrumentalisieren liess, über dessen Inhalt nicht mehr bekannt ist, als dass man ausgemacht habe, sich im Januar in Peking zum netten Abendessen zu treffen, wenn Bach zu den Olympischen Spielen anreist?

Peng Shuai, Thomas Bach, IOC
IOC-Präsident Thomas Bach im Videogespräch mit Peng Shuai.Bild: Ois/Ioc/ International Olympic C / EPA

«Wie in einem Entführervideo»

Weshalb das so war? Weil China und das IOC Interessen teilen: sie wollen schöne, prächtige und möglichst selbstinszenierte Bilder von Wettkämpfen und keine störende Begleitmusik von den Olympischen Spielen in Peking. Das IOC generiert praktisch seine gesamten Einnahmen aus dem Verkauf der TV- und Sponsoringrechte. Im letzten olympischen Zyklus, der die Winterspiele 2014 in Sotschi und die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro umfasste, löste es 5,16 Milliarden Dollar. Menschenrechte? Die Wahrung der sexuellen Integrität Pengs? Die Aufklärung der Vorwürfe? Kein Thema.

Am Samstag war ein Video aufgetaucht, das Peng in einem Restaurant in Peking zeigt. Ein Mann sagt: «Morgen ist der 20. November», wird aber sofort von einer Frau in der Runde korrigiert, dass dann der 21. November sei – und damit Sonntag. Peng nickt und schweigt. Die «Süddeutsche Zeitung» schrieb: «Es hat etwas von einem Entführervideo, in dem eine Tageszeitung hochgehalten wird, zum Beweis, dass die Geisel noch lebt.»

Eine am Samstag über Twitter verbreitete Videoaufnahme zeigt Peng Shuai (Zweite von rechts) beim Essen in Peking.
Eine am Samstag über Twitter verbreitete Videoaufnahme zeigt Peng Shuai (Zweite von rechts) beim Essen in Peking.Bild: Hu Xijin/Twitter/via Reuters

Wohl nichts anderes als das ist Peng Shuai: eine Geisel des Staatsapparats. Nicht in einem Gefängnis eingesperrt, aber unterdrückt, in der ständigen Angst vor Repressalien. Ihr droht ein Leben im Hausarrest, wie das zuvor schon der 2017 verstorbene Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, oder Jack Ma, der Gründer der Handelsplattform Alibaba, erlebt haben.

Thomas Bach hat der Geiselnahme Pengs mit seinem Telefonat, das mehr der Selbstinszenierung diente, noch Vorschub geleistet und die Sportlerin verraten. Bis zum heutigen Tag hat das IOC China nicht dazu aufgefordert, die Vorwürfe der sexuellen Misshandlung aufzuklären und die Zensur zu beenden. Die internationale Gemeinschaft lässt damit eine Gelegenheit verstreichen. Denn für das chinesische Regime liegt die Brisanz des Falls darin, dass er sich an einer Schnittstelle von geschlossener Gesellschaft und Weltöffentlichkeit abspielt, an der Totschweigen nicht mehr hilft.

WTA-Boss Steve Simon bietet China die Stirn

Doch statt maximalen Druck aufzubauen, eine Untersuchung zu fordern und Veränderungen zu verlangen, macht das IOC den Bückling vor China - weil man sich im Würgegriff von Tyrannei und Kommerz befindet. Dass China sich nicht ändern wird und die Olympia-Fassade missbraucht, um vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Pfauenrad zu schlagen, hat sich schon 2008 bewahrheitet, als man Gastgeber der Sommerspiele war.

Die Versprechungen einer Öffnung des Landes und einer Liberalisierung haben sich als Lippenbekenntnisse entpuppt. Und auch die vom IOC oft formulierten Hoffnungen, Olympische Spiele könnten Despoten zu mehr Offenheit, Rechtsstaatlichkeit, Achtung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit oder Toleranz verleiten, haben sich nicht bewahrheitet.

FILE - WTA Chief Executive Officer Steve Simon smiles during a retirement ceremony for Martina Hingis in Singapore on Oct. 29, 2017. An email purportedly from a Chinese professional tennis player that ...
WTA-Chef Steve Simon bietet China in der Causa Peng die Stirn.Bild: keystone

Von dieser Schmierenkomödie nicht abspeisen liess sich die Women's Tennis Association WTA. Deren Chef Steve Simon richtete aus, er habe Zweifel daran, dass Peng die Absenderin des Schreibens sei und dieses ohne Druckversuche entstanden sei. Und er drohte, das Frauentennis werde sich aus China zurückziehen, wenn die Vorwürfe nicht untersucht würden und er persönlich versichert bekomme, dass es Peng gut gehe.

10 der 54 jährlich veranstalteten WTA-Turniere finden in China statt, das Vorgehen Simons darf angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Frauentennis als bemerkenswert betrachtet werden. Andererseits steht die WTA in der Tradition der sozialen Gerechtigkeit, ist sie doch in den 70er-Jahren aus dem Bestreben entstanden, Frauen und Männer gleichzustellen.

Nun: Peng Shuai lebt. Doch vermutlich zahlt sie für ihre Äusserungen einen hohen Preis. Auch deshalb, weil das Internationale Olympische Komitee und Präsident Thomas Bach sich von China instrumentalisieren lassen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die One-Slam-Wonders im Herren-Tennis
1 / 28
Die One-Slam-Wonders im Herren-Tennis
US Open 2021: DANIIL MEDWEDEW – Novak Djokovic 6:4, 6:4, 6:4.
quelle: keystone / justin lane
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Fan bekommt Tennisschläger von Djokovic geschenkt. Seine Reaktion ist zum Niederknien.
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
28 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Linus Luchs
23.11.2021 11:53registriert Juli 2014
Thomas Bach und Gianni Infantino sind Brüder im Geiste. Sie haben kein Problem damit, sich in Diktaturen einzuschleimen, Hauptsache der Rubel rollt.

WTA-Chef Steve Simon ist ein Lichtblick. Hoffentlich bleibt er bei seiner aktuellen Haltung.
1161
Melden
Zum Kommentar
avatar
Balabar
23.11.2021 12:25registriert September 2017
René Fasel: "Sowas wie ich bei Lukaschenko wird es nicht mehr geben."
Thomas Bach: "Hold my Bier".
772
Melden
Zum Kommentar
avatar
Pfammi
23.11.2021 12:03registriert Juli 2015
Die Akzeptanz eines Boykotts der Spiele in Peking steigt
555
Melden
Zum Kommentar
28
Kylian Mbappé spricht über Vergewaltigungs-Vorwurf: «Fühle mich davon nicht betroffen»
Medienberichten zufolge laufen gegen Kylian Mbappé in Schweden Ermittlungen wegen des Verdachts der Vergewaltigung. In einem Interview äussert sich der Star.

Frankreichs Fussball-Star Kylian Mbappé hat sich zu den angeblichen Vergewaltigungsvorwürfen gegen seine Person geäussert. Er habe sich nie davon betroffen gefühlt, sagte Mbappé in der französischen Fernsehsendung «Clique» auf «Canal+».

Zur Story