Viel hat es nie gebraucht, um Carlos Varela auf die Palme zu bringen. 1995 gibt der spanischstämmige Schweizer mit 18 sein Debüt bei Servette. Die nächsten 15 Jahre tingelt er durch die halbe Liga und sorgt dabei für Schlagzeilen am Laufmeter. Manchmal sogar für positive: In Basel wird er 2002 Meister und feiert rauschende Nächte in der Champions League – auch in La Coruña, der Heimatstadt seiner Familie.
Auch bei seinen anderen Stationen Aarau, YB und Xamax erarbeitet sich der Flügelflitzer fussballerisch viel Respekt. Varela gilt als Ausnahmekönner, der mit seinem Speed und seinen Tricks manches Spiel im Alleingang entscheidet. Für weit mehr Gesprächsstoff sorgt er aber immer wieder mit seinen fulminanten Ausrastern. Mal für Mal donnert es Varela die Sicherungen raus. Bald ist er als Hitzkopf, Reizfigur und grösster Provokateur der Liga bekannt.
Nicht nur die Gegner, auch die eigenen Teamkameraden fürchten das Temperament des spanischen Stiers. Omar Ismaeel, ein bahrainischer Mitspieler bei Xamax, gestand dem Fussballmagazin «Zwölf» einst, er habe sieben Monate gebraucht, bis er sich endlich getraute, mit Varela zu reden.
Das Problem: Carlos Varela fühlt sich ständig ungerecht behandelt. Im günstigsten Fall stellt er sich dann hin und reisst die Klappe auf – doch oft entgleist er auch körperlich. Varela grätscht, Varela tritt, Varela kratzt. Mal schlägt er seinen Gegenspieler, mal das Stadionpersonal – oder er geht gleich auf den Schiedsrichter los. Die Liste seiner Aussetzer wird lang und länger.
Fast alle davon sind heute vergessen. Nur einer bleibt für alle Ewigkeit im kollektiven Schweizer Fussballgedächtnis hängen. Schon beim ersten Spiel der Saison 2008/09 dreht Varela wieder im hochroten Bereich.
Nach der 1:2-Pleite mit den Young Boys gegen seinen Ex-Klub Basel haut er im Interview mit dem Berner Radiosender «BE1» mächtig auf den Putz: «Wir haben null Punkte und sie haben drei, ohne zu spielen. Sie können nur stehende Bälle, das regt mich auf.» Und dann noch eine Spur schärfer: «Wenn es einen Sieger hätte geben müssen, dann wäre das YB gewesen und nicht die arroganten Basler, die schlussendlich einfach einen traurigen Fussball spielen.»
Varela versucht sich zu beruhigen: «Wir stehen erst am Saisonanfang und müssen das Resultat vergessen ...» Als im Hintergrund plötzlich der Jubel eines siegestrunkenen Bebbi durch die Katakomben hallt, ist es trotzdem um ihn geschehen: «Heb de Schlitte, du huere Schissdrägg du». Zack! Trocken und ansatzlos versenkt, ein verbales Jahrhunderttor, ein Bonmot, das ihm ausser in Basel landauf, landab grosse Sympathie und viele Lacher einbringt.
Und Varela zieht nach der kultigen Ausfälligkeit nicht etwa von dannen, sondern verdeutlicht seine Aussage: «Das regt mich auf, dieses Arrogante, was sie (die Basler) haben. Wenn das der Meister ist, weist der Schweizer Fussball einfach ein trauriges Niveau auf. So ist es.» Artig bedankt sich der Reporter beim Kicker («Okay Carlos, merci viu mau»), kaum wissend, mit welcher Trouvaille auf dem Tonband er da zurück auf die Redaktion kommen wird.
Nach vier Jahren und 111 Einsätzen im Dress der Berner verlässt Varela 2009 die Hauptstadt. Was er nicht weiss: Es ist lediglich der Auftakt zu einer weiteren Aneinanderreihung denkwürdiger Kurzauftritte bei verschiedenen Teams. Bei Neuchâtel Xamax schiesst der Spanier in 30 Spielen 4 Tore, bevor es zum nächsten Eklat kommt.
Im Kabinengang der Maladière ätzt er gegen einen Schiedsrichter-Assistenten. Der Verband kennt keine Gnade und brummt dem Enfant Terrible drei Spielsperren auf. Wutentbrannt löst Varela den Vertrag mit den Neuenburgern auf und macht einen sofortigen Abgang. Er lässt verlauten, er sei «angeekelt» ob der in seinen Augen ständigen Benachteiligungen durch Unparteiische und Verband.
Aus den Augen, aus dem Sinn: Carlos Varela spielt – nicht zum letzten Mal – die beleidigte Leberwurst. Seine nächsten Vereine degradiert er gleich selber zu Durchlauferhitzern.
Ob in der US-Metropole (D.C. United, 5 Spiele, 0 Tore), wieder daheim am Genfersee (Servette, 5 Spiele, 1 Tor) oder in der Fussballprovinz (Wohlen, 2 Spiele, 0 Tore) – Varela eckt überall an und fädelt teilweise aus nichtigsten Gründen den nächsten Transfer ein. Die öffentlich geübte Kritik an seinem Auftreten durch den damaligen Trainers Urs «Longo» Schönenberger lässt Varela ein weiteres Mal innert kürzester Frist ein Engagement beenden.
Es folgt der Wechsel nach Köniz, wo man Aufstiegsambitionen in die Challenge League hegt. Wo mit Jiri Koubsky und Miguel Portillo zwei weitere ehemalige Super-League-Kicker engagiert sind. Wo Varela auch mit nunmehr 37 Lenzen auf dem Buckel höchstens ein bisschen seines Temperaments eingebüsst hat.
2013 fliegt der Exzentriker mal wieder nach einem Eklat vom Platz. Grund: Der Hitzkopf beschimpft den gegnerischen Trainer, begeht eine Tätlichkeit und legt sich schliesslich mit einem Fan an. Carlos Varela eben.
Im Dezember 2015 wird Carlos Varela auch beim FC Köniz ausgemustert. Über die genauen Gründe schweigt der Verein, es heisst lediglich «Er sei seiner Vorbildfunktion als Captain nicht nachgekommen.» Carlos Varela und Vorbildfunktion, es sind zwei Begriffe, die ohnehin nicht in den gleichen Satz passen. Zwischen 2017 und 2020 ist Varela als Scout für Aufsteiger Servette, dem Fussball ist er als Experte für das Westschweizer Fernsehen erhalten geblieben.