Vorjahressieger Jonas Vingegaard oder der zweifache Tour-Sieger Tadej Pogacar? Diese beiden standen vor dem Auftakt zur Frankreich-Rundfahrt im Fokus und sie zeigten in den ersten Tagen des Rennens, weshalb das so ist. Vingegaard und Pogacar sind eine Klasse besser als der Rest.
Der 24-jährige Pogacar machte von Beginn weg keine halben Sachen. Dank dem Gewinn von Bonifikations-Sekunden holte er in den ersten zwei Etappen elf Sekunden Vorsprung auf den Dänen Vingegaard heraus.
Nach zwei Etappen für die Sprinter griff Vingegaard am Mittwoch gleich in der ersten Bergetappe an. Pogacar konnte nicht mitgehen, büsste mehr als eine Minute ein. Ein Fingerzeig? Ein Indiz, dass der nach einer Verletzung zurückgekehrte Slowene doch noch nicht ganz fit ist?
Mit Spannung wurde die zweite Pyrenäen-Etappe erwartet. Vingegaards Equipe Jumbo-Visma, das wurde rasch klar, hatte einen Plan. Und der hiess: Pogacar weiter zu distanzieren. Wout van Aert ging in die Fluchtgruppe, war also vorne. Hinten im immer kleiner werdenden Feld drückte Jumbo-Visma am 2112 Meter hohen Col du Tourmalet, einem der legendärsten Pässe der Tour de France, auf die Tube.
«Als sie am Tourmalet eine hohe Geschwindigkeit anschlugen, dachte ich: Okay, wenn das so ist wie gestern, können wir schon fast die Koffer packen und nach Hause fahren», gab Pogacar nach der Etappe zu. Der Etappe, die er am Ende gewinnen sollte.
Denn nachdem Vingegaard wenige Kilometer vor dem Gipfel angegriffen hatte, schaffte er es dieses Mal, an ihm dranzubleiben. «Ich habe mir immer wieder gesagt, dass ich sein Hinterrad halten muss. Wenn ich nicht aufgebe, bleiben für den Schlussaufstieg nur Jonas, Wout und ich übrig», sagte Pogacar. «Hätte ich am Tourmalet den Anschluss verloren, wäre es ein bisschen problematischer geworden. Ich war froh, dass ich gute Beine hatte.»
Sie waren so gut, dass Pogacar den Spiess umdrehen konnte. Hinauf ins Ziel in Cauterets-Cambasque trat der Fahrer des UAE-Teams selber derart in die Pedale, dass der 26-jährige Vingegaard ihm nicht folgen konnte. Der Plan von Jumbo-Visma war gut – aber Pogacar war an diesem Tag besser.
Vingegaard sagte, er habe die Etappe unbedingt gewinnen wollen. «Aber Pogacar war am Ende sehr stark.» Es sei das Ziel gewesen, den Gegner früh zu testen, schon am Tourmalet. Doch im Gegensatz zum Vortag sei es nicht gelungen, ihn abzuschütteln.
Pogacar betonte: «Du kannst einen Plan A, B, C, D, E, F … sogar das ganze Alphabet haben. Aber alles kann passieren, es ist schwierig vorherzusagen, ob es funktionieren wird oder nicht. So ist der Radsport.»
Jonas Vingegaard schlüpfte dennoch ins Maillot Jaune des Gesamtleaders, er übernahm es vom nun drittklassierten Australier Jai Hindley. «Darüber bin ich sehr glücklich, das Gelbe Trikot ist das ikonischste im Radsport», freute sich Vingegaard. «Ich bin jetzt da, wo ich sein will, aber die Tour de France ist noch lange nicht zu Ende.» 25 Sekunden beträgt der Vorsprung des Leaders auf den zweitplatzierten Tadej Pogacar.
Auf der heutigen 7. Etappe dürfte sich daran nichts ändern. In Bordeaux wäre alles andere als ein Massensprint eine grosse Überraschung. Im Fokus steht der Belgier Jasper Philipsen, der die ersten beiden Flachetappen gewinnen konnte.
Spätestens am Sonntag geht der Zweikampf um den Gesamtsieg in die nächste Runde. Dann steht die Bergankunft auf dem Puy de Dôme an, einem mythischen Vulkan im Zentralmassiv. Besonders der Schluss hat es in sich: Die letzten 4,5 Kilometer sind im Schnitt 11,5 Prozent steil. Ein Terrain, geschaffen für weitere Angriffe in dieser Tour de France, in der zwei Athleten fahren, um sie zu gewinnen – und nicht, um sie nicht zu verlieren.