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Interview

Lufthansa-Chef Spohr über Ferien-Engpässe – und Swiss-Ausbaupläne

Interview

«Mache mir grosse Sorgen»: Der Lufthansa-Chef über Ferien-Engpässe – und Swiss-Ausbaupläne

Wie entwickeln sich die Buchungen im Zuge des Ukraine-Kriegs? Wie stark steigen die Preise beim Fliegen? Und wann bezahlt die Swiss ihre Hilfskredite zurück? Der Chef der Lufthansa-Gruppe nimmt exklusiv Stellung.
09.04.2022, 10:07
Benjamin Weinmann / ch media
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epa09177202 A handout photo made available by German airline Deutsche Lufthansa AG shows Lufthansa Group CEO Carsten Spohr during the Lufthansa virtual general assembly in Frankfurt am Main, Germany,  ...
Carsten Spohr, Chef der Lufthansa-Gruppe Bild: keystone

Seit acht Jahren steht Carsten Spohr der Lufthansa-Gruppe mit ihren über 100'000 Angestellten und zehn Airlines vor, zu der auch die Schweizer Töchter Swiss und Edelweiss gehören. Zum Interview lädt der 55-Jährige in die Büros der Edelweiss am Flughafen Zürich, der er diese Woche einen Besuch abstattete. Vor ihm steht eine Flasche Rivella Blau auf dem Sitzungstisch. «Das kenn' ich sogar noch aus den Ferien in meiner Kindheit, echt lecker.» Spohr gibt sich jovial und locker, der andauernden Aviatik-Krise und den Baustellen seines Konzerns zum Trotz.

Zwei Jahre Corona und nun ein Krieg in Europa: Wie stark leidet da die Reiselust?
Carsten Spohr: Die Reiselust hat keineswegs gelitten, auch nicht während der Pandemie. Aber die Möglichkeiten zum Reisen waren über die letzten zwei Jahre sehr stark eingeschränkt. Deshalb sehen wir nun starke Aufholeffekte. Die Reiselust hat sich aufgestaut, bei manchen Destinationen liegen unsere Buchungen sogar über dem Niveau von 2019.

Die Kerosinpreise sind massiv angestiegen. Droht nun der Preisschock bei den Tickets?
Tickets werden teurer, das ist klar. So, wie auch Benzin, Immobilien, Autos oder Konsumgüter. Beim Fliegen macht das Kerosin nun mal bis zu 30 Prozent der Kosten aus. Und zuletzt hat sich der Kerosinpreis verdoppelt. Zu zwei Dritteln haben wir unseren Kerosinbedarf für dieses Jahr preislich abgesichert. Damit verschiebt sich der volle Kostenanstieg für uns etwas nach hinten, aber ja, Fliegen wird teurer.

«Wenn der Ölpreis um 10 Dollar pro Barrel nach oben geht, steigt auch der Ticketpreis im Schnitt um 10 Dollar.»

Um 10, 20, 30 Euro?
Wenn der Ölpreis um 10 Dollar pro Barrel nach oben geht, steigt auch der Ticketpreis im Schnitt um 10 Dollar. Selbst Billigairlines, die sonst ihre Tickets für wenige Euro oder Franken verramschen, haben zuletzt Preiserhöhungen angekündigt.

Die Zeit von 30-Euro-Tickets ist also vorbei?
Wir verkaufen keine ultrabilligen Tickets, denn Fliegen darf nicht zu billig sein. Nachfrage, die nur über Ramschpreise erzeugt wird, schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch dem Image der Branche. Zudem sind solche Tiefstpreise nur mit Anstellungsbedingungen auf unterstem Niveau möglich.

Wann rechnen Sie mit einer Erholung der Buchungen auf das Niveau von 2019?
Bei Privatreisen rechne ich 2023 mit einer vollständigen Erholung. Bei Geschäftsreisen bin ich etwas skeptischer. Denn wir haben uns alle an Videokonferenzen gewöhnt. Ob das zukünftig 5, 10 oder 15 Prozent weniger Geschäftsreisende bedeutet, lässt sich noch nicht sagen.

Wie viel fliegen Sie weniger?
Ich fliege heute nicht weniger als vor der Krise, zum Beispiel heute nach Zürich, wo ich die Mitarbeitenden der Edelweiss besuche. Mir ist es wichtig, nah bei den Menschen zu sein. Viele Mitarbeitende konnte ich noch nie kennen lernen, das geht virtuell nicht. Bei wiederkehrenden Meetings mit Kollegen, die man gut kennt, wird es dagegen einen Mix aus persönlichen und Online-Meetings geben. Aber wenn es um Akquisitionen oder schwierige Verhandlungen geht, ist der menschliche Kontakt nicht zu ersetzen.

Was aber, wenn plötzlich eine neue, gefährlichere Covid-Variante auftaucht, wäre dann die Branche bereit?
Wenn es eine Branche gibt, die Flexibilität und Resilienz in den letzten Jahren bewiesen hat, dann war es die Luftfahrt …

«Wenn die Maskenpflicht an Bord wieder aufgehoben wird, so wie in der Schweiz, macht das auch die Arbeit unserer Crews wieder einfacher.»

…aus Sicht der Passagiere war die Komplexität mit den verschiedenen Regeln enorm!
Ja, aber da müssen wir uns nun mal an die gesetzlichen Vorgaben halten. Die Regierungen haben aber auch in dieser Pandemie viel hinzugelernt. Man darf nicht vergessen: Für uns alle, sei es Politiker, Manager oder auch Journalisten, war es die erste Pandemie. Wir mussten uns herantasten, aber ich denke, dass wir alle nun besser vorbereitet sind.

A cabin crew member of Swiss International Air Lines wearing a face mask to protect against the spread of coronavirus COVID-19 prepares the aircraft prior to departure to London during the resumption  ...
Bild: keystone

Die Maskenpflicht wird an Bord vermehrt aufgehoben. Haben die sogenannten «unruly passengers», die sich dagegen gewehrt haben, gewonnen?
Nein, wer sich im Luftverkehr nicht an die Regeln hält, gewinnt nie. Auch wenn es für unser Kabinenpersonal herausfordernd ist, mit solchen Passagieren umzugehen. Ich habe das selber schon an Bord erlebt. Wenn die Maskenpflicht an Bord wieder aufgehoben wird, so wie in der Schweiz, macht das auch die Arbeit unserer Crews wieder einfacher.

Kürzlich meinten Sie, Business-Class-Buchungen und der Champagnerkonsum an Bord würden zunehmen. Ein langfristiger Trend?
Den Trend gab es schon vor Corona, aber gerade das Bedürfnis nach mehr Platz und mehr Privatsphäre ist durch die Pandemie weiter gestiegen. Deshalb baut derzeit die Swiss die neue Premium-Economy-Klasse ein und verzeichnet einen starken Trend bei First- und Business-Class-Buchungen von Privatkunden. In Zürich hatten wir schon immer einen erfreulich hohen Anteil dieser Buchungen, deshalb ist die Swiss auch die einzige Airline der Lufthansa-Gruppe mit einer First Class in allen Langstreckenflugzeugen.

Viele Airlines suchen derzeit händeringend nach Personal. Wie gross ist der Mangel in der Branche?
Airlines sind nach wie vor attraktive Arbeitgeber, da ist es nicht so schwierig, wieder neue Mitarbeitende zu gewinnen. Aber an den Flughäfen und bei Dienstleistern ist der Personalmangel enorm. Dieses Wochenende werden wir allein aus diesem Grund eine dreistellige Anzahl von Flügen annullieren müssen.

Hinzu kommen Krankheitsfälle. Drohen Flugannullationen in den Frühlings- und Sommerferien?
Leider ja, ich mache mir deswegen grosse Sorgen.

Wie ist es so weit gekommen?
Viele Flughäfen und Luftfahrtdienstleister mussten in der Krise Kündigungen aussprechen und müssen jetzt wieder neu einstellen. Das ist gerade in sicherheitskritischen Bereichen, wo es Zulassungen von Behörden benötigt, nicht so schnell machbar. Da wurde in der Branche an manchen Orten falsch kalkuliert.

ARCHIV - KUENDIGUNG DES GAV UND ABRUCH DER VERHANDLUNGEN ZWISCHEN FLUGGESELLSCHAFT SWISS UND PILOTEN -- Ein Pilot der Swiss reinigt die Cockpit-Scheibe seines Airbus A319 am Flughafen Zuerich am Diens ...
Personalmangel an Bord: Ein Swiss-Pilot reinigt ein Fenster einer A319.Bild: keystone

Dann muss man doch rückblickend selbstkritisch sagen: Auch die Swiss hat zu viele Angestellte entlassen.
Ich denke, wir alle haben versucht, uns so gut wie möglich an die Pandemie anzupassen, von der wir nach wie vor nicht wissen, wann sie ganz vorbei ist. Man darf nicht vergessen, es gab Wochen und Monate, da haben wir jede Stunde eine Million Euro verloren. Da musste ich von allen meinen Airline-Chefs, auch von Swiss-Chef Dieter Vranckx, fordern, alle Möglichkeiten der Flexibilität zu nutzen, damit diese Gruppe überlebt. Aber ich bin sicher, dass die Swiss es schafft, die Zufriedenheit der Angestellten wieder dorthin zu bringen, wo sie hingehört.

Derzeit ist sie auf dem Tiefpunkt angelangt. Die Kabinen-Crew trägt sogar Protest-Pins, da die Zitrone ausgepresst sei. Verstehen Sie den Frust?
Unsere Kabinenbesatzungen hatten in den letzten beiden Jahren enorme Zusatzbelastungen zu ertragen. Das Maskentragen bei körperlicher Arbeit, Passagiere, die kein Verständnis für Regeln zeigen, Quarantäne in ausländischen Hotels mit teils unzumutbaren Zuständen, und, und, und. Die Zugeständnisse, die wir von unseren Angestellten verlangen mussten, waren enorm gross, da verstehe ich gut, dass einige erschöpft sind. Aber jetzt setzen wir alles daran, dass sich die Dinge normalisieren. Bei der Swiss stellen wir zum Beispiel wieder neue Mitarbeitende ein.

«Unsere Schweizer Tochterairlines Swiss und Edelweiss sind der beste Beweis dafür, dass eine Mehrmarkenstrategie gut funktioniert.»

Sie helfen der Crew-Stimmung nicht, indem Sie nach Eurowings Discover noch eine weitere Airline lancieren möchten, mit tieferen Löhnen, und Sie die marode ITA, die ehemalige Alitalia, übernehmen möchten. Wieso gehen Sie diese Risiken ein, wenn Sie bei Staaten und Banken massive Schulden haben?
Unsere Schweizer Tochterairlines Swiss und Edelweiss sind der beste Beweis dafür, dass eine Mehrmarkenstrategie gut funktioniert. Analog zur Edelweiss wollten wir mit der Eurowings Discover auch in Deutschland eine erfolgreiche Ferien-Airline in unseren Drehkreuzen schaffen. Das ist uns gelungen. Und was Italien anbetrifft: Erstens ist die ITA nicht marode. Und Italien ist schon heute der wichtigste Auslandsmarkt der Lufthansa-Gruppe nach den USA. Deshalb ist diese Strategie naheliegend.

epa09655921 A view of the first ITA Airways aircraft with the new blue livery prior to take-off from Rome Fiumicino airport to Milan, Italy, 24 December 2021. ITA Airways flight AZ 2044 is operated wi ...
Eine Maschine der neuen italienischen Airline ITA.Bild: keystone

Und aus der ITA soll eine zweite Erfolgsstory à la Swiss entstehen?
Warum nicht? Auch in Rom schaut man mit sehr viel Respekt in die Schweiz, wo Swiss und Lufthansa eine gemeinsame Erfolgsgeschichte geschrieben haben. Wir gelten damit in der weltweiten Airline-Branche als Vorbild.

Sind also sogar weitere Akquisitionen möglich?
Die Konsolidierung wird in der Luftfahrt auf jeden Fall weitergehen, und einige europäische Airlines werden es nicht schaffen. Die verschwinden aber meistens nicht komplett aus dem Markt, deshalb bin ich sicher, dass es weitere Übernahmen durch die grossen Airlines geben wird.

Auch von der Lufthansa?
Darüber sprechen wir, wenn es so weit ist. Aber ja, die Grossen werden grösser.

«Wir haben wegen der Covid-Pandemie etwa 10 Milliarden Euro mehr Schulden, als wir es ohne Krise gehabt hätten. Das ist das Preisschild. Es war teuer.»

Haben Sie mal die Gesamtrechnung gemacht, was die Covid-Krise den Konzern bisher gekostet hat?
Ich erkläre es intern so: Wir haben wegen der Covid-Pandemie etwa 10 Milliarden Euro mehr Schulden, als wir es ohne Krise gehabt hätten. Das ist das Preisschild. Es war teuer.

In der Schweiz konnten Sie sich zu Beginn der Krise rasch auf den Staat verlassen, der für die Bankkredite der Swiss und Edelweiss bürgte. Wie erleichtert waren Sie damals?
Wir sind der Schweizer Regierung für die Unterstützung bei der Rettung der Swiss sehr dankbar, und sie war auch typisch schweizerisch: präzise, verlässlich, aber nicht gerade günstig. Aufgrund der hohen Zinsen, die wir für die Bankkredite bezahlen, hoffe ich, dass die Swiss die Kredite bald tilgen kann. Ich gehe davon aus, dass wir das dieses Jahr schaffen.

Vor 20 Jahren ging es zu wenig schnell, als die Swissair Hilfe benötigte. Hat die Schweizer Regierung während der Pandemie deshalb so rasch geholfen, aus Angst vor einem Grounding 2.0.?
Als Nicht-Schweizer steht mir diese Einschätzung nicht zu. Aber als Aviatik-Kenner scheint mir, dass die Zukunftsperspektive damals bei der Swissair nicht klar war. Deshalb kam es vor dem Grounding zu Recht zu Zweifeln und Verzögerungen. Diesmal wurde in den Gesprächen, die ich auch persönlich mit Schweizer Politikerinnen und Politikern geführt habe, sehr schnell klar, dass die Swiss eine Zukunft hat.

Verteidigt die Milliarden-Staatshilfe f�r die Swiss: Lufthansa-Konzernchef Carsten Spohr. (Archivbild)
Carsten SpohrBild: sda
Zur Person
Carsten Spohr ist 1966 in Herne, in der Nähe von Dortmund, geboren. In Karlsruhe absolvierte der Deutsche ein Studium zum Wirtschaftsingenieur und erwarb danach die Piloten-Lizenz an der Verkehrsflieger-Schule der Lufthansa in Bremen und in Arizona. 1994 begann er als Manager bei der Lufthansa-Gruppe. Bis heute ist Spohr dem «Kranich-Konzern» treu geblieben. Zum Chef der Airline-Gruppe wurde er 2014 ernannt, als Nachfolger von Christoph Franz. Dabei setzte er sich intern gegen den damaligen Swiss-Chef Harry Hohmeister durch, der inzwischen ebenfalls in der Lufthansa-Geschäftsleitung ist. Spohr lebt in München, ist verheiratet und hat zwei Töchter. Vor Corona setzte der Konzern 36 Milliarden Euro um. Letztes Jahr waren es knapp 17 Milliarden. (bwe)

In der Krise wurden Stimmen laut, die forderten, der Staat solle die Swiss zurückkaufen und die Swissair reaktivieren. Welche Erfolgschancen gäben Sie heute einer unabhängigen Swissair?
Diese Diskussion überlasse ich den Schweizern. Ich konzentriere mich darauf zu beweisen, dass die Swiss nach wie vor ein Erfolgsmodell innerhalb der Lufthansa-Gruppe ist.

Die Lufthansa kaufte die Swiss 2005 für 330 Millionen Franken, den Preis einer Boeing-777. Was würden Sie heute für sie verlangen?
Die Frage stellt sich nicht, denn so viel ist klar: Die Swiss steht nicht zum Verkauf!

«Alle unsere zehn Airlines sollen in ihrem Marktsegment Klassenbeste sein, das ist das Ziel.»

Nach der Lufthansa-Übernahme – abgesehen von den Anfangs- und Coronajahren – hat sich die Swiss zur Cashcow entwickelt. Ist sie die Musterschülerin im Konzern?
Alle unsere zehn Airlines sollen in ihrem Marktsegment Klassenbeste sein, das ist das Ziel. Die Swiss ist enorm effizient, hat eine starke Marke. Aber sie kann sicher auch von ihren Schwesterairlines manchmal etwas lernen.

Etwa in Bezug auf den Kundenservice? Kundenrückzahlungen dauerten ewig, genauso wie Anrufe bei der Hotline. Selbst Swiss-Chef Dieter Vranckx sagte, man habe versagt.
Alle Airlines weltweit konnten während der Pandemie nicht ihren gewohnten Servicestandard bieten, auch wir als Lufthansa-Gruppe nicht. Das schmerzt uns besonders, weil wir einen Premium-Service anbieten möchten, dem wir zuletzt häufig nicht gerecht werden konnten. Aber wir arbeiten hart daran, dass sich das wieder ändert.

Wie gross kann die Swiss eigentlich noch werden?
Die Swissair hatte zwar mehr Flugzeuge, aber die Swiss befördert mehr Passagiere, als die Swissair es jemals tat. Das spricht für die Effizienz und die Auswahl der richtigen Flugzeuge. Wenn man über Wachstum spricht, muss man aber auch wissen, dass gerade hier in Zürich die Kapazität am Flughafen beschränkt ist.

Und ist er auch zu teuer, wie es frühere Lufthansa- und Swiss-Chefs schon öfter monierten?
Jeder Flughafen ist zu teuer! (lacht) Manche ein bisschen zu teuer, andere viel zu teuer. Aber diese Gespräche überlasse ich der Swiss.

Die Swiss fliegt nur noch mit 85 statt wie zuvor 100 Flugzeugen, inklusive den Maschinen der Partner-Airline Helvetic. Bleibt es dabei, oder wird die Flotte wieder vergrössert?
Wir mussten in der Pandemie temporär abbauen. Fünf A330-Flugzeuge sind noch immer in Jordanien geparkt, die werden wir aber zurückholen. Und wir haben 25 Airbus-Neo-Flugzeuge der A320-Familie für die Swiss bestellt. Deshalb ist für mich klar: Die Swiss kann entsprechend ihrer Investitionsfähigkeit weiter wachsen, auch bei der Flotte.

Insider gehen davon aus, dass die alten A340-Langstreckenmaschinen mit grösseren und moderneren A350-Flugzeugen ersetzt werden. Wann ist es so weit?
Dazu ist keine Entscheidung gefällt. Wir verhandeln kontinuierlich mit den Herstellern Airbus und Boeing und haben auch in der Pandemie mit der Boeing 787 und dem Airbus A350 neue Langstreckenflugzeuge gekauft. Aber aktuell hat die Swiss schon die modernste Flotte in der Lufthansa-Gruppe, deshalb zerbreche ich mir deswegen nicht den Kopf.

«Fliegen ist in den letzten Jahren so günstig geworden wie nur wenige andere Produkte und Dienstleistungen.»

Vor der Krise wollte die Swiss zwei neue Langstreckenziele, Washington und Osaka, anfliegen. Wann werden diese wieder zum Thema?
Ich bin sicher, dass, wenn die fünf A330 zurückgeholt werden, die Swiss damit nicht nur ihre Frequenzen an bisherige Destinationen erhöhen wird, sondern auch wieder zusätzliche Ziele aufnehmen wird.

Welche Rolle sehen Sie für die Edelweiss in Zukunft, oder lancieren Sie auch für die Schweiz noch eine neue Airline?
Nein, das brauchen wir nicht. Im Gegenteil, die Edelweiss war der Blueprint, das Vorbild für die Eurowings Discover als neue Ferienairline in unseren Drehkreuzen Frankfurt und München.

Eine Edelweiss Maschine aus San Jose, Costa Rica, landet auf dem Flughafen Zuerich am Dienstag, 24. Maerz 2020. Bis am Donnerstagmorgen holt das Eidgenoessische Departement fuer Auswaertige Angelegenh ...
Bild: KEYSTONE

Aus Passagiersicht hat sich das Fliegen in den letzten Jahren nicht gross verändert, wenn schon verschlechtert. Die Sitzabstände wurden immer kleiner. Wird sich das je wieder ändern?
Sie scheinen in der falschen Klasse zu reisen.

Die anderen sind nun mal sehr teuer.
Fliegen ist in den letzten Jahren so günstig geworden wie nur wenige andere Produkte und Dienstleistungen. Das ging nur dank Effizienzsteigerungen, inklusive etwas geringerer Sitzabstände in der Economy-Klasse. Das ist pure Mathematik. Aber eben, immer mehr Gäste leisten sich ein Upgrade mit mehr Platz.

Wann rechnen Sie mit Überschallflügen, wie sie von Firmen wie Super Sonic Boom angestrebt werden, um in wenigen Stunden von Zürich nach New York zu fliegen?
Als Pilot und Ingenieur finde ich solche Gedankenspiele faszinierend. In meiner Verantwortung als Chef einer der grössten Airlines der Welt kann ich aber nicht nur mit Blick auf Energieverbrauch und Nachhaltigkeit davon nur abraten.

Das ist bei Weltallreisen auch so, trotzdem gibt es nun solche Angebote für Reiche.
Genau. Deshalb mag es auch irgendwann Überschallflugangebote für eine kleine, sehr wohlhabende Kundschaft geben. Aber nicht bei uns.

Klein ist auch die Gruppe von Frauen an der Spitze von Airlines. Wann ist es bei der Lufthansa so weit?
Bei zwei unserer insgesamt zehn Airlines steht aktuell eine Frau an der Spitze, und meine Geschäftsleitungskollegin, Christina Foerster, war zuvor Chefin der Brussels Airlines. Bei uns ist es also schon länger so weit, dass Frauen Fluggesellschaften führen.

Dennoch gibt es in der Aviatik einen überdurchschnittlichen Nachholbedarf!
Stimmt. Deshalb hat sich die Branche zum Ziel gesetzt, dass bis 2025 jede vierte Topposition mit einer Frau besetzt sein soll. Hinter dieser Zielsetzung stehen wir.

Und was ist mit Flügen mit nur noch einem Piloten im Cockpit, wie es die Branche vorsieht?
Auch wenn das Militär gezeigt hat, dass sogar Flüge ohne Piloten technisch machbar sind, ist das für uns kein Thema. Die Sicherheit, die manche vielleicht als gegeben betrachten, hängt hochgradig von Redundanz ab. Dazu gehört, dass vorne zwei topausgebildete Piloten sitzen.

Zukunftsmusik ist auch eine grüne Aviatik. Bis 2030 sollen die Netto-CO2-Emissionen gegenüber 2019 halbiert werden, erst 2050 soll die Bilanz CO2-neutral sein. Wieso dauert das so lange?
Für den einzelnen Gast ist es heute schon möglich, grün zu fliegen. Man kann den CO2-Ausstoss seines Fluges kompensieren oder nachhaltiges Kerosin für den eigenen Flug kaufen ...

«Keine Airline-Gruppe arbeitet so eng mit den Bahnen zusammen wie wir es tun, auch mit den SBB.»

…das können oder wollen sich nicht alle leisten.
Das ist leider so. Deshalb arbeiten wir an effizienteren Technologien für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen und anderen treibstoffsparenden Innovationen. Alle Boeing-Flugzeuge der Swiss werden bald mit einer Folie ausgestattet, die den Kerosinverbrauch um 1 Prozent senkt. Das klingt nach wenig, ist aber bei den Kerosin-Mengen im Luftverkehr enorm viel.

Welche Kerosin-Alternative wird sich durchsetzen?
Nach unserer Einschätzung werden es sogenannte E-Fuels sein, also Kraftstoffe, die mit nachhaltig erzeugtem Strom hergestellt werden. Heute setzen wir bereits synthetische Kraftstoffe, zum Beispiel aus Biomasse, ein. Aber die sind nur sehr begrenzt skalierbar. Die derzeit weltweit vorhandene Menge an nachhaltigem Kraftstoff würde uns allein nicht mal für eine Woche reichen. Da haben wir gemeinsam mit der Energieindustrie noch sehr viel Arbeit vor uns. Und auch die Politik, denn ohne ihre Unterstützung wird es nicht gehen.

Und was ist mit Elektroflugzeugen für kleinere Distanzen?
Das wird kommen, aber erst einmal nur für wenige Passagiere, zum Beispiel für kurze Flüge vom Festland zu nahe gelegenen Inseln. Für den Luftverkehr, den wir betreiben, mit 100 und mehr Passagieren an Bord, sehe ich das noch nicht, weil es mit heutiger Batterietechnologie physikalisch nicht darstellbar ist.

Signs showing the way to check-in 3 and to the Swiss Railway station at Zurich Airport in Kloten in the canton of Zurich, Switzerland, pictured on February 18, 2013. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

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Bild: KEYSTONE

Für Sie bleibt so aber das Risiko, dass Kurzstreckenflüge in Europa verboten werden. Müssten Sie nicht stärker mit der Bahn kooperieren?
Keine Airline-Gruppe arbeitet so eng mit den Bahnen zusammen wie wir es tun, auch mit den SBB. Leider sind nicht alle so gut wie die Schweizerische. Wir haben bereits 35 Städte in unseren Buchungssystemen per Bahn an unsere Drehkreuze angebunden. Aber dafür muss es jeweils auch einen Bahnhof am Flughafen geben, so wie in Zürich und Frankfurt. Das ist nicht überall der Fall.

Stört Sie der Widerstand gegen das Fliegen?
Ja, denn nicht zuletzt in der Pandemie wurde deutlich, wie wichtig es ist. Man denke nur an die Tausenden von Frachtflügen von medizinischen Gütern wie Masken oder Impfstoffen. Das Verbinden von Menschen, Kulturen und Wirtschaftsräumen ist so aktuell wie noch nie. Damit trägt Fliegen zum Frieden bei.

Die Luftfahrt befindet sich seit der Pandemie und nun mit dem Ukraine-Krieg im Krisenmodus. Wie schalten Sie persönlich in turbulenten Zeiten wie diesen ab?
Mit meiner Frau, meinen beiden Töchtern und meinem Hund. Aus meiner Sicht beweist sich Führung gerade in schwierigen Zeiten. Deshalb hören Sie mich nicht darüber klagen.

Sie waren selbst einst Lufthansa-Pilot, vermissen Sie das Fliegen?
Oh ja.

Sie sind seit acht Jahren Lufthansa-Chef, haben viele Krisen miterlebt. Der schlimmste Vorfall war für Sie aber wohl der Germanwings-Absturz 2015. Wie oft denken Sie daran?
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: täglich. Ob ich im Cockpit mit Piloten spreche oder mit Kollegen im Büro, das Thema Sicherheit erwähne ich jeden Tag. Und da denke ich zwangsläufig an diesen einen Tag, wo wir unser Sicherheitsversprechen nicht halten konnten. Ich habe damals gesagt, dass wir die Opfer, unsere Crew und die Passagiere niemals vergessen werden. Das waren keine leeren Worte.

Relativiert diese Tragödie andere Krisen, mit denen man als Airline-Chef konfrontiert ist?
Die Antwort ist: Ja. (aargauerzeitung.ch)

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