Der Euro ist am Donnerstagmorgen zwischenzeitlich nur noch 0,9465 Rappen wert. Dies war der niedrigste Stand seit der Bargeld-Einführung des Euro am 1. Januar 2002. Grund dafür war der dritte, ungewöhnlich kräftige Zinsschritt der US-Notenbank im Kampf gegen die Inflation. Am Mittwoch erhöhte die Federal Reserve (Fed) ihren Leitzins erneut um 0,75 Prozentpunkte – die Hoffnung: Endlich stabilere Preise. Doch das Risiko ist hoch: Mit der strengen Geldpolitik droht die Zentralbank die Wirtschaft so stark auszubremsen, dass Arbeitsmarkt und Konjunktur abgewürgt werden.
Seit Anfang Jahr hat der Euro gegenüber dem Franken mehr als 8 Prozent an Wert eingebüsst. Während der Euro durch Energie-Krise und die damit verbundenen schlechten Aussichten für die europäische Wirtschaft stark unter Druck geraten ist, bleibt der Franken dank der tieferen Inflation in der Schweiz und seinem Ruf als sicherem Hafen in stürmischen Zeiten stark.
Und die Talfahrt des Euro-Franken-Kurses ist wohl noch nicht zu Ende. Am Donnerstag erhöhte aufgrund des erneut gestiegenen Inflationsdruck auch die Schweizer Nationalbank (SNB) den Leitzins um 0,75 Prozentpunkt, wodurch der Euro-Kurs wieder auf fast 97 Rappen kletterte. Langfristig erwarten Devisenexperten aber, dass die Zinssteigerung die Rolle des Frankens als sicherer Währungshafen noch weiter stärkt.
Die ING Bank geht davon aus, dass die SNB für die Erhaltung der Preisstabilität angesichts der unterschiedlich hohen Inflation in der Schweiz und in Europa den Euro im vierten Quartal 2022 auf 93 Rappen sinken lassen würde, ohne ernsthaft zu intervenieren. Bis im zweiten Halbjahr 2023 könnte der Euro demnach gar bis auf 90 Rappen sinken, wie die Bank in einer Einschätzung schreibt.
Für die Schweiz als Land, das von seinen Exporten ins Ausland lebt, ist ein starker Franken schwierig. Doch der Aufschrei aus der Wirtschaft bleibt weiterhin aus. Grund dafür ist, dass der Franken nicht zu allen Währungen stärker geworden ist und im Vergleich zum US-Dollar gar abgewertet wurde.
Zudem hilft den Schweizer Exporteuren die in der Eurozone rund dreimal höhere Inflation. «Die Schweizer Firmen können die Preise besser in den Euro-Raum weitergeben, weil die Teuerung dort viel höher ist. Preiserhöhungen sind einfacher durchsetzbar, weil sie nicht so stark ins Gewicht fallen in Europa», erklärte Tobias Straumann, Wirtschaftshistoriker an der Universität Zürich, zuletzt gegenüber dem SRF.
Gewinner des starken Frankens sind die Schweizer Konsumenten. «Ferien werden günstiger und Einkaufen im Ausland lohnt sich wieder mehr», fasste Adrian Schneider, Anlagechef der Graubündner Kantonalbank (GKB), die Vorteile gegenüber der NZZ zusammen. Europäer und US-Amerikaner erleben wegen der hohen Inflation einen viel stärkeren realen Einkommensverlust als Schweizer Bürger. (pre)