Mit beispielloser Geschwindigkeit sind seit Ausbruch der Corona-Pandemie diverse Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 entwickelt worden, die der Bevölkerung nun in gross angelegten Impfprogrammen verabreicht werden. Ganz im Gegensatz dazu dümpelte die Suche nach einem Impfstoff gegen einen anderen, schon seit längerem bekannten Erreger dahin: Gegen das HI-Virus, das die sexuell übertragbare Immunkrankheit AIDS auslöst, gibt es nach wie vor keinen Impfschutz, obwohl das Virus seit Beginn der Achtzigerjahre schätzungsweise 39 Millionen Menschenleben gefordert hat.
Ein möglicher Grund für den schleppenden Fortschritt dürfte – neben der extremen genetischen Vielfalt des Erregers – in der Tatsache liegen, dass AIDS seit der Entwicklung von antiretroviralen Therapien zumindest in den Industrieländern viel an Schrecken verloren hat und die Diagnose mittlerweile nicht mehr einem Todesurteil gleichkommt. Besonders in einigen afrikanischen Staaten fordert die Pandemie aber nach wie vor zahlreiche Todesopfer. Und immer noch ist es nahezu unmöglich, das Virus wieder aus dem Körper zu verbannen, wenn es bereits zu einer Infektion gekommen ist.
Nun scheint aber doch ein Vakzin gegen diese Geissel in Reichweite zu kommen: Laut Scripps Research und IAVI – einer gemeinnützigen Forschungsorganisation, die Impfstoffe und Antikörper gegen HIV und andere Krankheiten entwickelt – hat ein Impfstoff-Kandidat in der Phase-I-Studie am Menschen vielversprechende Ergebnisse geliefert.
Demnach konnte bei 97 Prozent der Testpersonen, die den potenziellen Impfstoff erhalten hatten, die Produktion von bestimmten seltenen Immunzellen beobachtet werden, die wiederum HIV-resistente Antikörper erzeugen. Die noch nicht im Peer-review-Verfahren geprüften Ergebnisse wurden bereits Anfang Februar auf der Konferenz der Internationalen AIDS-Gesellschaft zur HIV-Forschung vorgestellt. Erste Medienberichte darüber erschienen im gleichen Monat und Anfang März berichtete auch das renommierte Fachmagazin «The Lancet» über diesen Durchbruch.
Der Impfstoff-Kandidat eOD-GT8 60mer folgt dem Ansatz, das menschliche Immunsystem über ein sogenanntes Keimbahn-Targeting zur Bildung von naiven B-Zellen anzuregen. «Naiv» bedeutet, dass diese Zellen noch keinen Kontakt zu ihrem Antigen (dabei handelt es sich meist um eine körperfremde Struktur, beispielsweise von einem Virus) hatten.
Die B-Zellen produzieren viele verschiedene Arten von sogenannten breitneutralisierenden Anti-HIV-Antikörpern (broadly neutralizing antibodies, bnAbs). Die Stimulierung dieser Antikörper-Produktion gilt quasi seit Jahrzehnten als «Heiliger Gral» der Bekämpfung von HIV. Die bnAbs sollen sich, so die Hoffnung, an Spike-Proteine des HI-Virus binden und den Erreger so neutralisieren können. Da die Spikes in ihrer Struktur und Funktion bei verschiedenen Stämmen des Virus ähnlich bleiben, sollte der Impfstoff breit wirksam sein.
In der seit 2018 laufenden Phase-I-Studie IAVI G001 erhielten 48 gesunde Erwachsene entweder ein Placebo oder zwei in einem Abstand von zwei Monaten verabreichte Dosen des Impfstoffs, zusammen mit einem vom Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline entwickelten Adjuvans.
William Schief, Leiter des Neutralizing Antibody Centers von IAVI und Immunologe bei Scripps Research kommentierte die Ergebnisse wie folgt:
Zu den Krankheiten, die mit diesem Impfstoffkonzept bekämpft werden könnten, zählen die Forscher unter anderem Influenza (Grippe), Dengue-Fieber, Zika, Hepatitis C und Malaria.
Der Abschluss der Phase-I-Studie bedeutet selbstredend noch nicht, dass nun gegen HIV geimpft werden könnte. Doch damit ist die Voraussetzung für zusätzliche klinische Studien gegeben, die den Ansatz verfeinern und erweitern sollen. Laut dem Unternehmen wird der nächste Schritt darin bestehen, in Zusammenarbeit mit dem Biotechnologieunternehmen Moderna einen Impfstoff auf mRNA-Basis zu entwickeln und zu testen. Auch das Covid-19-Vakzin von Moderna, das im Januar als zweiter Corona-Impfstoff in der Schweiz zugelassen wurde, beruht auf dieser neuen Technologie. Die Verwendung der mRNA-Technologie, so hoffen die Forscher, könnte das Tempo der Entwicklung von HIV-Impfstoffen erheblich beschleunigen, ähnlich wie dies bei Covid-19 der Fall war.
(dhr)