Perücken (peruque = frz. Haarschopf) und ähnliche künstliche Haarteile in unterschiedlichster Ausführung und Qualität kannte man schon im Altertum. Aus Menschen- und Tierhaaren sowie aus Pflanzenfasern und Gräsern gefertigt, fanden sie auf den Köpfen von Frauen und Männern in verschiedenen Kulturen Verwendung – als modisches Accessoire, für zeremonielle Zwecke oder schlicht zur Kaschierung des schwindenden Naturhaars.
Im Alten Ägypten lassen sich Perücken ebenso nachweisen wie bei den Griechen und Römern in der Antike. Im Mittelalter wurden lederne Deckelhauben mit appliziertem Fremdhaar getragen. Diese hafteten jedoch nicht gut, was zu manch peinlichen «Ausrutschern» führte.
Vom beginnenden 16. Jahrhundert an wurde Haarlosigkeit bei Männern zunehmend als Makel empfunden. Ein Grund dafür war die grassierende Krankheit Syphilis, die, behandelt mit Quecksilber, zu starkem Haarausfall führte. Fülliges, langes Haar galt mehr und mehr als Merkmal für Gesundheit, Stärke und Potenz. Der französische König Ludwig XIII. (1601–1643) trug sein natürliches Haar bereits deutlich länger als noch sein Vater.
Da er jedoch krankheitsbedingt früh an Haarverlust litt, verwendete er für öffentliche Auftritte bereits in jungen Jahren einen schwarzen, schulterlangen Fremdhaarputz, der noch sehr einfach gestaltet war und im Prinzip aus drei aneinandergefügten, breiten Haarteilen bestand. Diese Perückenart setzte sich in adligen Kreisen als Symbol für Würde, Macht und Eleganz bald durch. Das Perückentragen war auf einmal nicht mehr peinlich behaftet, sondern zeugte von einem gehobenen, verfeinerten Lebensstil. Entsprechend stieg die Nachfrage am französischen Hof, was zur laufenden Professionalisierung des Perückenhandwerks führte.
Während der Herrschaft von Ludwig XIV. (1638–1715), der auch in Sachen Mode «absolut» den Ton angab, erhielt der Perückentrend in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nochmals gehörig Aufwind. 1656 erfolgte die Gründung der ersten Innung der Barbiers-Perruquiers in Paris. Die königlichen Perruquiers revolutionierten das Perückenhandwerk grundlegend mit der Technik der Tressen: Auf schmale, gewebte Bänder wurden einzelne Haarbündel mit Seidenfäden aneinandergeknüpft. Mit diesen Tressen wurde anschliessend eine leichte, der Kopfform des Trägers angepasste Textilhaube benäht.
In jungen Jahren trug Ludwig XIV. sein braunes Haar in langen, wallenden Locken. Im Gegenzug verzichtete auf jegliche Gesichtsbehaarung – ein neuer, effeminierter «Look», der mit Spitzenkrawatten, Samtschuhen und Seidenstrümpfen noch verstärkt wurde. Als sich sein Naturhaar zu lichten begann, liess er dieses zunächst mit künstlichen Haarteilen vermengen. Ab 1673 behalf er sich mit einer Vollperücke: der Allongeperücke (allonger = frz. für verlängern), die mit brust- bis hüftlangen Kraushaaren ausgestattet war. Kreiert hatte sie sein Leibfriseur Benoît Binet 1670, weshalb sie zunächst nach diesem benannt war («Binette»).
Die Bezeichnung «Allongeperücke» stammt aus jüngerer Zeit. Ludwig XIV. erhob sie zur Staatsperücke und machte sie zum unabdinglichen modischen Accessoire am Hof. Sie zeichnete fortan das Stilbewusstsein und den sozialen Status der Träger aus. Zugleich war sie Sinnbild der übersteigerten höfischen Etikette am französischen Hof, von wo aus sie sich bald an alle Fürstenhöfe Europas verbreitete.
Während Ludwig XIV. im Schloss Versailles über ein eigenes «Cabinet des Perruques» verfügte und stets die besten Perruquiers und Frisöre am Hof beschäftigte, suchten andere den Perückenmacher in seinem Atelier auf. Dort wurden Bestellungen nach Mass gefertigt, wozu personalisierte Perückenköpfe dienten, oder günstigere Exemplare auf Perückenständern zum Direktverkauf angeboten. Der Perückenmacher kreierte nicht nur neue Perücken, sondern war auch für das «Accomodieren» (Auffrischen, Umarbeiten) gebrauchter zuständig.
Waschen konnte man die Perücken, die mit der Zeit entsetzlich stanken, nicht. Die Hygiene war – ganz allgemein in jener Zeit und nicht nur auf dem Kopf – katastrophal, für die Körperpflege hatte die «Trockentoilette» zu genügen. Kratzhand und Riechfläschchen waren ständige Begleiter. In einige Frisuren wurden sogar Läuse- und Flohfallen eingearbeitet: kleine Behälter oder auch nur einzelne Stoffstücke, die mit entsprechenden Lockstoffen versehen waren. Angelockt wurden die Flöhe von der Pomade, mit der die Perücken gefestigt wurden. Sie bestanden aus tierischen Fetten, die mit der Zeit ranzig wurden.
Gegen den Gestank parfümierte man die Perücken mit Essenzen von Amber, Lavendel, Nelken, Rosenblüten und Zimt. Von etwa 1700 an wurden die Perücken zudem häufig weiss gepudert, was als besonders nobel galt. Als Puder dienten Weizen-, Stärke- und Bohnenmehl, das mit Kaolin und Kreide gestreckt war.
Unter der Perücke war das Eigenhaar, falls überhaupt noch vorhanden, meist kurz geschnitten oder sogar geschoren. Dies aus praktischen, vor allem aber aus hygienischen Gründen, um den stark verbreiteten Läusen keinen «Nährboden» zu bieten.
Doch woher nahmen die Perückenmacher das massenhaft benötigte Haar? Neben Tierhaaren, vorwiegend vom Pferd, kam auch Menschenhaar zum Einsatz. Dieses stammte teilweise von Zuchthaushäftlingen und Kriegsgefangenen, hauptsächlich aber von ärmeren Frauen, die sich mit dem Verkauf ihres langen Haares ein wenig Geld dazuverdienten.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts blühte der europaweite Haarhandel. Haarsammler, viele von ihnen aus Flandern, gingen auf Wanderschaft von Dorf zu Dorf, wo sie Bauernmädchen und Frauen aus niederen sozialen Schichten Haar abkauften. Blondes oder silbergraues Haar war besonders gefragt, gefolgt von schwarzem, wobei natürlich gelocktes am wertvollsten war. Gerades wurde später gelockt und, vom 18. Jahrhundert an, wenn nötig auch gefärbt oder gebleicht.
Von 1700 an und besonders nach dem Tod Ludwigs XIV. (1715) lockerte sich das strenge Modediktat, die Allongeperücke verlor an Bedeutung. Es entwickelte sich eine Vielzahl kleinerer, leichterer und bequemerer Perücken, die kostengünstiger und für eine breitere Schicht käuflich waren, allen voran beim gehobenen Bürgertum in den Städten, bei Beamten, Ärzten, Richtern und Geistlichen.
Die Beliebtheit der Perücke machten sich die Herrschenden vielerorts zunutze, indem sie das Tragen einer solchen besteuerten. Insbesondere weiss gepuderte Perücken mit seitlich waagerecht angeordneten Locken verbreiteten sich in einer Variation an Modellen – 115 verschiedene verzeichnete die «Encyclopédie perruquière» 1764, darunter Knotenperücken, Stutzperücken, Haarbeutelperücken und Zopfperücken.
In Sachen Perückenmode waren die Männer den Frauen zunächst weit voraus. Doch auch die Damen des Adels frisierten ihr Haar im Verlaufe des 17. Jahrhunderts immer aufwändiger, indem sie es mit Fremdhaarteilen ergänzten und mit Schleifen, Spitzen, Blumen, Federn oder Perlen schmückten. In den Jahren um 1700 türmten sie ihr Haar gerne in mehreren Etagen stirnseitig mit speziellen Hauben auf («Coiffure à la Fontange»).
In den Siebzigerjahren des 18. Jahrhunderts drapieren sie ihre Haare – und zusätzliche fremde Haarteile – über immer grössere, kissenartige Polster («Coiffure de style Pouf»). Die Mode der übersteigerten Hochfrisuren kulminierte in überaus aufwendigen Konstruktionen aus Draht, Gaze und Bändern. Der völlig übertriebene, teils absurde Kopfputz war ein beliebtes Ziel für Karikaturisten.
Die prominenteste Vertreterin für solche frisurtechnischen Extravaganzen war Marie Antoinette (1755–1793), die Gemahlin des französischen Königs Louis XVI. (1754–1793). Ihre aufsehenerregenden Haarkunstwerke führten zu massiver Kritik. Zur harmlosesten gehörte jene ihrer Mutter Maria Theresia, die sie im März 1775 in einem Brief aus Wien verlauten liess: «(…) es handelt sich um Ihren Kopfputz, man sagt, dass die Frisur von den Haarwurzeln 36 Zoll in die Höhe geht und mit einer Menge Federn und Bändern geschmückt sei, die das alles heben! (…) Eine junge hübsche Königin, so voller Anmut, hat alle solche Tollheiten nicht nötig; (…) ich kann nicht anders, als sie vor diesen kleinen Übertreibungen zu warnen (…).»
In diesen Zeilen scheint bereits eine Ahnung der düsteren Zukunft Marie Antoinettes mitzuschwingen, deren Kopf 1793 bekanntlich unter der Guillotine landete ...
Genützt hat der mütterliche Tadel kaum, stand die bekannteste Frisurübertreibung doch erst an: Als das französische Kriegsschiff «La belle Poule» die Briten 1778 besiegt hatte, trug Marie Antoinette auf einem Ball ein Modell der siegreichen Fregatte in ihrer Hochfrisur, die ein wellenreiches Meer imitierte. Zahlreich kopiert, gingen diese und ähnliche Frisuren mit Motiven zu aktuellen Ereignissen oder Elementen wie kleinen Vogelkäfigen als «Coiffure à la belle Poule» in die Annalen der Kostümgeschichte ein.
Zahlreiche Stunden dauerte solch eine kostspielige Frisurenkreation, die man mehrere Tage, ja bis zu zwei Wochen zu konservieren versuchte. Dies war auch eine logistische Herausforderung, etwa bei der Fahrt in der Kutsche. Das erholsame Schlafen im Liegen war unmöglich, konnten die Frisuren, im Gegensatz zu den Vollperücken, nachts doch nicht einfach abgelegt werden.
Lausig, verstaubt und verfilzt – in etwa so muteten Perücken spätestens nach der Französischen Revolution an, verband man sie doch mit der reformfeindlichen Aristokratie und längst vergangenen Zeiten. Im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert kehrten höfische Kreise und das gehobene Bürgertum wieder zu mehr Natürlichkeit in der Kleidermode zurück, die sich vermehrt an leichteren, schlichteren Vorbildern aus England orientierte. Auch die Haartracht beider Geschlechter passte sich entsprechend an. Die meisten Männer trugen wieder Kurzhaarfrisuren, allenfalls ein Toupet, und die Frauen beschränkten sich auf die Verwendung von dezenten Haarteilen.
Nur bei den Galalivreen ihrer männlichen Bediensteten hielt der Adel an der «uniformen» Perücke fest – zwecks Gleichförmigkeit und Anonymisierung des Personals. Auch die Richter des Commonwealth behielten die Perücke als Würdesymbol in ihrer Amtstracht bei. Nach einem kurzen Perückenrevival in der Frauenmode der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts sind Perücken heute in unseren Gefilden vorwiegend an Theatern und während der Fasnacht im Einsatz – meistens aus synthetischen Fasern und «made in China».