Die Jahrtausendwende zu Beginn unserer Zeitrechnung war eine turbulente Zeit im heutigen schweizerischen Mittelland. Der römische Feldherr Gaius Iulius Caesar hatte bereits um 45/44 v. Chr. einzelne römische Kolonien in diesem Gebiet errichtet, insbesondere Noviodunum (heute Nyon) am Genfersee und Raurica (später Augusta Raurica, heute Augst) am Rhein. Es war dann aber der erste römische Kaiser, Augustus, der 15 v. Chr. Truppen von Nyon her und über die Alpen einrücken liess und innerhalb von zwei Jahren das ganze Gebiet der heutigen Schweiz und damit auch das Mittelland zur römischen Provinz machte.
Bis dahin hatten hier gallische Stämme gesiedelt, insbesondere die Helvetier und die Rauraker. Auf die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung hatte die römische Eroberung wenig Auswirkungen. Die Oberschicht bildeten weiterhin einheimische Eliten. Doch siedelten sich nun auch römische Soldaten, Veteranen und Gewerbetreibende an, und mit der römischen Verwaltung kamen Beamte. Die Römer brachten neue Institutionen, Gesetze, religiöse Bräuche und Lebensgewohnheiten ebenso wie neue Formen der Kunst, Architektur und Technik mit sich. So kam es zu einer Vermischung von Einheimischem und Römischem, es entwickelte sich eine neue, gallorömische Kultur.
Mit dem Handel, insbesondere aber mit der Verwaltung und der Religion hielt auch die Sprache des Römischen Reiches, das Lateinische, Einzug und breitete sich nach und nach auf Kosten des bisher gesprochenen Gallischen aus. Besonders die gallische Oberschicht eignete sich die neue Sprache schnell an, und das Gallische wurde innert kurzer Zeit aus dem öffentlichen Leben verdrängt und durch das prestigeträchtigere Latein ersetzt. Im privaten Bereich hingegen wurde es noch über längere Zeit weiter verwendet.
Die gallische Sprache ist hauptsächlich durch zahlreiche Inschriften aus Frankreich bekannt. Die Gallier hatten keine eigene Schrift entwickelt, sondern verwendeten in früher Zeit das griechische, später das lateinische Alphabet. Inschriftliche Funde im schweizerischen Mittelland sind rar. Immerhin fand man in Port bei Biel ein Schwert mit dem gallischen Namen Korisios in griechischer Schrift. Ebenfalls im griechischen Alphabet, aber in gallischer Sprache ist eine Inschrift auf einer Zinktafel verfasst, die auf der Engehalbinsel in Bern gefunden wurde. Es handelt sich um eine Weihinschrift für den gallischen Schmiedegott Gobannos.
Spätere schriftliche Zeugnisse verwenden das lateinische Alphabet. Eine Römervilla in Meikirch nahe Bern enthält Wandmalereien und fünf teils schlecht lesbare Inschriften, die neben lateinischem und griechischem offenbar auch gallisches Sprachgut enthalten. Bemerkenswert ist insbesondere die Form mapobi «mit den Söhnen», die nicht nur das gallische Wort für «Sohn», sondern auch eine typisch gallische Kasusform auf -bi zeigt, die im Lateinischen nicht existiert.
Davon, dass noch bis ins 3. Jh. n. Chr. Gallisch gesprochen wurde, zeugt ein fragmentarischer Graffito auf einer Wandmalerei aus der römischen Siedlung Augusta Raurica. Er enthält das gallische Wort ponc «als».
Allmählich begann man, insbesondere im offiziellen Kontext, auf Lateinisch zu schreiben. Weihinschriften etwa an die gallische Bärengöttin Artio aus Muri bei Bern oder an die ebenfalls gallische Pferdegöttin Epona aus Basel und Solothurn sind in dieser Sprache verfasst. Auch Grabinschriften sind im schweizerischen Mittelland erst in römischer Zeit belegt und ausschliesslich lateinisch, auch wenn die Verstorbenen oder ihre Angehörigen zum Teil noch gallische Namen wie Caratilius, Visurix, Prittusa, Ioincatia oder Matugenia tragen. Die Namengebung allein beweist nicht, dass die Namensträger noch Gallisch sprachen, da Namentraditionen einen Sprachwechsel überleben können.
Ein schöner Beleg dafür, dass das schweizerische Mittelland im 3. Jh. n. Chr. zweisprachig war und Gallisch und Latein nebeneinander existierten, ist eine kurze Inschrift auf einem Spinnwirtel aus Nyon. Spinnwirteln sind meist aus gebranntem Ton gefertigt und dienten zum Beschweren von Handspindeln. Beschriftete Spinnwirteln sind vor allem aus Frankreich bekannt, wobei sich die Texte in der Regel an Mädchen richten und zum Teil auch erotische Anspielungen enthalten.
Das Exemplar aus Nyon besteht aus einem lateinischen und einem gallischen Wort: ave vimpi. Ave ist die lateinische Grussformel, während es sich bei vimpi um ein gallisches Wort handelt, das «die Hübsche» bedeutet. Als ganzes kann die Inschrift somit als «Sei gegrüsst, Hübsche!» verstanden werden.
Das Gallische starb schliesslich ganz aus, wobei wir nicht genau wissen, von wem es wie lange und in welchem Umfang neben dem Lateinischen noch gesprochen wurde. Spätestens im 5. Jh. n. Chr. dürfte sich im schweizerischen Mittelland das Lateinische ganz durchgesetzt haben.
Danke mal wieder für den sehr interessanten Artikel hinsichtlich der helvetischen Geschichte.