Alle Jahre wieder ... kommen vor der kalten Jahreszeit nicht nur bald der Samichlaus und der Feiertagsstress, sondern auch die Spekulationen darüber, wie der Winter wohl sein wird. Die Winterliebenden in der Schweiz hoffen meist auf schön kühle und schneereiche Monate – und meistens werden sie enttäuscht.
So fiel der Winter 2022/23 extrem schneearm aus, der darauffolgende hingegen war äusserst nass – dafür aber, zumindest nördlich der Alpen, um fast vier Grad wärmer als der Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990. Damit war der letztjährige Winter teilweise sogar der wärmste seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen.
Ob Schnee- und Winterfans abermals enttäuscht werden, ist schwer bis kaum vorherzusagen. Aber wir können zumindest einmal einen vorsichtigen Blick auf den Zustand des Polarwirbels sowie auf die neusten Langfristprognosen der grossen Wetterdienste werfen.
Diese Woche haben uns erstmals richtig tiefe Temperaturen erreicht. Trotzdem lässt der erste Frost im Flachland noch auf sich warten. «In den kommenden Tagen wird es zwar knapp, vielerorts dürfte sich der erste Frost aber weiterhin nicht einstellen», schreibt der Schweizer Wetterdienst MeteoNews dazu. Das ist eher spät: Im langjährigen Mittel wird es demnach im Norden der Schweiz erstmals zwischen Ende Oktober und Mitte November frostig. Wahrscheinlich wird es aber in der zweiten Hälfte der nächsten Woche so weit sein. «Dies wäre aber dann deutlich später als üblich», so MeteoNews.
Grundsätzlich gilt: Ob und wann es so richtig kalt wird, hängt im Winter vom sogenannten Polarwirbel ab.
In den Wintermonaten entsteht jedes Jahr über den Polen abwechslungsweise ein sogenanntes Höhentief. Das bedeutet, es kommt in grossen Höhen zu extrem kalter Luft. Dem liegt zugrunde, dass in den Wintermonaten an den Polen das Sonnenlicht die hohen Breiten nicht mehr erreicht. Der Austausch der Luftmassen findet dadurch nur noch begrenzt statt.
In der Folge kann sich ein mächtiger, im Normalfall abgeschlossener Kaltluftkörper bilden. Abgeschlossen wird die Luft nämlich durch einen starken Jetstream, den Polarjetstream. Wie sich nun das Wetter in den verschiedenen Breitengraden gestaltet, hängt massgeblich von der Stärke und der Richtung dieses Starkwindbands ab: Ist die Lage wie im Bild links, dann besteht eine starke Westwindströmung bei uns. Das bringt keine extrem tiefen Temperaturen zu uns, dafür gelegentlich Sturmtiefs, die sich im Atlantik aufgebaut haben. Mit anderen Worten: Eine solche Lage mit starkem Jetstream und «eingeklemmter» Kaltluft über dem Nordpol äussert sich bei uns in Form eines eher milden, dafür niederschlagsreichen Winters.
Beginnt umgekehrt der Polarjetstream instabil zu werden, können Teile des Kaltluftkörpers abgedrängt werden. Dabei gelangt besonders kalte Luft aus dem Norden bis weit in den Süden hinein.
Wie sieht das derzeit aus? «Aktuell ist der stratosphärische Polarwirbel gut ausgebildet und aus dieser Sicht gesund», schreibt MeteoNews im aktuellen Meteoblog.
Und ein Blick in die Trends für den Polarwirbel zeigt: Das dürfte auch noch eine Weile so bleiben.
Das zeigt sich auch an den Prognosen für die Windverhältnisse: Auch der europäische Wetterdienst zeigt in fast allen Modellen weiter anhaltende Westwinde. Ein wirklich durchgreifende Durchmischung der oberen Kaltluft mit der unteren Luftschicht wird damit wohl nicht eintreffen, und extreme Kaltluftausbrüche bis weit nach Süden werden unwahrscheinlicher, so MeteoNews.
Und wie sieht es darüber hinaus aus? Um diese Frage zu beantworten, kann man sich die aktuellen Saisonprognosen der grossen Wetterdienste anschauen. Wichtig ist:
Der Unsicherheitsfaktor ist also gross, wirklich genau sind Wetterprognosen immer nur für die unmittelbar kommenden Tage. Langfristige Wetterprognosen werden gleichzeitig aber immer besser, so haben sie beispielsweise den Hitzesommer im Jahr 2022 ziemlich präzise vorausgesagt.
Institute und Behörden wie die National Centers for Environmental Prediction (NCEP) oder das die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA; Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde) aus den USA erstellen mittel- bis langfristige Prognosen für den Niederschlag, die Druckverteilung und die Temperaturen. In Europa gilt das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) als die beste Anlaufstelle für Prognosen, die etwas ferner in der Zukunft liegen. Aber auch der deutsche Wetterdienst oder das französische Pendant, Méteo France, ermitteln längerfristige Trends.
Als Grundlage langfristiger Prognosen dienen den Modellen zahlreiche Variablen innerhalb eines extrem komplexen Systems, darunter die Position und Bewegung des Jetstreams sowie verschiedene Luftdrucksysteme. Ausserdem entscheidend ist – zwar kaum für die Schweiz und Europa – die sogenannte ENSO, die El Niño-Southern Oscillation. Sie beschreibt das komplexe System im südlichen Pazifik, das sich in unregelmässigen Ausprägungen der Ozeantemperaturen und der Windsysteme äussert.
Sowohl das europäische als auch das US-amerikanische Wetter-Institut gehen davon aus, dass die kommenden Wintermonate von überdurchschnittlich hohem Luftdruck über dem Atlantik (auch als Azorenhoch bezeichnet) geprägt sein werden.
Die neusten Prognosen der NOAA prognostizieren dabei auch besonders für den Mittelmeerraum überaus hohen Luftdruck. Dasselbe gilt in abgeschwächter Form auch für einen Grossteil des europäischen Kontinents. Gleichzeitig scheint über Nord-Skandinavien eher ungewöhnlich tiefer Luftdruck zu herrschen.
Das könnte für das Wetter bedeuten: «Die Zugbahn der Tiefs scheint nach diesen Daten also in vielen Fällen eher weiter nördlich zu verlaufen», so MeteoNews. Mit anderen Worten: Grössere Wetter-Störungen in Form von Tiefdruckgebieten mit Niederschlägen, die aus der «Wetter-Küche», dem Atlantik, stammen, ziehen in diesen Wintermonaten eher nördlich der Schweiz durch.
Diese Luftdruckverteilung dürfte Auswirkungen, besonders auf den Niederschlag, haben. Insbesondere das US-Modell, in Teilen aber auch das europäische, prognostizieren entsprechend relativ viel Niederschlag für den Norden Europas und relativ wenig für den Süden. Die Schweiz scheint sich gerade dazwischen zu befinden. Hier sieht es also in der Tendenz und Niederschlags-mässig nach einem durchschnittlichen Winter aus.
Es ist mittlerweile keine Überraschung mehr, viel eher ist es die neue Normalität: Die Winter sind alle überdurchschnittlich warm. Dasselbe gilt mit ziemlicher Sicherheit auch für die kommenden Monate.
Was sich allerdings von Winter zu Winter unterscheidet, sind die erwarteten Temperatur-Hotspots. Kommenden Winter sieht es danach aus, als dass die Ausschläge gegen oben besonders im Nord-Osten Europas stattfinden. Kältepole, schreibt MeteoNews, suche man hingegen vergeblich. Und:
Was ist also das – vorsichtige und vorläufige – Fazit? Derzeit deuten die Wetter-Modelle (mal wieder) auf einen überdurchschnittlich warmen Winter hin. Sowohl der Zustand des Polarwirbels in naher Zukunft als auch die saisonalen Prognosen suggerieren zudem eine geringe Wahrscheinlichkeit für lange Kälteperioden, zumindest bis Ende Jahr. Überdurchschnittlich viel Niederschlag sowie grössere Wetter-Störungen dürften eher im Norden Europas vorkommen, im Süden hingegen sind unterdurchschnittliche Mengen wahrscheinlicher. Die Niederschläge in der Schweiz dürften durchschnittlich ausfallen – im Flachland aufgrund der (zu) hohen Temperaturen aber eher in Form von Regen als Schnee fallen.