Populärkultur
Lifestyle

Wenn Sie bei diesem Video weinen müssen, ist Ihnen leider nicht mehr zu helfen, finden wir

Ein Mann sagt: Ihr seid alle sooo schön!

Wenn Sie bei diesem Video weinen müssen, ist Ihnen leider nicht mehr zu helfen, finden wir

14.07.2014, 18:0216.07.2014, 20:31
Mehr «Populärkultur»

Wenn Sie die schon fast abartig glaubwürdige Street Credibility des John Legend verstehen wollen, dann müssen Sie bloss zwei Dinge kennen: «Django Unchained» und «Orange Is the New Black». Beides ist grossartig. Tarantinos Sklaven-Befreiungsfilm und die Netflixx-Frauen-Inhaftierungsserie.

Für Tarantino hat John Legend den Song «Who Did That to You» geschrieben, also quasi die Erkennungsmelodie des Films (scrollen Sie schnell ganz ans Ende dieses Artikels, wenn Sie nicht wissen, was ich meine). Und aus «Orange Is the New Black» hat er sich für sein neues Video zum Song «You & I (Nobody in the World)» Laverne Cox geliehen, eine Transgender-Darstellerin, die seit dem 10. Juli für einen Emmy nominiert ist. Es ist also einiges vom Feinsten in der Welt des John Legend.

Nichts ist besser, als die Makel der anderen zu sehen

Jetzt hat er sich für gute Taten einspannen lassen. Für die Fundraising-Aktion #OperationGirl. Es handelt sich dabei um eine «Charity Challenge», in der seit dem 9. Juli 78 Teams Geld für mädchenbezogene Projekte auf der ganzen Welt suchen. Im Wettbewerb um die grosszügigen Herzen führt am 14. Juli mit 12'000 Dollar eine Mädchenschule in Uttar Pradesh, die Geld für einen rund um die Uhr abgesicherten Schlafsaal sucht. Die meisten Teams haben allerdings noch gar kein Geld gesammelt, die Challenge läuft bis zum 18. August. 

Die Seele des Unternehmens ist nun eben der Beitrag von John Legend, in Amerika geht das Video mit dem schlichten, aber kathartischen Versprechen viral, dass es sein Publikum zum Weinen bringen wird. Also, ein Mann sagt darin den Frauen – unter anderem seiner eigenen Frau, dem Model Chrissy Teigen –, dass sie schön sind. Er sagt dies auch einer krebskranken Frau, einer, die Brustkrebs und einer andern, die einen Boxkampf hinter sich hat, einem Mädchen mit Down Syndrom, einem mit Zahnspange, einem weiteren, das nur eine Spange im Haar trägt, mehreren Bräuten, schwangeren, afroamerikanischen und asiatischen Frauen, einer Lesbe, einer Jüdin und eben einer Transsexuellen. Alle sind schön, nicht, weil sie sich dafür halten würden, sondern weil John Legend ihnen das so sagt.

«Wenn es dein Spiegel nicht klar macht, bin ich der eine, der's dich wissen lässt», singt der Mann, der den Frauen Selbstbewusstsein gibt beziehungsweise ein Spiegelstadium vermittelt. Denn der Kamerablick auf die Frauen ist immer der Blick des Spiegels. Also auf das Äussere und sonst nichts. Und so gut wie alle Frauen fahren sich irgendwann durchs Haar, diese erotisch konnotierte Masse also, deren aufdringliche manuelle Bearbeitung ebenso sehr nach Streicheleinheiten schreit wie ein bettelnder Hund. Und ganz zum Schluss sieht man den legendären John kurz, wie er seine Hand auf das vollkommene Rückendekolleté seiner Frau legt und sie sanft ins Schlafzimmer drängt.

Aber die Frauen schluchzen leis, wenn sie sich diese rührselig unterwürfigen Bilder anschauen, denn nichts sehen sie lieber als die Makel der anderen. Zum Beispiel Frauen, die nach der Schwangerschaft nicht sofort wieder dünn sind, Frauen mit Pigmentstörungen, Frauen nach Säureanschlägen, Frauen nach Krebsoperationen, die nicht (mehr) perfekte, die physisch versehrte Freak-Frau ist omnipräsent auf den sozialen Medienkanälen. Es ist, als handle es sich um eine kollektive Selbstkasteiung derer, die wissen, dass die zwanghaft optimierte Schönheit im Grunde eine Schönheit ohne Herz ist, dass es keine richtige Beauty gibt im falschen Gesicht. 

Und deshalb lieben sie dieses Video. Wegen der Katharsis. Nicht, weil das Schicksal der gezeigten Frauen weiter als knapp unter eine emotionale Oberfläche greifen würde. Wenn sie denen, die tatsächlich ein Schicksal haben, trotzdem etwas spenden, umso besser. Aber bis jetzt ist #OperationGirl noch nicht wirklich mit Geld geflutet worden. Hinter dem Spiegel verbirgt sich vielleicht ein weinendes Auge. Vor allem aber eine harte Mauer. (sme)

John Legend wählte für sein Video viele Unbekannte und zu guter Letzt Laverne Cox... 
... und Mrs. Legend, nämlich das Supermodel Chrissy Teigen.Alle Bilder via Youtube

Mehr zum Thema virales Frauenbild

John Legend singt «Who Did That To You» aus Tarantinos «Django Unchained»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
2 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
2