Die Schweiz darf am Eurovision Song Contest auf den ersten Sieg seit 1988 und den dritten überhaupt hoffen. Das 24-jährige Musiktalent Nemo gehört bei den Buchmachern mit seinem Song «The Code» zu den grossen Favoriten. Zu 44 Prozent landet Nemo demnach in den Top 10, rund 17 Prozent betragen die Siegchancen. Nur der kroatischen Band Baby Lasagna werden mit 26 Prozent noch höhere Siegchancen zugerechnet.
Damit Nemo am Ende ganz zuoberst auf dem Treppchen stehen kann, braucht es zunächst im Halbfinal und dann hoffentlich auch im Final die Unterstützung der restlichen Teilnehmerländer. Und genau da könnte der Haken liegen: Anders als viele andere ESC-Länder hat die Schweiz keine traditionellen Unterstützer.
Nicht einmal unsere Nachbarländer voten regelmässig mit hohen Punktzahlen für uns. Seit Einführung des aktuellen «Douze Points»-System im Jahr 1975 hat die Schweiz von den bis zu 12 möglichen Punkten von Deutschland im Schnitt lediglich 3,47 Zähler erhalten. Von Frankreich sind es 2,89 Punkte, von Italien 2,92 Punkte. Etwas besser schneiden die Österreicher ab, sie schenkten uns bislang immerhin 4,31 Punkte im Schnitt.
Damit gehört unser östlicher Nachbar bereits zu unseren grössten Unterstützern. Nur das ehemalige Jugoslawien hat uns zwischen 1975 und 1992 im Schnitt noch etwas besser bewertet. Rang 3 belegen zusammen die beiden Benelux-Staaten Luxemburg und die Niederlande, dahinter folgen die nordischen Länder Finnland, Dänemark und Island sowie Albanien und Nordmazedonien. Erst auf Rang 10 finden wir Deutschland.
Andere Länder haben «bessere Freunde». Aserbaidschan und die Türkei bewerten sich beispielsweise traditionell mit der Maximalwertung von 12 Punkten. Auch Griechenland und Zypern, Rumänien und Moldawien oder Spanien und Andorra sind sich stets gut gesinnt.
Etwas weniger eng, aber immer noch ausgeprägt sind die Bande zwischen den nordischen Ländern Schweden, Norwegen, Dänemark und Island. Zum Leidwesen der Schweiz wird Topfavorit Kroatien von seinen Nachbarländern deutlich besser unterstützt als die Schweiz. Von Bosnien und Herzegowina erhalten die Kroaten im Schnitt 8,0 Punkte, von Slowenien 7,8 Punkte und selbst von Serbien noch 7,0 Punkte im Schnitt.
Nicht alle Teilnehmerländer haben jedoch die Möglichkeit, einander zu bewerten. So kann die Schweiz beispielsweise im 2. Halbfinale am Donnerstag für die direkten Konkurrenten wie beispielsweise Dänemark oder Norwegen abstimmen. Im 1. Halbfinale am Dienstag tritt die Schweiz jedoch noch nicht an und darf daher auch nicht mitbestimmen, wer ins Finale einzieht.
Und wem vergibt die Schweiz im Schnitt die höchste Punktzahl? Es sind traditionell diejenigen Länder, die eine grosse Diaspora bei uns haben. Mit 7,31 Punkten im Schnitt führt Serbien die Liste an. Es ist keine gegenseitige Liebe: Im Gegenzug erhalten wir von den Serben nur gerade 2,1 Punkte im Schnitt.
Neben Serbien sind wir auch gegenüber Albanien, Italien, Portugal, Bosnien und der Türkei sehr grosszügig. Dahinter folgen schliesslich Irland und Schweden. Von unseren Nachbarländern vergeben wir am wenigsten Punkte an Österreich, das allerdings mit 3,0 Punkten nur knapp vor Frankreich (3,6) und Deutschland (3,4) liegt.
Natürlich sagt die Vergangenheit längst nicht alles über die Gegenwart aus. Mit einer gehörigen Portion Charme und einer extravaganten Performance kann Nemo sicherlich noch den einen oder anderen unerwarteten Punkt einheimsen. Gewisse Traditionen kann aber wohl selbst das Schweizer Musiktalent nicht brechen.
Einen ersten Eindruck der «Vetterliwirtschaft» zwischen den einzelnen Teilnehmerländern werden wir wohl schon am Dienstag im ersten Halbfinale ohne Schweizer Beteiligung erleben. Dort treten neben Topfavorit Kroatien nämlich auch dessen Nachbarländer Serbien und Slowenien an.
Nemo wird schliesslich am Donnerstag im zweiten Halbfinale mit der Startnummer 4 den ersten Aufritt haben. Wir begleiten sowohl die beiden Halbfinals als auch das grosse Finale vom Samstag (ab 21 Uhr) wie gehabt mit unserem mittlerweile legendär gewordenen Liveticker.
Wäre ich ja nie drauf gekommen