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Zensur an der Uni Fribourg? Warum das Netz Sturm läuft

Internet-Zensur an der Uni Fribourg? Warum dir ein «Ständer» zum Verhängnis werden kann

Wer auf dem Netz der Uni Fribourg auf den falschen Seiten surft, macht sich verdächtig. Das Rektorat der Hochschule setzt auf einen neuen Software-Filter, der gewisse Webseiten blockiert. Dabei geraten nicht nur pornographische Inhalte ins Visier, sondern auch politischer Extremismus oder Copyright-Verletzungen.
14.03.2017, 18:0315.03.2017, 11:20
William Stern
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Vergangenen Freitag loggt sich Daniel in der Aula der Universität Fribourg ins Uni-interne WLAN ein. Der Politikwissenschaftsstudent forscht im Rahmen eines Seminars zu Aufständen in autokratischen Regimes. Dafür will er das bekannte Tor-Netzwerk nutzen, eine Software zur Verschlüsselung digitaler Kommunikation. Der Zugriff auf die Website wird ihm jedoch verweigert – Torproject wird von der Uni Fribourg als sicherheitsgefährdend eingestuft.

Am gleichen Abend geht Daniel zuhause über das VPN der Universität ins Netz. Er will sein Fahrrad reparieren lassen und sucht nach einer Velowerkstatt. Als er die URL fahrraddoktor.ch ins Suchfeld eingibt, erscheint die gleiche Meldung:

«Access to the web page you were trying to visit has been blocked in accordance with UniFr policy.»
Bild
bild: zvg

Die Website wird als «adult» eingestuft – pornografisch. Ein hinreichend absurder Vorwurf, handelt es sich doch tatsächlich um eine – wenn auch noch in der Entstehung begriffene – Webseite eines Velo-Mechanikers. 

Von Malware bis Extremismus
Den Beschluss, gewisse Zugangsbeschränkungen im Uni-Netz zu installieren, fasste das Rektorat der Uni Fribourg vor mehr als einem Jahr. Eine Firewall der «neuen Generation» erlaube die Blockierung von gewissen Webseiten, schreibt Rektorin Astrid Epiney im Dezember 2015 in einem Communiqué an die Studierenden und Mitarbeiter der Universität. Damit soll der «Datenverkehr, der Malware enthält (z. B. kontaminierte Webseiten) sowie der Zugang zu Webseiten von spezifischen Kategorien» verunmöglicht werden. Neben Malware, also Schadprogrammen, die Computerviren übertragen, filtert die Uni nach mindestens fünf weiteren Kategorien:

- Adult (Pornographie)
- Hacking
- Proxy-avoiders-and-anonymizers
- Copyright-Infringement
- Extremism

Gleichzeitig werden Informationen über die User gespeichert, darunter die angesteuerte URL, das Datum, IP-Adressen, sowie je nach Fall der Benutzername. Nach sechs Monaten werden die Daten vernichtet.

Der Politikwissenschaftsstudent Daniel ist fiktiv, Beispiele und Konsequenzen sind real. Wer an der Uni Fribourg gewisse Webseiten ansteuert, steht schnell vor einer Schranke. Bis hierhin und nicht weiter.

Der Fall weckt Erinnerungen an den Sommer 2014. Damals wurde bekannt, dass die Universität Zürich auf ihrem Netz einen sogenannten Pornofilter einsetzt. Der Filter beliess es aber nicht bei pornographischen Websites, sondern setzte etwa auch den Mamablog des «Tages-Anzeiger» auf den Index. Nach wütenden Protesten der Studentenschaft und kritischen Artikeln in der Presse krebste die Universität schliesslich zurück.

Zensurvorwurf gegen die Universität

Aus der Ecke der kritischen Jurist*innen ertönen nun happige Vorwürfe an die Adresse der Uni-Leitung: Die Universität Fribourg betreibe eine «Netzzensur nach saudischen und chinesischen Massstäben», schreibt die linksgerichtete Hochschulgruppe in einer gemeinsamen Medienmitteilung mit dem Chaos Computer Club. Die Zugangsbeschränkungen der Universität würden mutmasslich Grundrechte wie etwa den Schutz der Privatsphäre oder die Meinungs- und Informationsfreiheit verletzen.

«Eine Sperrung des Zugangs zu Webseiten ist grundsätzlich eine Zensurmassnahme und geeignet, die Kommunikationsgrundrechte zu verletzen.»
Anwalt und MAZ-Dozent Andreas Meili

Florian Dietschi von den kritischen Jurist*innen Fribourg/Bern sieht in der Massnahme der Uni-Leitung eine klare Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit: «Es geht nicht an, dass der Staat mit Hilfe privater Unternehmen vorschreibt, auf welchen Seiten geforscht werden darf und auf welchen nicht.» Zudem sieht er die Gefahr einer Nonchalance beim Surfen: «Wenn die Uni Seiten wie Torproject sperrt, die zu sicherem Surfen anleiten, dann torpediert sie jegliche Bemühungen um Netzsicherheit. Das Argument der Universität, mit den Zugangsbeschränkungen mehr Sicherheit zu gewährleisten, wird so ad absurdum geführt.»

Medienrechtsanwalt und MAZ-Dozent Andreas Meili beurteilt die Zugangsbeschränkungen der Uni Fribourg kritisch: «Eine Sperrung des Zugangs zu Webseiten ist grundsätzlich eine Zensurmassnahme und geeignet, die Kommunikationsgrundrechte zu verletzen». Allerdings gelten die Zensurmassnahmen nicht absolut. Ob der Zugriff auf eine Website, die nicht gegen strafrechtliche Bestimmungen verstösst, blockiert werden soll, sei im Einzelfall zu prüfen.

Netzpolitik
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Die Universität Fribourg weist den Zensur-Vorwurf von sich. Als staatliche Institution habe man Fürsorgepflichten zum Schutze ihrer Mitarbeitenden und der Öffentlichkeit zu wahren, sagt Marius Widmer, Leiter der Medienstelle. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden dabei respektiert. Auch die «Einzelfälle» habe man im Blick, versichert die Universität Fribourg. «Alle NutzerInnen können jederzeit eine Neubeurteilung verlangen, wenn ihrer Meinung nach eine Seite fälschlicherweise blockiert wird», betont Mediensprecher Widmer.

Ob es sich dabei wirklich nur um Einzelfälle handelt, ist unklar. Wie die Beispiele des Torproject und der Fahrrad-Reparatur zeigen, ist der Software-Filter der Uni fehleranfällig. Auch andere unverdächtige Webseiten bleiben im Filter hängen, darunter etwa die Seite eines Jung-Branchenverbands im Raum Basel oder das Portal einer Barfuss-Community. 

In der Fehleranfälligkeit der Filtersoftware sieht Medienrechtsanwalt Martin Steiger das Hauptproblem. Es sei durchaus möglich, einen solchen Filter rechtskonform auszugestalten. «Das heisst aber noch lange nicht, dass er den beabsichtigten Zweck erfüllt.» Die Massnahme der Universität zeige vielmehr die Hilflosigkeit im Umgang mit kritischen Informationen und Schadsoftware im Netz.

Weiter als die anderen

Mit der Einführung der Netzsperre geht die Uni Fribourg einen Schritt weiter als andere Schweizer Hochschulen. «Die Universität Basel nutzt wie andere Schweizer Hochschulen die Kobik-Filterliste gegen Kinderpornografie», schreibt die Uni Basel auf Anfrage. Weitere Massnahmen seien weder aktiv noch geplant. Bei der Uni Bern tönt es ähnlich: «Aktuell kategorisiert oder blockiert die Universität Bern keine Webseiten». Es seien auch keine solchen Schritte geplant.

Auch die Uni Zürich beabsichtigt keine über die Kobik-Filterliste hinausgehenden Beschränkungen – der Shitstorm nach der Einführung des Pornofilters sitzt der Uni wohl noch immer tief in den Knochen. Einzig die Universität Luzern wendet ein ähnliches System an: «Wir blockieren spezifische IP-Adressen, wenn wir wissen, dass von diesen aus Malware verteilt wird», gibt die Medienstelle Auskunft. Eigene Filter werden hingegen nicht eingesetzt.

Zur Praxis der Uni Fribourg will keine der angeschriebenen Universitäten Stellung nehmen. Man äussere sich nicht zum Vorgehen anderer Hochschulen, heisst es unisono.

Software einer US-Firma?

Welche Software die Universität Fribourg zur Filtrierung einsetzt, ist nicht klar. Hernani Marques, Computerlinguist und Mitbegründer des Chaos Computer Clubs Schweiz, vermutet ein Programm der auf Cyber-Security spezialisierten US-Firma Palo-Alto-Networks. Entsprechende Tests hätten das mit «99-prozentiger Wahrscheinlichkeit» ergeben. Die Universität Fribourg liess eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.

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Auch auf die Frage, ob die Firewall der Universität gegen die Richtlinien des internationalen Hochschulnetzwerkes Eduroam verstösst, will die Universität keine Antwort geben. Eduroam ist ein internationales Hochschulprojekt, das Studenten ermöglicht, das WLAN von Partneruniversitäten kostenfrei zu nutzen. Die Uni Fribourg ist Teil des Eduroam-Netzwerkes.

«Es gibt verhältnismässigere Mittel, um die Sicherheit im Netz zu gewährleisten.»
Medienrechtsanwalt Martin Steiger

Regeln anstatt Blockade

Für Hernani Marques steht fest: Der regulierte Internetzugang an der Uni Fribourg beeinträchtigt nicht nur die Forschungsfreiheit, er öffnet auch dem Missbrauch Tür und Tor: «Mit der Überwachung der Internetuser wendet die Uni eine Methode an, die sonst nur in autoritären Staaten praktiziert wird». Der Chaos Computer Club fordere deshalb die Abschaffung der Blockade.

Anstatt gewisse Seiten zu blockieren, plädieren Steiger und Marques für eine Art Gentleman's Agreement zwischen der Uni und den Studenten: «Es gibt verhältnismässigere Mittel, um die Sicherheit im Netz zu gewährleisten.» Steiger verweist auf die üblicherweise vorhandenen Richtlinien, die die BenutzerInnen des Uni-Netzes auf gewisse Regeln verpflichten. «Wird dagegen verstossen, so kann die Uni die betreffenden BenutzerInnen zur Verantwortung ziehen.»

The Big Picture

Die Offensive der Netzaktivisten kommt nicht von ungefähr. Bei der Verhandlung des neuen Geldspielgesetzes entschied das Parlament vergangene Woche, zum ersten Mal überhaupt eine schweizweite Netzsperre einzuführen. Damit soll der Zugang zu ausländischen Casinos blockiert werden. Und weitere Sperren sind in Planung: Noch in diesem Jahr will der Bundesrat über Anpassungen des Urheberrechts und des Fernmeldegesetzes entscheiden.

Die Erotik der Fahrradreparatur

Wieso die Filtersoftware der Uni Fribourg die Website fahrraddoktor.ch in die Schmuddelecke versorgt hat, darüber kann nur spekuliert werden. Möglicherweise wurde dem Mechaniker die semantische Nähe zwischen Fahrrad- und Porno-Vokabular zum Verhängnis: «Montageständer» tönt für einen Software-Algorithmus offenbar eher nach erigiertem Glied als nach Reparaturwerkzeug – ein Schreibfehler («Lust» anstatt «Luft») liess bei der Filtersoftware die Porno-Alarmglocken wohl endgültig schellen. 

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bild: screenshot
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146 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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PhilippS
14.03.2017 18:42registriert September 2016
Wo hört das auf? Zuerst das NDG, dann das Büpf - ausländische Online-Casinos sollen auch illegal werden... Und jetzt eine Uni die Moralapostel spielt..!?!? Was soll das? Und immer wieder die gleiche Leier, man wolle "uns" schützen. Vor was genau? Und wer schützt uns vor unseren Beschützern?

Wacht auf Leute! Unsere Freiheitsrechte werden mit Füssen getreten und eine Mehrheit nickts ab...
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Kuunib
14.03.2017 18:17registriert März 2016
Was soll das TOR zu verbieten?
Warum blockiert man den freien Internetzugang einer Universität wo meinungsfreiheit und so am allerwichtigsten sind. Für mich macht das keinen Sinn, ich konnte auf dem Netzwerk meiner Schule Pornos schauen und verstehe nicht ganz weshalb man diese verbietet an einer Universität wo Schüler sowieso über 18 sind.
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Gantii
14.03.2017 18:38registriert Februar 2015
die schweiz ist in 3-5 jahren die zensurhochburg europas.
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