Aus Anlass der gestrigen Annahme des revidierten Geldspielgesetzes durch das Parlament publizieren wir eine aktualisierte Version dieses Hintergrundartikels von Anfang März 2017.
National- und Ständerat haben das revidierte Geldspielgesetz bereinigt und auf Antrag der Einigungskonferenz die letzten Differenzen ausgeräumt. Die wichtigsten Punkte des neuen Gesetzes: Erstens erweitert die grosse Kammer die Konzession für Schweizer Spielbanken um das Recht, Casino-Spiele online durchzuführen – damit erschliesst sich den Schweizer Spielbanken ein neuer Markt.
Zweitens soll dieser Markt vor ausländischen Anbietern geschützt werden: Internetanbieter wie Swisscom müssen künftig den Zugang zu ausländischen Online-Casinos (wie zum Beispiel die Branchenriesen 888poker, PokerStars und partypoker) blockieren. Damit hat das Parlament zum ersten Mal eine sogenannte Netzsperre eingeführt.
Welche Anbieter betroffen sind, entscheiden die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK) und eine interkantonale Aufsichts- und Vollzugsbehörde. Sie führen eine entsprechende Sperrliste.
>>> Hier geht's zum Entwurf des Geldspielgesetzes.
Um Marktanteile und sehr viel Geld: Netzsperren bedeuten eine Marktabschottung zur Befriedigung ökonomischer Interessen einer ganzen Branche. Das dürfte nicht nur den Spielbanken gefallen, deren Einnahmen wegen ausländischer Online-Angebote seit zehn Jahren darben (siehe auch Frage 4. Was sind die Konsequenzen?).
Die Spielbanken jubeln: Ihr intensives Lobbying hat sich ausgezahlt, die unliebsame Konkurrenz aus dem Ausland wird gesperrt. Neben der Spielbanken-Lobby plädieren Befürworter des Gesetzes (SP, FDP und CVP) mit dem Schutz von Spielsüchtigen.
Konsumentenschützer, Internetaktivisten, Vertreter der IT-Branche, der SVP, der Grünen und Grünliberalen hingegen sehen im Entscheid einen Angriff auf die Freiheit des Internets und sprechen von einem Dammbruch: Sie befürchten, dass bald auch in anderen Branchen Netzsperren folgen könnten.
Zudem bezweifeln die Gegner die Wirkung von Netzsperren: Erfahrungen aus dem Ausland hätten gezeigt, dass Blockaden unliebsame Anbieter nicht fernhalten würden, zudem könnten sie problemlos umgangen werden (siehe Frage 9.). Wer darunter leide, seien die Schweizer Pokerspieler und in weiterer Folge auch der Staat: Statt eine transparente gesetzliche Regelung zu schaffen, kämpfe er mit massivem Aufwand gegen Windmühlen (siehe auch Frage 11.).
Für die Umsetzung der Netzsperren muss eine neue Infrastruktur aufgebaut werden. Ist diese Technik mal vorhanden, könnte sie immer breiter genutzt werden. Das halten Experten für wahrscheinlich.
Sind diese Mauern erst mal hochgezogen, dürften somit weitere, vom Online-Geschäft gebeutelte Branchen ähnliche Forderungen stellen wie die Casinos: Die Schweizer Hotellerie beispielsweise sieht sich durch weltweit operierende Buchungsplattformen (Booking.com, AirBnB etc.) bedroht, der Detail- und Textilhandel durch Anbieter wie Amazon.de, Zalando.de oder Aliexpress.com gefährdet.
Befürworter der Netzsperren wenden allerdings ein, dass sich diese Angebote im freien Markt bewegen, Geldspiele hingegen einem regulierten Markt unterliegen.
Die Räte haben mit ihrem gestrigen Entscheid die letzten Differenzen ausgeräumt. Das Gesetz ist jetzt beschlossene Sache. Bevor es allerdings in Kraft tritt, muss es möglicherweise eine Volksabstimmung überstehen.
Räte einigen sich über das neue #Geldspielgesetz. Referendum gegen #Netzsperren startet am 10. Oktober 2017. https://t.co/paQ3a9tydy
— DigitaleGesellschaft (@digiges_ch) 27. September 2017
Die Gegner des Gesetzes haben bereits ein Referendum angekündigt – kommt es zustande, hat das Stimmvolk das letzte Wort.
Ja. Über Anpassungen des Urheberrechts und des Fernmeldegesetzes will die Regierung noch in diesem Jahr entscheiden. Im ersten Fall geht es um die Sperrung von Adressen, über die urheberrechtlich geschütztes Material wie Musik oder Filme abgerufen werden können (zum Beispiel kinox.to). Im zweiten um die Sperrung von Seiten, die Kinderpornografie anbieten. Heute tun dies Internetanbieter freiwillig mit der Bundespolizei. Neu soll sie der Bund dazu verpflichten können.
Technisch ist das Sperren von Webseiten kein Problem, wie Beispiele im Ausland (China etc.) seit Jahren zeigen. «Die jetzt beschlossenen Netzsperren funktionieren, indem die Webseiten der ausländischen Online-Casinos im ‹Domain Name System› (DNS) der Internetprovider gesperrt bzw. umgeleitet werden», sagt Stefan Thöni, Co-Präsident der Piratenpartei Schweiz.
Webseiten sind auf Webservern gespeichert und jeder Webserver verfügt über eine eindeutige IP-Adresse (z.B. 82.197.184.234). Da diese numerischen Adressen für Menschen nicht einfach zu lesen bzw. zu merken sind, wird jede IP-Adresse in einen leicht verständlichen Domain Name übersetzt (z.B. watson.ch). Dies geschieht automatisch im Hintergrund über sogenannte DNS-Server der Internet-Provider. Das DNS übersetzt also Domains wie pokerstars.com in IP-Adressen, fungiert demzufolge nach dem gleichen Prinzip wie ein Telefonbuch.
Die Provider können entweder ganze Webserver mit IP-Adresssperren blockieren (davon können tausende Webseiten betroffen sein) oder gezielt einzelne Webseiten durch DNS-Sperren für den Zugriff aus der Schweiz sperren. Bei IP-Adresssperren filtern Swisscom und Co. die Webseiten-Aufrufe ihrer Kunden nach IP-Adressen und blockieren diese. Oder sie leiten die Anfrage auf eine Webseite um, welche die Kunden darüber informiert, dass eine gesperrte Webseite angefragt wurde.
Solche IP-Sperren erfassen alle Webseiten oder Apps, die unter der gesperrten IP-Adresse abrufbar sind bzw. sich auf dem gesperrten Webserver befinden. Dies kann im schlimmsten Fall zur unbeabsichtigten Sperrung von unbeteiligten ausländischen Webseiten führen.
Bei DNS-Sperren werden gezielt einzelne Webseiten blockiert bzw. die Nutzer werden auf eine Webseite umgeleitet, die informiert, dass eine gesperrte Webseite angefragt wurde. Bei verschlüsselten Webseiten – und davon gibt es immer mehr – funktionieren solche Umleitungen indes nicht.
«Das ist sehr einfach: Man konfiguriert einen alternativen DNS-Server statt desjenigen seines Internetproviders. Bekannt sind zum Beispiel die DNS-Server von Google mit der einprägsamen IP-Adresse 8.8.8.8, die in Amerika stehen und weitestgehend zensurfrei sind», sagt Thöni.
Alternativ kann man statt beispielsweise pokerstars.com auch direkt die IP-Adresse des Pokerstars-Webservers (77.87.181.63) im Webbrowser eingeben, um die Sperre auszuhebeln.
Auch IP-Adresssperren können einfach umgangen werden, «ohne dass etwa die Strafverfolgungsbehörden in der Lage wären, die Umgehung zu erkennen, nachzuweisen oder gar zu verhindern», schreibt der Wirtschaftsverband Swico, der die Interessen der Schweizer IT-Unternehmen vertritt.
Der Verband gibt auf seiner Webseite selbst Tipps, wie man die Sperren umgeht: IP-Adresssperren und DNS-Sperren können auch durch Einwahl in Virtuelle Private Netzwerke (VPN) umgangen werden. Dadurch kann der Nutzer über einen VPN-Server im Ausland auf die gesperrten Webseiten zugreifen. Beide Arten von Sperren können zudem durch Werkzeuge zur Anonymisierung des Internetverkehrs umgangen werden, beispielsweise durch Tor (www.torproject.org).
Wie leicht das Umgehen ist, veranschaulicht folgendes Bild: VPN gibt es gratis und vorinstalliert im Browser Opera.
Zudem dürfte sich rasch herumsprechen, dass die Sperre auch durch die Verbindung direkt über eine Anbieter-App bequem umgangen werden kann.
Laut Kritikern wie Swico oder der Digitalen Gesellschaft Schweiz machen Sperrlisten das Internet unsicher und fördern die Online-Kriminalität. Die Begründung: Schweizer Internet-Provider würden gezwungen, die Datenübertragung, die bei jedem Aufruf von Webseiten erfolgt, zu fälschen. Dies öffne Phishing-Angriffen von Kriminellen Tür und Tor.
Eigentlich sollte eine Technik namens DNSSec mutwillige Umleitungen auf gefälschte Internetseiten, die etwa E-Shop oder E-Banking-Passwörter von Usern ausspionieren, verhindern. «Mittels DNSSec werden die einzelnen Einträge im Domain Name System vom Aussteller digital unterschrieben. Für Netzsperren müssen solche Signaturen gefälscht oder umgangen werden, sonst kommt es zu Fehlermeldungen», sagt Thöni. Damit werde etwa die Technologie zur Erkennung von kriminellen Phishing-Webseiten geschwächt und damit der weltweit koordinierte Kampf gegen die Internetkriminalität gefährdet.
«Geldspiele sind für ausländische Casino-Betreiber nur dann interessant, wenn diese viel Geld einnehmen können. Um schwarze Schafe zu hindern, kann daher bei den Zahlungen der Spieler angesetzt werden», sagt Thöni. Statt Netzsperren solle der Staat also die Finanztransaktionen aus den Online-Spielen regulieren, da die Banken und Kreditkartenanbieter bereits Mechanismen gegen Geldwäscherei implementiert haben. Diese könnte man auch bei Geldspielen nutzen.
Kritiker von Netzsperren weisen zudem darauf hin, dass Netzsperren im Ausland oft nicht das erwünschte Resultat erzielt hätten. Erfolgsversprechender seien polizeiliche Ermittlungen gegen Anbieter illegaler Online-Angebote. Auch in der Schweiz hat die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK) mit dem Strafrecht Möglichkeiten zur Hand, gegen unkonzessionierte Anbieter im Ausland vorzugehen – indem die Hintermänner illegaler Angebote polizeilich ermittelt werden.