Herr Schlauri, wenn Telekom-Firmen Google-Werbung für ihre Kunden abschalten, ist das eine gute Idee?
Ich glaube nicht. Wobei noch nicht ganz klar ist, ob das lokal auf den Handys geschehen soll oder gleich im Netz und dann auch bei Desktop-Nutzern Auswirkungen hat.
Es gibt wohl zwei Varianten: Bei der einen kann jeder Kunde selbst entscheiden, ob er die Google-Anzeigen noch kriegen will und bei der zweiten Variante nicht.
Ah, das Zweite ist das, was jetzt als «Die Bombe» rumgereicht wird. Das hätte dann wohl Auswirkungen auf alle Geräte aller Endnutzer, wenn es so ist, wie dargestellt. Dann werden die Anzeigen bereits im Netz herausgefiltert, bevor sie auf den Geräten ankommen. Es käme nicht mehr darauf an, ob man am Handy oder PC sitzt.
Also, dann nochmal die Frage: Gute Idee oder schlechte Idee?
Die Telekommunikationsfirmen wollen Google und andere grosse Internet-Firmen unter Druck setzen. Die Argumentation dahinter: Die grossen Content-Provider profitierten von den Infrastrukturen der Telcos, würden aber nichts daran zahlen. Und man möchte Google mit der Blockade offenbar dazu bringen, für diese Infrastruktur zu zahlen. Die Argumentation ist allerdings nicht besonders gut.
Warum? Es stimmt doch. Ohne Swisscom-Netz gibt es auch kein Google, kein Facebook und kein Twitter.
Natürlich sind die grossen Internetfirmen auf die Netzinfrastrukturen in den einzelnen Ländern angewiesen. Aber es ist umgekehrt genauso: Wenn die Netzinfrastruktur keine Inhalte hat, die sie transportieren kann, dann hat der Betreiber der Netzinfrastruktur auch nichts zu verkaufen. Das ist eine sehr stark symbiotische Beziehung, gerade was Google betrifft.
Warum gerade was Google angeht?
Können Sie sich noch an Altavista erinnern? Diese Suchmaschine war viel schlechter als Google. Ohne Google wäre das Internet heute kaum zu gebrauchen. Google organisiert das Internet und macht es erst so nutzbar, dass es sein ganzes Potenzial entfalten kann. Die Behauptung, Google würde einseitig von den Providern profitieren, ist so also einfach nicht haltbar. Zudem muss man sagen, dass es ja am Ende immer die Endkunden sind, die die Daten von Google anfordern. Entsprechend ist das herkömmliche System, nach dem die Endkunden und die Contentprovider jeweils für ihren eigenen Anschluss zahlen, schon fair. Es ist nicht nötig, die Contentprovider nun auch noch für die Anschlüsse der Endkunden zahlen zu lassen.
Ok, man hört heraus, dass Sie es für keine gute Idee der Telcos halten, Google-Anzeigen für ihre Kunden abzustellen.
Nein, und zwar nur schon von den Machtverhältnissen her nicht. Stellen Sie sich vor, Google stellt umgekehrt als Gegenreaktion seine Dienste für die Kunden der betreffenden Telcos ab. Ich glaube nicht, dass die europäischen Provider diesen Kampf gewinnen können. Die europäischen Verleger haben ja etwas ähnliches versucht und von Google Geld für das Listen ihrer Artikel verlangt, worauf Google einfach damit gedroht hat, ihre Artikel nicht mehr im gleichen Umfang in der Suche aufzuführen.
Sie glauben, Google würde Gegenmassnahmen ergreifen?
Wenn die Provider versuchen, Google unter Druck zu setzen, gehen sie das Risiko ein, dass Google seine Dienste für sie sperrt und ihnen in der Folge die Kunden davonlaufen. Die Frage ist vielleicht, ob Google das aus wettbewerbsrechtlicher Sicht tun darf, weil das Unternehmen marktbeherrschend ist. Allerdings sind die Provider wohl auch marktbeherrschend, was den Zugang zu ihren Kunden angeht. Ich wäre daher als Provider eher vorsichtig. Es ist alles andere als klar, dass man Google Gegenmassnahmen verbieten könnte.
Aber vielleicht will ich als Kunde das ja so, dass ich keine Google-Anzeigen mehr kriege?
Natürlich, das ist zumindest kurzfristig in Ihrem Sinn als Kunde. Langfristig aber eher nicht, weil ohne Werbung viele Angebote im Internet nicht überleben werden und die Vielfalt abnehmen wird. Zudem ändert das nichts daran, dass die Argumentation der Telcos, die Content-Provider müssten sich den Kosten für die Infrastruktur beteiligen, an den Haaren herbeigezogen ist.
Trotzdem muss es nicht auf einen Kampf Telcos gegen Google rauslaufen. Man kann ja den Kunden einfach die Option ‹Google Switch Off› wählen lassen und dann die Verantwortung auf die Kunden abschieben.
Ja, grundsätzlich geht man davon aus, dass die Netzneutralität dann nicht verletzt ist, wenn der Endkunde die Entscheidung trifft, ob bestimmte Daten blockiert werden. Beispielsweise bei Jugendschutzfiltern, die der Kunde selber konfigurieren kann. Der Teufel steckt aber im Detail: Die Provider könnten die Einstellung für den Kunden zur Blockade der Werbung irgendwo gut verstecken, so dass möglichst niemand sie findet, und sie könnten sie vorgabeweise einschalten. Das ist dann faktisch keine freie Wahl des Kunden mehr. Hier würde ich dann doch von einer Netzneutralitätsverletzung ausgehen.
Netzneutralität spielt da eine Rolle?
Ja, natürlich. Netzneutralität heisst, dass die Internetprovider alle Contentprovider und ihre Inhalte gleich behandeln müssen, sowohl auf einer technischen als auch auf einer kommerziellen Ebene. Wie ich gesagt habe, gehe ich aber davon aus, dass sich Google hier schon zur Wehr setzen würde.
Und bei kleineren Internetfirmen?
Diese haben keine solche ‹Gegenmacht›, wie Google sie hat. Die Internetprovider könnten also die kleinen Contentprovider zwingen, Geld zu zahlen für den Zugang zu ihren Endkunden.
Das ist heikel, und zwar deshalb, weil vor allem die kleinen Anbieter damit ihren einfachen Marktzugang verlören. Stellen Sie sich vor, anstatt einfach einen Server mit etwas Software am Internet anzuschliessen und so auf den Markt zu gelangen mit einem Angebot, müssten die Contentprovider zuerst mit allen Internetprovidern Verhandlungen führen, zu welchem Preis sie deren Kunden erreichen könnten. Das führt zu massiv höheren Markteintrittsschranken, und damit zu weniger Wettbwerb und zu weniger Auswahl auf dem Internet. Alles klar?
Verstanden.
Nur noch die grossen Anbieter könnten sich diesen Verhandlungsmarathon leisten.
Die Situation mit der Blockade von Werbung, die die Angebote im Internet kaputt zu machen droht, ist übrigens sehr ähnlich zu den Netzneutralitätsverletzungen, die wir in der Schweiz schon länger erleben. Heute bieten die drei grossen Schweizer Mobilfunkprovider ihren Kunden zu gewissen Internetdiensten Gratisdaten an. Orange zum Beispiel bietet seinen Kunden Gratisdaten für Zattoo und Spotify an. Auch das ist kurzfristig im Interesse der Kunden, denn die Kunden zahlen weniger. Für die Zattoo-Konkurrenz Wilmaa heisst das aber, das die mittlerweile kaum mehr an diese Kunden herankommen. Damit gibt es weniger Wettbewerb, die Qualität der Dienste nimmt auf längere Zeit ab.
Das ist dann nicht im Interesse der Kunden.
Eben. Genauso wie es nicht im Interesse der Kunden ist, wenn die Internetprovider Werbung sperren.
Netzneutralität soll – das zeigt das Beispiel mit Wilmaa und Zattoo gut – dafür sorgen, dass die Kunden und nicht die Internetprovider entscheiden können, welche Angebote genutzt werden. Nur so setzt sich am Schluss das beste Angebot durch. Und daran haben auch die Internetnutzer ein Interesse.
Wenn Sie sagen, die Telcos seien so mächtig, dass sie die die Netzneutralität verletzen können, wieso sollte es dann nicht gelingen, Google Zugeständnisse abzuringen? In der Frage des Rechts auf Vergessen im Internet hat es auch funktioniert.
Ja, Google löscht derzeit mit riesigem Aufwand Links aus seinem Suchindex, die zum Beispiel auf rufschädigende Inhalte verweisen. Und in der Schweiz hat Google letztlich auch im Streit mit dem Datenschützer um Street View einlenken müssen. Aber das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. In diesen Fällen setzten Gerichte, Regierungen oder allenfalls Wettbewerbsbehörden Leitplanken. Daran halten sich die grossen amerikanischen Internetfirmen grundsätzlich, um den Markt nicht zu verlieren.
Wieso lässt sich denn Google überhaupt auf solche Spielchen ein? Europa ist nur ein kleiner Teil der Welt. Der Rest steht diesen globalisierten Kunden doch komplett offen und es gibt viel weniger Widerstand oder Hindernisse durch Kartell- oder Datenschutzbehörden.
Wir sprechen hier im Falle der EU immerhin von 500 Millionen Einwohnern, die auch potentielle Kunden sind. Das ist ein zu grosses Stück des Kuchens, um einfach davon abzulassen. Und die Europäer haben im weltweiten Vergleich eine hohe Kaufkraft. Deshalb unternehmen Google, Facebook und andere Firmen aus dem Silicon Valley auch Anstrengungen, um den Datenschutz- und anderen Vorschriften gerecht zu werden. Europa ist zu gross, um einfach fallen gelassen zu werden. Auch für die Internetriesen.
Sie haben gesagt, die Auseinandersetzungen zwischen Internetriesen und Behörden seien nur eine Art der Auseinandersetzung. Was ist die andere Art?
Im anderen Fall sind es eben privatwirtschaftliche Auseinandersetzungen, in denen grosse Player mit den Muskeln spielen. Und da hat Google bessere Karten.
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