Eine neue Schlichtungsstelle vermittelt ab heute bei Streitigkeiten zwischen Kunden und den Internetanbietern bei einer allfälligen Verletzung der Netzneutralität. Swisscom, Sunrise, Salt sowie UPC Cablecom haben Ende 2014 einen Verhaltenskodex unterschrieben, der sie verpflichtet, ihre selbst auferlegten Verhaltensrichtlinien einzuhalten.
«Internetnutzer, welche der Meinung sind, ihr Internetanbieter verletze den Verhaltenskodex zur Netzneutralität, können die neue Schlichtungsstelle anrufen, wenn die vorgängigen Gespräche mit dem Netzbetreiber zu keiner Klärung geführt haben», heisst es in der Medienmitteilung von Swisscom. Die Schlichtungsstelle werde durch die Mobilfunkanbieter finanziert, arbeite aber unabhängig.
@telekuh Die Schlichtungsstelle wird durch die Unterzeichner des Kodex finanziert. Sie arbeitet unabhängig und unparteiisch.
— Swisscom Medienteam (@Swisscom_Medien) September 1, 2015
Ein Beispiel für einen Verstoss gegen die Netzneutralität wäre der folgende fiktive Fall: Frau Muster nutzt ein Mobilabonnement von Swisscom, Sunrise oder Salt. Nun möchte sie die Musik-Streamingdienste Google Music oder Apple Music nutzen. Als sie diese aufruft, zeigt das Smartphone an, dass diese Apps gesperrt sind oder das Datenvolumen belasten und sie doch stattdessen Spotify nutzen soll, das ihr Datenguthaben nicht belastet. Die Schlichtungsstelle müsste nun prüfen, ob das Verhalten der Mobilfunkanbieter legal ist.
Unter Netzneutralität versteht man, dass alle Daten beim Transport durch das Internet gleich behandelt werden, unabhängig von Absender, Empfänger, Dienst, Anwendung oder Inhalt. Konkret heisst dies, dass Videos, Musik und Webseiten von Internetfirmen wie YouTube, Facebook oder watson von den Internetprovidern gleich schnell über ihre Datennetze transportiert und nicht blockiert werden.
Von einigen Beispielen abgesehen war das Internet bislang weitgehend offen. Alle Anbieter von Internet-Diensten wurden von den Internetprovidern gleich behandelt. Die Provider drängen jedoch seit längerem auf das Zwei-Klassen-Internet. Videos, Musik oder Webseiten von Firmen, die für die Netznutzung bezahlen, sollen schneller zu den Nutzern transportiert werden.
Die Folge: Wer nicht bezahlt, wird ausgebremst. Dies sei notwendig, um den rasant wachsenden Datenverkehr bewältigen zu können, sagen Swisscom und Co. Damit würde das bislang geltende Prinzip der Netzneutralität aufgegeben.
Technisch ist es heute kein Problem, dass Provider Daten im Internet beim Transport blockieren oder verlangsamen. Zum Beispiel wurde der Streaming-Dienst Netflix vom mächtigen Netzbetreiber Comcast in den USA bewusst gedrosselt. Auch Skype wurde von Mobilfunkanbietern blockiert oder verlangsamt.
Kenner des Themas befürchten, dass mit dem Ende der Netzneutralität grosse Anbieter wie Google, Facebook oder «20 Minuten» von der Bevorzugung durch die Internetprovider profitierten, kleine Rivalen wie Teleboy, Threema oder watson würden benachteiligt.
Konkret: Während finanzstarke Firmen wie WhatsApp das Geld haben, um für die schnelle Übertragung von Milliarden Kurznachrichten zu bezahlen, hätten kleine Konkurrenten wie Threema kaum die notwendigen Mittel.
«Die grossen Internetprovider nutzen ihre Marktmacht aus. Würde die kleine Swisscom von Google für den Transport der YouTube-Videos Geld verlangen, würden die Amerikaner bloss lachen. Bei kleineren Internetdiensten besteht jedoch die Gefahr, dass sie zur Kasse gebeten werden, damit ihre Angebote gleich schnell wie jene von Google oder Facebook übertragen werden», sagte Rechtsanwalt Simon Schlauri im Interview mit watson.
Die neue Schlichtungsstelle arbeitet auf der Grundlage der freiwilligen Verhaltensregeln zur Netzneutralität von Swisscom, Sunrise, UPC Cablecom und Salt. Absolut neutral, wie der Begriff Netzneutralität es vermuten liesse, sei das Internet nie gewesen und könne es auch nicht sein, heisst es in den Erläuterungen zum Kodex. «Nicht alle Daten, welche durch das Internet fliessen, werden und sollen gleich behandelt werden», schreiben die Provider.
Unabhängige Experten der Digitalen Gesellschaft haben den Kodex bereits Ende 2014 harsch kritisiert. Die Provider wollten damit lediglich einer strengeren Regulierung durch den Bund zuvorkommen, argumentieren sie. Der Bund könnte das offene Internet per Gesetz vorschreiben. In den USA hat die zuständige Behörde FCC bereits Anfang Jahr strenge Regeln zur Wahrung der Netzneutralität verabschiedet.
Schweizer Internet-Experten bemängeln, der freiwillige Verhaltenskodex der Provider habe mit Netzneutralität wenig zu tun, da gewisse Dienste (Streaming, Web-TV, Internet-Telefonie etc.) mit reduzierter Übertragungskapazität oder mit Datenlimiten zur Verfügung gestellt werden dürfen, sprich Anbieter von Internet-Diensten weiter diskriminiert würden.
@Olibach die Schlichtungsstelle ist nicht mehr als ein Feigenblatt. #Netzneutralität ist was anderes als dieser Pseudo-Codex. @simonschlauri
— Fredy Kuenzler (@kuenzler) 1. September 2015
Laut der Digitalen Gesellschaft bietet der Verhaltenskodex der Schweizer Internet-Provider unter anderem aus den folgenden Gründen keine Gewähr, dass die Netzneutralität gewahrt werde:
die zurückgeblibenen schweizer politiker schaffen es trotzdem nicht ein entsprechendes gesetz zu lancieren... die kriminellen provider die ansonsten für alles technisch 'anspruchsvolle' zu inkompetent sind - zb. fakerufnummern zu blockieren, roaming abschaffen usw. - riechen hier das grosse geld.
bald sind wahlen und von wichtigen themen wie diesem ist leider von keinem politiker etwas zu hören.. eine schande für ein land das rund ums thema neutralität ansonsten wohl die grösste fresse überhaupt hat.