Ab in den Süden, hiess es dieses Wochenende für viele Schweizer. Trotz schlechten Wetters im Tessin und in Italien stauten sich die Autos vor dem Gotthardnordportal kilometerlang.
Nicht nur dieser Tage ist das Verkehrsaufkommen auf den Nationalstrassen gross. An den zwanzig grössten Zählstellen registrierte das Bundesamt für Strassen (Astra) 2013 eine Zunahme von 2 Prozent. Der Verkehr wuchs damit deutlich stärker als die Bevölkerung. Bei der Zählstelle Luzern Reussporttunnel registrierte das Astra ein Plus von über 15 Prozent, in Bern Felsenau eines von über 4 Prozent. Den Schweiz-Rekord hält die Zählstelle Wallisellen: 142'000 Autos zwängten sich dort täglich über die A 1 – so viele wie noch nie.
Noch deutlicher wird das überproportionale Wachstum des Strassenverkehrs im Fünfjahresvergleich. Am Gubrist etwa nahm der Verkehr in dieser Zeit um 13 Prozent zu. Im Zehn-Jahres-Vergleich zeigt sich ein weiterer Schwerpunkt: Knapp 30 Prozent mehr Autos bewegten sich letztes Jahr durch den Bareggtunnel als noch 2003.
Für Max Nötzli, Präsident von auto-schweiz, hängt das Wachstum vor allem mit geändertem Konsumverhalten zusammen. Immer häufiger liessen sich Einkaufszentren und mit Aldi und Lidl auch Detailhändler mitten im Grünen nieder. Das entziehe den Innenstädten attraktive Geschäfte und sorge für die Verkehrszunahme auf den Autobahnen. Ändern könne dies nur eine entsprechende Raumplanung. Diese sei aber in den letzten Jahren genauso vernachlässigt worden wie der Autobahnbau. Werde die Nordumfahrung Zürich dereinst sechsspurig, sei dies schon bei der Eröffnung zu wenig. Eine weitere Erklärung liefert Stefan Holenstein, Generaldirektor des Automobil Clubs der Schweiz (ACS). Neben Zuwanderung habe die überalterte Gesellschaft zur Folge, dass der moderne Mensch länger Auto fahre.
Im Kampf gegen den totalen Verkehrskollaps setzt das Astra auf verschiedene Massnahmen. Einerseits ist auf gewissen Abschnitten des Nationalstrassennetzes während der Stosszeit nur Tempo 80 erlaubt. Andererseits gehören Elefantenrennen bald der Vergangenheit an. Auf rund 650 Kilometer heisst es für Lastwagen nämlich «Überholen verboten». Das entspricht rund einem Drittel des Nationalstrassennetzes.
Auf 100 Kilometern bestand das Verbot schon immer. Seit Ende des vergangenen Jahres sind nun auf 290 weiteren Kilometern im Raum Bern, Wallis, Zürich und Winterthur erste neue Überholverbote für LKW in Kraft. Auch um Lugano und Chiasso wurden Elefantenrennen ausgebremst. Dort gilt das Verbot seit Anfang Jahr auf 50 Kilometern.
Zur gleichen Zeit rüsteten auch die Zentral- und Nordwestschweiz ihre Strassen mit Verbots-Signalisationen aus. Insgesamt dürfen Lastwagen dort auf 208 Kilometern nicht mehr überholen. Noch sind nicht alle Streckenabschnitte mit Verbotstafeln ausgerüstet. Bis Ende Mai ist es dann so weit. «Erste Erfahrungen zeigen, dass die Massnahme im Kampf gegen Staus und Unfälle wirkt», sagt Andreas Rüegger von der Filiale Zofingen des Astra. Der Verkehr sei fliessender, da überholende Lastwagen auf der linken Fahrspur keinen Handorgeleffekt auslösten. Noch sind die Verbotstafeln fix installiert. Künftig sollen sie allerdings streckenweise dynamisch funktionieren. Ein Verbot wird dann je nach Verkehrsaufkommen signalisiert. Lastwagenchauffeure, die sich nicht daran halten, werden verzeigt.
Der Nutzfahrzeugverband Astag unterstützt die Massnahme gegen Elefantenrennen. «Sofern das Überholverbot zeitlich und örtlich begrenzt ist, sind wir damit einverstanden», sagt André Kirchhofer, Mitglied der Geschäftsleitung. Beim Verband sei man sich bewusst, dass unnötige Überholmanöver von Lastwagenfahrern in der Vergangenheit zu massiven Imageschäden führten. Gegen ein gesamtschweizerisches Verbot wehrt sich Kirchhofer aber vehement. «Überholverbote sind nur ein kosmetischer Eingriff. Viel wichtiger wäre die Beseitigung von Engpässen.»
5,5 Milliarden Franken stehen bis 2028 gesamthaft für den Vollausbau im «Programm Engpassbeseitigung auf Nationalstrassen» zur Verfügung. Wollte man alle erkannten Engpässe auf diese Art eliminieren, wären laut Astra aber zusätzliche 15 Milliarden nötig. «Insbesondere bei der Realisierung von Infrastrukturen besteht Handlungsbedarf», sagt ACS-Direktor Stefan Holenstein. Ein Alltagsrezept gegen das Wachstum gebe es aber nicht. «Mobilität hängt unmittelbar mit Wohlstand zusammen», sagt er. «Dieser Trend lässt sich kaum stoppen.»