Die Schweiz gerät wieder ins Visier der USA. Bei einer Anhörung der Helsinki-Kommission, die die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze in Europa überwacht, kam es am Dienstag in Washington zu scharfen Wortmeldungen. Bei den Russland-Sanktionen sei die Schweiz das «schwache Glied in der Kette» der wehrhaften westlichen Demokratien, hiess es etwa.
Im April hatten die Botschafter der G7-Staaten in Bern in einem Brief an den Bundesrat kritisiert, die Schweiz setze die Sanktionen ungenügend um. Vor allem die beschlagnahmten 7,5 Milliarden Franken an russischen Vermögenswerten seien zu wenig, obwohl die Summe höher ist als in den meisten anderen Staaten und nicht alle Oligarchen sanktioniert wurden.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) wies die Vorwürfe zurück, doch es geht auch um den Wiederaufbau der Ukraine, der möglichst mit russischem Geld finanziert werden soll. Die USA als grösstes G7-Land spielen eine zentrale Rolle. Ihr Botschafter Scott Miller hatte die Schweiz in einem sehr undiplomatischen NZZ-Interview hart kritisiert.
Beim Hearing vom Dienstag kam eine weitere Geschichte zur Sprache. Als «Kronzeuge» sagte der britisch-amerikanische Geschäftsmann Bill Browder vor der Kommission aus. Er war als Finanzinvestor in Russland tätig, doch ein beträchtlicher Teil des Geldes versickerte in korrupten Kanälen und gelangte vermutlich in die Schweiz.
Browders russischer Anwalt Sergej Magnitski machte die Vorwürfe publik und starb unter ungeklärten Umständen im Gefängnis. Seither ist Bill Browder ein vehementer Gegner von Wladimir Putin – und der Schweiz. Sie hatte 18 Millionen Franken «eingefroren», doch die Bundesanwaltschaft beschloss, das Verfahren einzustellen und das Geld freizugeben.
Der Entscheid bringt Bill Browder in Rage. Für ihn ist die Schweiz eine Bananenrepublik. Mit einer Beschwerde vor dem Bundesstrafgericht war er abgeblitzt, nun zieht er das Verfahren ans Bundesgericht weiter. Vor der Helsinki-Kommission forderte er am Dienstag Sanktionen gegen Bundesanwalt Stefan Blättler und seinen Vorgänger Michael Lauber.
Konkrete Folgen wird dies kaum haben. Gegenüber dem Korrespondenten von CH Media relativierten die US-Politiker ihre Kritik an der Schweiz, und die Anhörung wurde in Amerika kaum zur Kenntnis genommen. Ein Blick in die Vergangenheit aber zeigt, dass die Schweiz einen Fehler begeht, wenn sie die Attacken auf die leichte Schulter nimmt.
In der Kontroverse um die mutmasslichen Konten von Holocaust-Opfern in den 1990er-Jahren hatte die Schweiz die US-Kritik erst ignoriert und sich dann darüber empört, ehe sie – oder vielmehr die Banken – doch einknickte. Auch das Bankgeheimnis war auf Druck der USA immer wieder abgeschwächt und schliesslich ganz aufgegeben worden.
Nun dürfte sie vor allem bei den Russland-Sanktionen unter verschärfter Beobachtung bleiben. Daneben gibt es vor allem zwei Bereiche, bei denen man sich fragen kann, ob die Schweiz aus den Erfahrungen der Vergangenheit eigentlich nichts gelernt hat.
Lange hatte die Schweiz das Gefühl, dieses Thema gehe sie nichts an. Mehrere Fälle von Drogengeldwäscherei in den 1980er-Jahren, in deren Strudel auch die erste Schweizer Bundesrätin Elisabeth Kopp geraten war, und der damit verbundene Druck aus dem Ausland führten zu einem Umdenken. Doch die Gesetzgebung ist noch heute «löchrig».
So ist der Rohstoffhandel genauso wenig dem Geldwäschereigesetz unterstellt wie der Kunst- und der Immobilienmarkt, obwohl gerade diese Bereiche sehr anfällig sind. Die sogenannten Finanzintermediäre, vor allem Anwälte, Notare und Treuhänder, müssen sich nur teilweise daran halten. Sie propagieren in erster Linie die «Selbstregulierung».
Eine Gesetzesrevision, die dies ändern wollte, wurde vor zwei Jahren im Parlament nach massivem Lobbying der Branche bis zur Wirkungslosigkeit verwässert. Dabei hatte sogar der damalige SVP-Finanzminister Ueli Maurer gefordert, die Finanzintermediäre dem Gesetz zu unterstellen, auch mit Blick auf möglichen Druck aus dem Ausland.
Die Schweiz ist in diesem Bereich eine «Weltmacht», so die NZZ, als Sitz grosser Konzerne wie Glencore, Trafigura oder Vitol. Doch die Branche hat ein Reputationsproblem. Sie wird mit Kinderarbeit, Korruption und Umweltschäden in Verbindung gebracht. Diese Aspekte spielten eine wichtige Rolle bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative.
Nun gerät sie wegen Russland ins Visier der USA. Eine Delegation des Finanzministeriums reist nächste Woche in die Schweiz, um sich mit Branchenvertretern und dem SECO auszutauschen. Noch geht es primär um Informationen, denn der Handel mit russischen Rohstoffen wie Erdöl ist nicht sanktioniert. Sie sind zu wichtig für die Weltwirtschaft.
Das könnte sich ändern, denn die Preise sind nach Beginn des Ukraine-Kriegs explodiert, und die Rohstoffhändler haben enorme Gewinne erzielt. Washington werde nicht so schnell das Interesse an ihnen verlieren, denn der Sektor sei «zu strategisch geworden», schrieb die NZZ. Die Schweiz müsse «glaubhaft versichern», die Risiken der Branche im Griff zu haben.
Das ist leichter gesagt als getan, denn die Schweiz pflegt auch bei Wirtschaftssektoren mit Reputationsrisiko eine Politik des Wegschauens und «an der langen Leine»-Haltens. So gibt es kein Transparenz-Register für wirtschaftlich Berechtigte von Unternehmen. Als kleines, «neutrales» Land ohne starke Partner aber ist die Schweiz ein dankbares Ziel für Angreifer.
An warnenden Stimmen fehlt es nicht. «Dass das Parlament die Anwälte und Treuhänder vom Geldwäschereigesetz ausnahm, war keine Meisterleistung. Und dass es die Augen vor den grossen Problemen verschliesst, die im Rohstoffhandel auf uns zukommen, auch nicht», sagte der SVP-nahe Ex-Diplomat Paul Widmer im Interview mit CH Media.
Nach den Sommerferien will Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) einen weiteren Anlauf für eine Revision des Geldwäschereigesetzes unternehmen. «Geldwäscherei ist für den Finanzplatz ein Reputationsrisiko. Wir haben ein Interesse daran, die Angriffsfläche so gering wie möglich zu halten», sagte KKS im Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Noch ist unklar, was genau in der Vorlage enthalten ist. Aber die Bürgerlichen im Parlament tun gut daran, sich die Ermahnung «ihrer» Bundesrätin dieses Mal zu Herzen zu nehmen. Bevor die Amerikaner kommen und den Hammer auspacken.
Dürrenmatt hats in seinem Roman "Der Besuch der alten Dame" schön beschrieben. Wenn der Schweizer Staat wählen muss zwischen enorm viel Geld und Rechtsstaatlichkeit, wählt er Schlussendlich über inoffiziellen Wegen das Geld und lässt es demokratisch aussehen. So beschreibt Dürrenmatt den Mord am Bürger Ill in seinem Roman mit der Szene "Vor laufenden Kameras stimmen die Bürger über Annahme oder Ablehnung der Stiftung ab" (Wikipedia).
Der Neutralitätsdiskurs ist für mich so ein rein innenpolitisches Ablenkungsmanöver, wie im Roman.