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FDP-Kandidat Matthias Müller – sein Dogma: Wohlstand kommt von Leistung

Jungpolitiker FDP Müller, Interview 17.07.2023, bei watson Zürich
Matthias Müller hat seinen Plan fürs Leben klar vor den Augen und weiss, wo er hinwill: in den Nationalrat. Bild: larissa erni/watson

Er will für die FDP in den Nationalrat – sein Dogma: Wohlstand kommt von Leistung

Der Präsident der Jungfreisinnigen, Matthias Müller, wagt den nächsten Schritt in seiner Polit-Karriere: Er kandidiert für den Nationalrat. watson hat ihn getroffen und herausgefunden, dass Müller lieber arbeiten würde, als einen Lottogewinn entgegenzunehmen.
21.07.2023, 09:3922.07.2023, 09:59
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Er ist pünktlich. Auf die Minute genau klingelt Matthias Müller beim Eingang des watson-Büros. Schwierig war das nicht, Müller kennt die Gegend gut – ein Standort der Restaurantkette kaisin, bei der der Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz im Verwaltungsrat sitzt, befindet sich nur einen Stock unterhalb der Redaktion. Als die Journalistin ihm die Türe öffnet, ist er gerade dabei, seinen Erdbeer-Proteinshake zu exen. Man sieht es ihm an, dass er gerne und viel trainiert und offenbar auf sein Äusseres achtet.

Aber doch nicht so sehr, als dass er auf die Foto-Session mit watson vorbereitet wäre. Er zeigt auf seine weissen Turnschuhe und sagt halb ironisch, halb ernst: «Wenn ich gewusst hätte, dass wir noch Ganzkörperfotos machen, hätte ich die sauberen Schuhe angezogen. Die hier sind noch etwas dreckig vom Züri Fäscht.»

Abseits vom Politzirkus ist Müller weitgehend unbekannt. Doch innerhalb der Bubble gilt er für viele als Nachwuchstalent, das noch viel erreichen wird. Das hat er in seinen «Arena»-Auftritten unter anderem zur Lex Netflix bewiesen. Die SRF-Sendung habe ihn in seiner Jugend politisiert, sagt der heute 30-Jährige. «Ich habe den Leuten immer gespannt beim Debattieren zugeschaut und dachte, dass ich das auch einmal will.»

Jungpolitiker FDP Müller, Interview 17.07.2023, bei watson Zürich
Matthias Müller im watson-Büro, kurz vor dem Gespräch.Bild: larissa erni/watson

Stattdessen steht er heute kurz vor dem Anwaltspatent, auch als Anwalt kann er zur Debatte antreten. Doch die Politik hielt ihn fest. Nur wusste er damals noch nicht, welche Partei zu ihm passen würde. Via Smart-Vote – typisch Millennial – hat er dann herausgefunden, dass er sich im Freisinn ansiedeln sollte.

Der nahbare Überflieger

Müller ist ein Selfmade-Mann, den Wohlgesinnte gerne als Überflieger bezeichnen. Mit Nebenjobs hat er sich das Studium an der Universität Zürich finanziert und dort in Wirtschaftsrecht doktoriert. Die schriftliche Anwaltsprüfung hat er bereits bestanden, die mündliche steht noch aus, genauso wie die Note seiner Doktorarbeit. Doch den Vertrag bei der renommierten Anwaltskanzlei Homburger hat er schon unterschrieben.

Ganz nebenbei schaukelt er, so scheint es, noch das Präsidium der nationalen Jungfreisinnigen. Für Menschen, die nicht demselben Bild der Leistungsgesellschaft entsprechen, mag das alles abschreckend tönen. Ein typischer, arbeitsbesessener FDPler halt – doch im Gespräch wirkt er offen und nahbar.

Müller zeigt sich auch selbstironisch und behauptet von sich, «wie ein Bauer» zu sprechen. Gelernt habe er das von Hans-Ueli Vogt: seinem Doktorvater an der Universität und selbst ehemaliger SVP-Nationalrat. Vergangenen Herbst gar offizieller Bundesratskandidat. Von Vogt habe er den Spruch: «Man sollte wie ein Philosoph denken, aber wie ein Bauer sprechen.»

Dass dieser Spruch von einem Akademiker kommt, der in der selbst ernannten Bauernpartei politisiert, überrascht wenig. Gebraucht hätte ihn Müller, der im aargauischen Merenschwand aufgewachsen ist, wahrscheinlich nicht. Ein «Bauerndorf», wie er es bezeichnet.

Müllers Vergangenheit als «Computersuchti»

Auf dem «Bauerndorf» spielte sich Müllers «durchschnittliche» Kindheit ab. Er war aktiv im Sport- und Musikverein und sonntags als Ministrant in der katholischen Kirche. Seine früheren Traumberufe Lokführer und Buschauffeur überraschen so weit, bis Müller den Grund erklärt: «Mir hat das imponiert, wie sie in ihren eleganten Anzügen am Lenkrad gesessen sind und am Morgen noch ihr Gipfeli gegessen und Kaffee getrunken haben.»

«Wenn meine Mutter das Internet abgeschaltet hat, habe ich mich mit meinem Laptop draussen auf die Suche nach einem anderen WLAN gemacht.»
Matthias Müller

Ganz ohne Laster hat Müller seine «durchschnittliche» Kindheit jedoch nicht verbracht. Gerade in seiner Jugendzeit sei er abgedriftet. Der Grund: Computer-Games. «Wenn meine Mutter das Internet abgeschaltet hat, habe ich mich mit meinem Laptop draussen auf die Suche nach einem anderen WLAN gemacht.»

Der Notenschnitt des «Computersuchtis» rutschte dementsprechend ab. Um es doch noch ans Gymnasium zu schaffen, brauchte es einige Umwege. Und die Weckrufe seiner Mutter. Diese ist 1983 aus dem Iran nach Paris geflüchtet, später wanderte sie in die Schweiz ein. Sie habe ihm schon früh beizubringen versucht, dass man es im Leben weit schaffen könne, wenn man ehrgeizig und interessiert sei.

Müller absolvierte die Wirtschaftsmittelschule, das ist eine kaufmännische Berufsmaturitätsschule. Dort sei er vom Fach «Recht» angetan gewesen. Er dachte sich: «Das ist spannend, und Anwalt wäre vielleicht etwas.»

Der Groschen sei gefallen und Müller habe «Gas gegeben». Er erreichte einen Notenschnitt von über 5,0 und konnte so barrierefrei das Gymnasium in Aarau besuchen. Rückblickend sagt er: «Ich hatte Glück, bereits früh meine Leidenschaft gefunden zu haben.»

Müller will in den Nationalrat

Seinem Traum, Anwalt zu werden, kam er 2013 einen Schritt näher, als er aus dem «Bauerndorf» abwanderte, um sein Studium der Rechts- mit Wirtschaftswissenschaften an der Universität St.Gallen anzutreten. Müller sagt heute ehrlich, dass er sich unter anderem für die HSG entschieden hat, weil er wusste, dass er dort Kontakte knüpfen könnte mit jungen Menschen, die unternehmerisch denken und etwas auf die Beine stellen wollen. So läuft das halt.

«Nichts ist unberechenbarer als die Politik.»
Matthias Müller

Nun steht ein weiterer Traum bevor: es im Oktober in den Nationalrat zu schaffen. Er gibt sich kämpferisch, aber dennoch pragmatisch: «Ich habe einen guten Listenplatz und werde in der Partei unterstützt. Ich werde mich jetzt voll reinhängen. Doch ich weiss auch: Nichts ist unberechenbarer als die Politik.»

Das Zustandebringen der Renteninitiative verbucht der Jungpolitiker als seinen grössten Erfolg. Müller übernahm das Amt als Parteipräsident der Jungfreisinnigen im November 2019, kurz nach der Lancierung der Initiative: «Wir hatten damals noch keine Unterschriften und kein Budget. Wir haben aber sehr viel Arbeit hineingesteckt. Als Präsident war ich auch oft auf den Strassen unterwegs und habe Unterschriften gesammelt.» Am Schluss habe sich der Effort ausgezahlt – die Jungfreisinnigen hatten über 140'000 Unterschriften beisammen.

Matthias Mueller, Praesident Referendumskomitee und Jungfreisinnige, liest in seinen Unterlagen, kurz vor Beginn einer Medienkonferenz des ueberparteilichen Komitees "Nein zum Filmgesetz", a ...
Müller sagt, dass auch er teilweise an seine Grenzen stösst – beispielsweise als er eine federführende Rolle beim Filmgesetz-Referendum einnahm. Bild: KEYSTONE

Danach folgte das Filmgesetz-Referendum, dessen Vorbereitung und Zustandebringen ebenfalls sehr zeitintensiv gewesen seien. Er sei damals an seine Grenzen gestossen: «Während dieser Zeit habe ich nebst dem Präsidium noch sehr viel gearbeitet. Mein Privatleben hat gelitten. Da ging ich wirklich auf dem Zahnfleisch.»

Lang lebe die Meritokratie

Doch solche Stresssituationen bringen Müller nicht von seinem Weg ab. Sein Dogma ist und bleibt: «Wenn du hart arbeitest, kannst du vieles erreichen.» Ein wahrer Verfechter der Leistungsgesellschaft – typisch FDP.

Aber ist die Chancengleichheit in der Schweiz wirklich gegeben? Müller sagt: «Das sollte das Ziel sein. Ich habe schon viele Menschen kennengelernt, die Stipendien bekommen haben. Und das ist richtig. Es soll niemand nicht in die Schule können aufgrund des fehlenden Geldes.»

Deshalb unterstütze er Angebote für benachteiligte Kinder, die Durchlässigkeit im Bildungssystem und die Möglichkeit des Nachholens von Schulabschlüssen. Er selbst habe von der Durchlässigkeit des Systems profitiert, diese müsse unbedingt beibehalten werden. Müller erklärt: «So eröffnen wir allen faire Chancen, damit sie entsprechend ihrer Möglichkeiten ihr Bestes geben können.»

Jungpolitiker FDP Müller, Interview 17.07.2023, bei watson Zürich
Seit Juni 2019 sitzt Matthias Müller im Verwaltungsrat der von Andri Silberschmidt, FDP-Nationalrat, gegründeten Restaurantkette kaisin.Bild: larissa erni/watson

Müller möchte das System – aber auch seine eigenen Leistungen – stets optimieren. Auf die Frage, ob alle so hart arbeiten müssten wie er, sagt Müller: «Nein, überhaupt nicht.» Aber es seien die Leute, die viel arbeiten, die den Sozialstaat primär tragen würden.

Ebendieser Sozialstaat sollte dann die Leute auffangen, die es nicht so gut hätten oder durch das System fallen könnten. Damit meint er die Leute, die zwar 100 Prozent «büezen», aber am Ende des Monats doch fast nichts mehr auf der Seite haben, weil sie etwa im Tieflohnsegment arbeiten. «Diese Leute müssen wir vor allem unterstützen», so Müller.

Getreu der Parteilinie fügt er an: «Wir müssen aber auch denen Sorge tragen, die viel leisten und dementsprechend viel abgeben müssen und so den Staat zu grossen Teilen finanzieren.»

«Wohlstand kommt von Leistung»

Das Thema mentale Gesundheit und ein Arbeitsumfeld, welches diese fördert, nimmt auf Müllers Prioritätenliste keinen Spitzenplatz ein. Darauf angesprochen, ob eine 4-Tage-Woche nicht sinnvoll wäre, um Burn-out-Erkrankungen vorzubeugen, erklärt Müller, dass seiner Beobachtung nach einige Leute ihre Arbeit nicht immer als erfüllend empfänden, was zu Frustrationen und schliesslich zu einem Burn-out führen könne. Deshalb betont er, dass es nicht nur um die Quantität, sondern vor allem um die Qualität der Arbeit und des Arbeitsumfeldes gehe.

Wenn Müller die freiwillige Teilzeitarbeit kritisiert, dann nicht grundsätzlich. Er sieht Teilzeitarbeit als eine Möglichkeit für Menschen, die noch familiäre, andere Verpflichtungen haben. Seine Bedenken gälten jenen Leuten, die zwar in einer hohen Lohnstufe seien, sich aber bewusst entscheiden würden, weniger zu arbeiten, damit sie dennoch von den staatlichen Leistungen, wie etwa Kita-Verbilligungen, profitieren können.

Diese Leistungen seien aber für die Menschen gedacht, die wirklich darauf angewiesen seien. «Wenn wir für diese Leute gesorgt haben und noch Geld übrig bleibt, können wir schauen, wie wir es sinnvoll einsetzen wollen», so Müller.

«Wohlstand kommt von Leistung und nicht vom Verteilen. Alles hat einen Preis.»
Matthias Müller

Er finalisiert: «Wohlstand kommt von Leistung und nicht vom Verteilen. Alles hat einen Preis. Wir können schon alle weniger arbeiten – aber dann müssen wir auch damit leben können, dass dieser Wohlstand, den wir aktuell geniessen, weniger wird. Ich wünsche unserem Land aber Wohlstandsgewinne, nicht Wohlstandsverluste.» Ausser Acht lässt Müller jedoch, dass der Haupttreiber der Inflation die seit Jahren rückläufige Besteuerung von Unternehmen ist.

Müller kommt wieder darauf zurück, wie wichtig es sei, dass man das machen könne, was einem gefällt. Er wünsche jedem Menschen, dass er einen Job finde, der ihm wirklich gefällt. Er selbst freue sich enorm auf seine (hoffentlich) bevorstehende Anwaltskarriere. Ein Arbeitstier.

Doch wofür würde Müller sich entscheiden: 100 Millionen Franken Lottogewinn und nie mehr Lohnarbeit oder ein Leben lang als Anwalt arbeiten? Der Realist in Müller zeigt sich: «100 Millionen … das ist doch surreal. Sagen wir eine Million. Da würde ich mich für die Anwaltskarriere entscheiden. Die Zukunft ist offen, alles ist noch möglich, das ist doch viel spannender. Wenn du von Anfang an einfach ‹so vell Cholä› hast, dann hat doch vieles keinen Wert mehr.»

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237 Kommentare
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mein Senf dazu
21.07.2023 10:09registriert März 2021
Also der Sozialstaat soll für solche, die 100% arbeiten und im Tieflohnsegment angestellt sind Unterstützung bieten. Klingt im ersten Moment schon sozial gedacht. Alternativ könnte man sich politisch doch dafür stark machen, dass Unternehmen für solche Menschen Löhne vergüten, von denen diese dann auch wirklich eigenständig leben können. Nur mal so als Idee.
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Empoerling
21.07.2023 10:10registriert Dezember 2022
wow... Studium im Nebenjob finanziert... Was tausende andere auch machen, scheint für einen Jungfreisinnigen so aussergewöhnlich zu sein, dass man ihn gleich als Selfmade-Mann bezeichnen muss. Und seinen Job und Verwaltungsratsposten hat er natürlich auch ganz ohne Parteifilz erhalten...
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El_Chorche
21.07.2023 10:07registriert März 2021
«Wohlstand kommt von Leistung»

Falsch, Wohlstand kommt entweder von Korruption und/oder aus einer Erbschaft. Alles andere sind absolute Ausnahmen.

Abgesehen davon: Wenn wir etwas im Parlament genug haben, dann sind es Anwälte.

Also danke, aber nein danke.
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