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Covid und Taiwan: China wird immer irrationaler – und gefährlicher

Inbound travelers wait for hours to board buses to leave for quarantine hotels and facilities from Guangzhou Baiyun Airport in southern China's Guangdong province on Dec. 25 2022. China will drop ...
Ankommende Reisende auf dem Flughafen Guangzhou warten auf den Transport in ein Quarantäne-Hotel. Ab 8. Januar ist damit Schluss.Bild: keystone
Analyse

Covid und Taiwan: China wird immer irrationaler – und gefährlicher

Bis vor kurzem wurden Corona-Ansteckungen in China rigoros bekämpft. Jetzt nimmt man täglich Tausende Todesfälle in Kauf. Die radikale Kehrtwende beunruhigt mit Blick auf Taiwan.
28.12.2022, 09:5128.12.2022, 09:51
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Was sich gerade in China abspielt, entzieht sich jeder rationalen Beurteilung. Innerhalb weniger Wochen hat die Volksrepublik von einer rigorosen Zero-Covid-Politik zur totalen Durchseuchung umgeschaltet. Das Virus rauscht wie ein Tsunami durch die Bevölkerung. Unzählige Menschen sind krank, Spitäler und Krematorien sind überlastet.

Bis vor kurzem wurden selbst einzelne Coronainfektionen mit knallharten Lockdowns und Einweisungen in die berüchtigten «Quarantäne-Zentren» bekämpft. In Regionen wie Xinjiang sollen die Menschen mehr als 100 Tage in ihren Wohnungen eingesperrt gewesen sein. Nun erlaubt die Regierung den Leuten, bei einer «milden» Erkrankung zur Arbeit zu gehen.

epa10376986 Health workers carry a person to the hospital, in Shanghai, China, 23 December 2022. Hospitals in China struggle to cope due to the rising number of COVID-19 cases. Since the abrupt liftin ...
Ein erkrankter Mann wird in ein Spital in Shanghai transportiert. Die Zahl der Corona-Todesfälle in China wird auf rund 5000 pro Tag geschätzt.Bild: keystone

Man kann es kaum fassen. Ist dies das gleiche Land, dessen Regime die Zero-Covid-Politik fast drei Jahre lang als Vorbild für die Welt angepriesen hatte? Im Gegenzug wurde in den Propaganda-Medien auf den «dekadenten» Westen und besonders die USA eingeprügelt, wo die Pandemie Hunderttausende Menschen das Leben kostete.

Falsche Prioritäten

Die Begründung für den radikalen Kurswechsel wirkt an den Haaren herbeigezogen. So wird neuerdings vermeldet, dass Omikron «harmloser» sei als frühere Virus-Varianten (als ob man das nicht schon lange wüsste). Ausserdem behauptet die Kommunistische Partei, man habe mit Zero Covid Zeit gewonnen, um China auf ein «Leben mit dem Virus» vorzubereiten.

Gerade davon aber kann keine Rede sein. So wurden etwa Unsummen für Dauer-Tests ausgegeben, während man es versäumte, die medizinische Infrastruktur für die Krankheitswelle aufzurüsten. Auch die Impfkampagne wurde vernachlässigt. Vor allem ältere Menschen sind gar nicht oder ungenügend geimpft. Sie sind weitgehend schutzlos.

Absurde Testpflicht

Experten halten die chinesischen Corona-Impfstoffe für durchaus tauglich. Allerdings seien für einen guten Immunschutz drei Dosen notwendig. Und von den westlichen Vakzinen will Peking weiterhin nichts wissen. Gerade erst soll Staatschef Xi Jinping ein Angebot des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier abgelehnt haben.

An elderly woman gets vaccinated against COVID-19 at a community health center in Nantong in eastern China's Jiangsu province on Dec. 9, 2022. The National Health Commission announced a campaign  ...
Vor allem ältere Menschen sind gar nicht oder ungenügend geimpft. Jetzt soll die Kampagne intensiviert werden.Bild: keystone

Dafür wird ab dem 8. Januar die Quarantäne-Pflicht bei der Ankunft in China entfallen, teilte die Regierung am Montag mit. Erforderlich ist noch ein höchstens 48 Stunden alter negativer PCR-Test – für die Einreise in ein Land, in dem das Virus wütet wie nie zuvor. Auf diese Idee wäre nicht einmal Samuel Beckett gekommen, der Meister des absurden Theaters.

5000 Todesfälle pro Tag

Die Regierung muss das nicht kümmern. Sie hat am Sonntag die Veröffentlichung täglicher Corona-Daten eingestellt. Vermutlich war ihr bewusst, dass die gemeldeten paar tausend Infektionen nichts mit der Realität zu tun hatten. Der britische Gesundheitsdaten-Analyst Airfinity geht von einer Million Neuinfektionen und 5000 Todesfällen in China aus – pro Tag.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO zeigte sich letzte Woche «sehr besorgt» über die Entwicklung in China. Es sei wichtig, die Impfkampagne zu beschleunigen. In der Bevölkerung kommt der Kurswechsel unterschiedlich an. Während die einen sich freuen, fragen sich andere, wozu die endlosen Lockdowns und die Dauertests nötig waren.

Xi Jinpings Prestige

Für Staatschef Xi Jinping war Zero Covid lange eine Frage des Prestiges. Er liess sich als «Sieger» über das Virus feiern und versuchte, den mutmasslichen Ursprung der Pandemie in Wuhan zu verschleiern. Als Experten nach dem Auftauchen von Omikron zur sukzessiven Abkehr von Zero Covid rieten, soll Xi persönlich sein Veto eingelegt haben.

In this photo released by China's Xinhua News Agency, Chinese President Xi Jinping, right, is briefed about the Huoshenshan Hospital in Wuhan in central China's Hubei Province, Tuesday, Marc ...
Xi Jinping bei einem Besuch in Wuhan am 10. März 2020.Bild: AP

Nun ist Zero Covid tatsächlich vorbei, aber nicht geordnet, sondern abrupt und planlos. Grund dafür dürften die Proteste gewesen sein, die sich im November in mehreren Städten ereignet hatten. Wenn sich Menschen in einem Land auf die Strasse wagen, in dem Opposition rigoros unterdrückt wird, muss der Unmut in der Bevölkerung gewaltig sein.

Ideologie statt Pragmatismus

So weit ist die Abkehr von der bisherigen Doktrin nachvollziehbar. Das macht die Umstände und die Bereitschaft, unzählige Todesfälle in Kauf zu nehmen, nicht weniger irrational. Xi Jinping glaubt vermutlich, sich das leisten zu können, weil er am Parteitag im Oktober seine Macht zementieren und sich de facto als Herrscher auf Lebenszeit inthronisieren konnte.

Dabei war schon seine bisherige Amtszeit von einer zunehmenden Ideologisierung und einer Abkehr vom relativen Pragmatismus geprägt, der Chinas Politik lange bestimmt hatte. Die öffentliche Demütigung seines Vorgängers Hu Jinato zum Abschluss des Parteitags war ein Signal in diese Richtung. Das aber macht China nicht nur irrational, sondern gefährlich.

Drohungen und Provokationen

Gemeint ist damit weniger das Risiko, dass eine neue Virus-Variante entsteht, die den Immunschutz umgehen könnte. Vielmehr wird China geopolitisch unberechenbar. Das zeigt sich etwa anhand der Unterstützung Russlands im Ukraine-Krieg. Xi Jinping scheint so ziemlich jedes Mittel recht zu sein, um den Westen zu destabilisieren.

Taiwanese President Tsai Ing-wen speaks during an announcement of the extension of the island's compulsory military service in Taipei, Taiwan on Tuesday, Dec. 27, 2022. Taiwan will extend its com ...
Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen äusserte sich am Dienstag zu den neusten Provokationen Chinas.Bild: keystone

Am meisten Grund zur Sorge aber hat man in Taiwan. Die Drohungen und Provokationen an die Adresse der «abtrünnigen» Insel haben in den letzten Monaten an Schärfe zugenommen. Am Sonntag kündigte Peking ein Militärmanöver an. Innerhalb von 24 Stunden wurden 71 chinesische Flugzeuge und sieben Schiffe in der Nähe von Taiwan geortet.

Eskalation oder Entspannung?

Offiziell handelte es sich um eine Antwort auf den Entscheid im US-Kongress, Taiwan neue Kredite zum Kauf von Waffen bereitzustellen. Immer häufiger gehen Experten jedoch davon aus, dass Xi Jinping eher früher als später eine Invasion Taiwans anordnen könnte. Er hat unverhohlen damit gedroht, die Demokratie-Insel mit Gewalt in die Knie zu zwingen.

Der Verlauf des Ukraine-Kriegs könnte ihn davon abhalten. Und zuletzt gab es auch Signale der Entspannung. So stellte Xi letzte Woche eine Normalisierung im Verhältnis zu Australien in Aussicht. Im April 2020 hatten die Australier eine internationale Untersuchung zum Ausbruch der Corona-Pandemie gefordert, worauf China mit Sanktionen reagierte.

Am Montag liess sich Xi in den Staatsmedien erstmals zum neuen Umgang mit Corona zitieren. Demnach forderte er die Behörden auf, alles «Machbare» zu unternehmen, um Leben zu retten. Das macht die radikale Kehrtwende nicht weniger irrational. Für den Rest der Welt ist sie mehr denn je ein Grund zur Vorsicht im Umgang mit der Volksrepublik.

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China 1 Jahr nach Ausbruch des Coronavirus
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China 1 Jahr nach Ausbruch des Coronavirus
In China ist ein Jahr nach Ausbruch des Coronavirus mehrheitlich wieder Normalität eingekehrt.
quelle: keystone / ng han guan
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«Nieder mit Xi Jinping!» – Proteste in China gegen Regierung
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127 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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der stoische Zyniker
28.12.2022 10:18registriert Juli 2021
Ich hatte letztens geschäftlich mit einem Herren aus Taiwan zu tun welcher in die Schweiz gereist ist. Er hat mir gesagt dass vor dem Ukrainekrieg niemand an einen Angriffskrieg der Chinesen geglaubt hat. Das Bewusstsein dafür hat sich danach komplett geändert. Die Kommunisten und ihre Expansionsgedanken und/oder historischen Ansprüche auf irgendwelche Ländereien sind durchaus ernst zu nehmen. In den letzten 20 Jahren hat sich der Westen wirtschaftlich angenähert und die Hackerangriffe/Bestechungen nicht ernst genommen. Heute dürfen wir das nun ausbaden. Nicht wahr Goldkettchen Gerd?
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Magnum
28.12.2022 10:51registriert Februar 2015
In China wie in den USA zeigt sich: Der sicherste Weg, beim Umgang mit Covid-19 zu scheitern, ist eine ideologiegeleitete Politisierung der Reaktion durch sture, auf ihr Image fixierte Politiker. Gefragt ist in solchen Ausnahmesituationen Pragmatismus, und dabei darf sich ein Staatsoberhaupt auch gerne zurücknehmen - mangels Expertise ist das durchaus angebracht.

Die nun erfolgte, übereilte Öffnung hat übrigens mindestens so sehr wirtschaftliche Gründe: Die KP legitimiert ihre Alleinherrschaft durch Wirtschaftswachstum. Nun zeigen sich Planlosigkeit und Menschenverachtung.
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PhilippS
28.12.2022 10:22registriert September 2016
Momol, es läuft rund bei Xi.... #kannSpurenvonSarkasmusenthalten
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    Was, wenn der Ukraine die Kraft ausgeht?
    Viele halten eine Niederlage der Ukraine für unausweichlich. Es wäre eine gewaltige Katastrophe. Unsere Wut und unsere Hilfsbereitschaft müssten viel grösser sein.

    In Deutschland haben diese Namen keinen Klang. Bahatyr und Wilne Pole. Oleksandropil und Mychajliwka und Malyniwka. Diese Namen wecken keine Emotionen, lösen keine Angst aus, keinen Schrecken. Sie bedrücken hierzulande niemanden, obwohl sie uns doch den Schlaf rauben sollten, ohne Übertreibung: Nacht für Nacht.

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