Die Wut ob der Machtlosigkeit gegen die Corona-Politik der Regierung nimmt in China zu. Die Landesführung um Staatsoberhaupt Xi Jinping verfolgt seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie eine knallharte Null-Covid-Politik – diese ist mit Repression und massiven Einschränkungen für die Zivilbevölkerung verbunden. Es kursierten gar Berichte, wonach Menschen keinen Zugang zu Nahrungsmitteln mehr hatten, weil sie sich isolieren mussten.
Trotz des rigorosen Vorgehens gegen das Virus wird das Milliardenvolk gegenwärtig von der schlimmsten Corona-Welle seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren heimgesucht. Die Gesundheitskommission meldete am Montag mit rund 40'000 Neuinfektionen wieder einen Höchststand im Land. In Peking waren es knapp 3900 Fälle. Jede einzelne Ansteckung führt dazu, dass ganze Wohnsiedlungen abgeriegelt und sämtliche Infizierte in Quarantäne-Krankenhäuser gebracht werden. Während der Rest der Welt mit dem Virus lebt, hält China an seiner Strategie fest. Auch nach fast drei Jahren Pandemie sind die Grenzen weitestgehend geschlossen.
Nachdem die Bevölkerung die strikten Massnahmen lange mehr oder weniger widerstandslos ertragen hatte, mehrten sich in den vergangenen Tage die Proteste, bei denen offen gegen Xi Jinping und die Null-Covid-Politik demonstriert wurde.
Bereits in der vergangenen Woche nahmen die Proteste im immer noch bevölkerungsreichsten Land der Welt Fahrt auf. In der weltgrössten Foxconn-Fabrik in Zhengzhou protestierten hunderte Arbeiter gegen die Bedingungen in der Anlage.
Auch dieser Protest war unter anderem auf das Coronavirus und die damit verbundenen Massnahmen zurückzuführen: Foxconn hatte einen starken Anstieg der Infektionen in der Fabrik festgestellt, weshalb der taiwanische Konzern die Anlage abriegelte. Bereits im Oktober flohen zahlreiche Angestellte zu Fuss vom Gelände, weil die Zustände dort miserabel seien.
Die Proteste am Wochenende wurden dann von einem Brand in der Stadt Ürümqi in der Provinz Xinjiang verstärkt. Mindestens zehn Menschen kamen ums Leben und weitere neun sind verletzt worden.
Etliche Anwohner kritisierten in sozialen Netzwerken, dass die rigiden Corona-Massnahmen den Kampf gegen das Feuer erschwert hätten. Bewohnern sei die Flucht ins Freie durch abgeschlossene Wohnungstüren erschwert worden.
Der Vorfall trieb dann die Leute zuerst in den Grossstädten Shanghai und Peking auf die Strasse. In Shanghai demonstrierten mehrere hundert, vorwiegend junge, Leute gegen die strikten Corona-Massnahmen. Auf Videos von dort, die sich trotz staatlicher Zensur im Internet verbreiteten, waren Rufe wie «Nieder mit der Kommunistischen Partei! Nieder mit Xi Jinping!» zu hören.
Auch in der Hauptstadt Peking zogen die Leute auf die Strasse, beispielsweise auf dem Campus der Tsinghua-Universität – der Alma Mater von Xi Jinping. Dort versammelten sich am Sonntag mehrere hundert Studenten. Auf Videos war zu sehen, wie sie leere Blätter Papier in die Luft hielten – aus Protest gegen die Repressionen, mit denen der Staat gegen kritische Stimmen vorgeht.
Anderswo in Peking durchbrachen Bewohner in mehreren Nachbarschaften Zäune ihrer Wohnanlagen und forderten ein Ende der Lockdowns.
Nach den Protesten in den Riesenstädten Shanghai und Peking gingen die Leute auch in anderen Metropolen wie Chengdu, Chongqing, Wuhan, Nanjing, Guangzhou und Ürümqi auf die Strasse – offensichtlich ermutigt durch die vorangegangenen Kundgebungen. Die Demonstrationen dauerten in vielen Städten bis in die Nacht zum Montag an.
Als Symbol des Widerstands und des Protests gegen die Zensur hielten viele Demonstranten unbeschriebene weisse Blätter hoch. Es wurden Parolen wie «Hebt den Lockdown auf» und «Wir wollen keine PCR-Tests, wir wollen Freiheit» gerufen.
Die Behörden reagierten mit Repression – und nahmen zahlreiche Menschen fest. Wie viele Menschen verhaftet wurden, ist aber unklar. In China herrscht praktisch eine Nachrichtensperre.
Auch Ausländer bekamen in der Folge die rabiate Vorgehensweise der chinesischen Behörden zu spüren. In Shanghai wurde der BBC-Reporter Ed Lawrence festgenommen und nach eigenen Angaben von Polizisten misshandelt. Lawrence hatte über die regierungskritischen Proteste berichtet und diese gefilmt.
«Die BBC ist extrem besorgt über die Behandlung unseres Journalisten Ed Lawrence, der festgenommen und in Handschellen gelegt wurde, während er über die Proteste in Shanghai berichtete», sagte ein Sprecher des britischen Senders.
Lawrence sei bei der Festnahme von Polizisten geschlagen und getreten worden, obwohl er eine Akkreditierung als Journalist habe. Erst Stunden später sei er wieder freigelassen worden.
BBC Statement on Ed Lawrence pic.twitter.com/wedDetCtpF
— BBC News Press Team (@BBCNewsPR) November 27, 2022
Ein wenig besser als BBC-Korrespondent Lawrence erging es dem Schweizer Journalisten Michael Peuker, der für RTS arbeitet. Auch er wurde kurzzeitig verhaftet, allerdings ohne, dass er misshandelt wurde. Zudem wurde er bald wieder freigelassen.
Peuker berichtete ebenfalls über die Proteste vor Ort und sollte die Situation live im Fernsehen beschreiben. Dabei wurde gleich klar, dass etwas nicht normal ist. Noch als die Moderatorin im Studio sprach, war zu sehen, wie Peuker gestikulierte und mit Leuten auf seiner rechten Seite sprach. Und als ihm seine Kollegin dann das Wort übergab, erklärte Peuker, dass er wohl gleich von Einsatzkräften festgenommen werde – was dann auch geschah.
Laut Experten dürften ein Fünftel der zweitgrössten Volkswirtschaft und damit Hunderte Millionen Menschen landesweit von Lockdowns betroffen sein. Viele Unternehmen stossen an ihre Grenzen. Beschäftigte und gerade Wanderarbeiter müssen häufig schmerzhafte Lohneinbussen hinnehmen. Ob die Proteste aber trotz der massiven gewaltsamen Interventionen der Behörden andauern werden, ist unklar. (con/sda)
Es scheint so, als ob Xi‘s Visionen sich nicht so einfach erfüllen lassen.