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Töff-Geisterrennen und eine «Isolations-Haft» für Tom Lüthi

epa08408402 (FILE) - Spanish MotoGP rider Maverick Vinales of Monster Energy Yamaha MotoGP team takes a bend during a free training session for motorcycling Grand Prix of Spain at Circuito de Jerez-An ...
Temporausch auf zwei Rädern: Es geht wieder los!Bild: EPA

«Isolations-Haft» für Tom Lüthi – so sehen Töff-Rennen zu Corona-Zeiten aus

Ein Töff-Geisterrennen ist die grösste logistische Herausforderung, die der Sport in Zeiten der Virus-Krise kennt. Am nächsten Montag rücken die Töffstars im andalusischen Jerez in die «Isolations-Haft» ein und am 19. Juli wird der nächste Töff-GP gefahren. Ohne Zuschauer und Medienschaffende.
07.07.2020, 09:2407.07.2020, 09:46
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Es geht nicht bloss um ein Geisterspiel im Fussball. Bei einem Töff-GP geht es um vier Klassen und fast 100 Piloten in 42 Teams samt Dienstpersonal und die Sicherung einer mehr als vier Kilometer langen Rennstrecke. Mehr als 100'000 Zuschauerinnen und Zuschauer kamen in normalen Zeiten übers GP-Wochenende nach Jerez. Nun werden die Tribünen leer bleiben, bei den Geisterrennen ist kein Publikum zugelassen. Das ist ein Problem für die lokale Gastronomie, die Mietwagenverleiher, die Hotellerie und den Rennstrecken-Betreiber. Aber nicht für die Organisation des Rennens. Die grosse Herausforderung sind die Massnahmen, um die Gesundheit des Personals im Fahrerlager zu schützen.

Piloten und Techniker reisen aus allen Kontinenten ausser der Antarktis und mehr als 20 Ländern an. Zudem wird rund 400 Tonnen Fracht herangekarrt. In normalen Zeiten wieseln gut 5000 Personen durchs Fahrerlager. Piloten, Techniker, Helfer, Gäste, Medienschaffende, Werbearbeiterinnen, Köche, Kellner, Ärzte, Pfleger, Manager, Sicherheitsleute oder Funktionäre.

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Ein Tohuwabohu vor dem Rennen: Bilder, die der Vergangenheit angehören.Bild: www.imago-images.de

Die spanische TV- und Vermarktungsagentur Dorna hält alle Rechte im Töff-Zirkus und ist die höchste Instanz bei der Organisation vor Ort. Zusammen mit den spanischen Behörden hat Dorna ein Konzept ausgearbeitet, das die Sicherheit in Zeiten der Virus-Krise garantieren soll. Ein Blick in die 30-seitige, streng vertrauliche Weisung zeigt, wie anspruchsvoll die ganze Operation ist. Ein organisatorisches Meisterwerk.

Nur noch 1682 Personen werden zugelassen. Die Teams müssen ihren Personalbestand praktisch halbieren. Auf ...

  • 45 Personen für die Werkteams der Klasse MotoGP
  • 25 Personen für die Nicht-Werkteams
  • 12 Personen für die Moto2-Teams
  • 12 Personen für die Moto3-Teams.

Für die Strecken-Organisation (u.a. Streckenposten, medizinisches Personal für die fahrende Klinik, Funktionäre) sind weitere 450 Personen bewilligt, für die Medien (praktisch ausschliesslich TV-Techniker plus 12 Fotografen) nochmals 40 und für die technischen Zulieferer aller vier Klassen (MotoGP, Moto2, Moto3, MotoE-Weltcup) ein Kontingent von weiteren 250.

Die Journalistinnen und Journalisten sind komplett verbannt, auch die TV-Kommentatoren. Die Rennen werden von unserem staatstragenden Fernsehen zwar wie gewohnt live übertragen. Aber vom Studio in Leutschenbach aus kommentiert. SRF-Mediensprecher Lino Bugmann bestätigt: «Bis auf Weiteres werden bei den Motoradrennen keine SRF-Kommentatoren vor Ort sein.» Die neun wichtigsten TV-Stationen dürfen immerhin eine Reporterin oder einen Reporter entsenden, der Interviews machen darf. SRF gehört nicht dazu.

Die Einnahmen aus den TV-Rechten sind ein wichtiger Grund, warum die GP auch ohne Zuschauer durchgeführt werden. Ein anderer die dringend notwendigen Auftritte der Teams und Fahrer, um die Werbeverträge zu erfüllen.

Die Piloten und das technische Dienstpersonal rücken bereits am nächsten Montag in Jerez ins Fahrerlager ein. Erst einmal sind Tests angesagt, um nach der langen Pause den Rost aus Mensch und Maschine zu fahren. Dann finden an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen am 19. und am 26. Juli zwei GP statt.

Das bedeutet für die Piloten, die im GP-Hotel (Hotelzimmer in Containern hinter den Boxen) oder im Motorhome nächtigen, eine zweiwöchige Zwangseinschliessung ins Fahrerlager. Sozusagen eine Isolationshaft aus der sie nach dem zweiten GP am Abend des 26. Juli wieder entlassen werden. Zu diesen Piloten gehört auch Tom Lüthi. Er sagt er habe die 30-seitigen Weisungen zwar noch nicht ganz genau gelesen. «Aber ich befürchte, dass ich in dieser ganzen Zeit nie aus dem Fahrerlager hinauskommen werde ...»

epa08279058 Swiss Moto2 rider Thomas Luthi of the Liqui Moly Intact GP team prior to the Moto2 race at the Motorcycling Grand Prix of Qatar at Losail International Circuit in Doha, Qatar, 08 March 202 ...
Am 8. März in Katar fuhr Lüthi auf Rang 10.Bild: EPA

Wer im Hotel ausserhalb des Fahrerlagers übernachtet, soll den Kontakt mit Gästen meiden und nur zwischen Fahrerlager und Hotel pendeln. Der Besuch von Restaurants in der Stadt wird in den Weisungen ausdrücklich verboten. Die Verpflegung im Fahrerlager unterliegt strengen Regeln. Die Hospitality-Schlösser werden nicht aufgebaut, die übliche Selbstbedienung am Buffet ist nicht erlaubt. Das Essen wird in «Kochkisten» angeliefert und jeder isst sozusagen für sich allein. Im Fahrerlager und draussen auf dem Startplatz gibt es keine Werbe-Arbeiterinnen in bunten Kleidchen und mit Sonnenschirmen. Aber immerhin darf einer der auf dem Startplatz zugelassenen Techniker einen Sonnenschirm halten.

Logisch, dass nur ins Fahrerlager eintreten darf, wer getestet und für virusfrei befunden worden ist. Das ganze Testprozedere ist genau reglementiert, vorgeschrieben ist auch, wo getestet werden kann und alle müssen auf ihre Smartphones eine entsprechende App herunterladen. Bei jedem Eintritt ins Fahrerlager wird nicht nur über diese App kontrolliert, sondern auch die Temperatur gemessen. Und es gilt die Maskenpflicht. Wer im Laufe der zwei Wochen erkrankt, wird isoliert und wenn möglich ersetzt.

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In gewisser Weise ist das ganze Prozedere auch eine Rückkehr zur wahren, längst vergangenen Fahrerlager Romantik. Vor 40 Jahren gab es im Fahrerlager praktisch keine Gäste, nur eine Handvoll Medienschaffende, keine Hospitality-Paläste und keine Grid-Girls. Nur Rennsport pur. Die Teams waren klein und mit einer Familie vergleichbar. So wie nun bei den Geisterrennen. Die Rückkehr zur familiären Sozialstruktur wird nun auf Seite 14 der Weisungen wörtlich empfohlen:

«… the philosophy behind the proposed protocol is to think about the members of each team as family units.»

Wenn die Teams zusammenbleiben wie Familien gibt es keine Durchmischung und die Infektionsgefahr wird reduziert.

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Alle Schweizer Töff-GP-Sieger
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Alle Schweizer Töff-GP-Sieger
Tom Lüthi: Zwischen 2002 und 2021 17 Siege, 64 Podestplätze und 1 WM-Titel (125 ccm). (Stand: 27.11.2023).
quelle: semedia / luciano bianchetto/semedia
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