Der Schweizer Staatssekretär Yves Rossier verteidigt das Vorgehen der türkischen Regierung nach dem Putschversuch. Er setzt auf Dialog. Kampfansagen seien wirkungslos, sagt er.
Ob die Schweiz es akzeptieren könne, dass Türken hierzulande von der türkischen Regierung und ihr nahestehenden Organisationen bedroht würden, wenn sie Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht unterstützten, wurde Rossier in einem am Mittwoch publizierten Interview von «Tages-Anzeiger» und «Der Bund» gefragt. «Der Ton, den einige Exponenten anschlagen, ist unangenehm», antwortete Rossier. «Aber man kann ihn nicht kontrollieren. Und in einer politischen Auseinandersetzung ist vieles zulässig. Kritik ist erlaubt.»
Inwiefern sich die Leute einschüchtern liessen, sei eine andere Frage. Die türkische Zivilgesellschaft habe mehrmals gezeigt, dass sie sich nicht so schnell einschüchtern lasse. «Deshalb ist der Putschversuch vom 15. Juli gescheitert: Weil die Leute auf die Strasse gingen, obwohl auf sie geschossen wurde. Sie hatten keine Angst, die Zivilcourage war stärker. Das ist ein gutes Zeichen.»
Mit einer Kampfansage, wie sie Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz machte, bewirke man wenig, sagte der Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf eine entsprechende Frage. «Wir wollen der Türkei dabei helfen, ein Rechtsstaat zu bleiben.»
«Grosse Fortschritte gemacht»
Hier habe das Land in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht, gerade unter der AKP-Regierung von Erdogan, im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen. «Die Türkei ist heute eine moderne, urbane Gesellschaft. Das war vor 30 Jahren ganz anders. Wir wollen sagen: 'Zerstört nicht, was ihr aufgebaut habt.'»
Auf die Frage, ob es ihm Sorgen mache, dass die Erdogan-Regierung zunehmend repressiv gegen Kritiker vorgehe, sagte Rossier: «Sorgen macht mir, dass die 15-jährige Entwicklung eines Landes mit fast 80 Millionen Einwohnern in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit infrage gestellt werden könnte. Das ist entscheidend - und nicht, ob man einen Staatschef sympathisch findet.»
Wenn sich die Türkei tatsächlich von der Rechtsstaatlichkeit verabschieden würde, wäre das eine Katastrophe. «Aber schauen Sie, was jetzt geschieht: Die AKP und die Oppositionsparteien haben sich angenähert. Es gibt nun die Reaktion auf den Putsch, ja. Aber das ist normal. Ein Putsch ist katastrophal für den Rechtsstaat.»
«Aus Gerüchten Fakten machen»
«Stellen Sie sich vor, in der Schweiz würde das Militär das Bundeshaus angreifen und auf Zivilisten schiessen. Man würde mit Verhaftungen reagieren.» Die Verhaftungen auszuweiten auf blosse Regierungskritiker sei dagegen nicht zulässig. Wichtig sei, dass sich die Betroffenen gerichtlich dagegen wehren könnten.
Die Schweiz könne der Türkei helfen, auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit zu bleiben, durch eine Fortsetzung des Dialogs mit der Regierung, aber auch mit der türkischen Zivilgesellschaft, sagte Staatssekretär Rossier. «So spüren wir den Zustand des Landes am besten. Wir sind vor Ort tätig und haben Projekte am Laufen. Auch die grossen NGOs sind vor Ort und helfen mit, aus Gerüchten Fakten zu machen.» (sda)