EU-Gipfel: Gerangel um EU-Spitzenposten hat begonnen

EU-Gipfel: Gerangel um EU-Spitzenposten hat begonnen

28.05.2019, 18:40

Nach der Europawahl am Sonntag hat sich ein hartes Ringen um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker abgezeichnet. Die EU-Staats- und Regierungschefs befassten sich am Dienstag in Brüssel erstmals mit der Vergabe diverser EU-Spitzenposten.

Gesucht wird zuerst ein Nachfolger für EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Es geht aber auch um die Posten von EU-Ratschef Donald Tusk, der Aussenbeauftragten Federica Mogherini, EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani und von Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Sie alle scheiden noch dieses Jahr aus.

Als erste schlugen am Dienstagmorgen die Fraktionschefs des EU-Parlaments Pflöcke ein. Sie beschlossen mit Mehrheit, nur einen der Spitzenkandidaten als Junckers Nachfolger zu wählen, wie Parlamentspräsident Tajani mitteilte.

Auf eine Person legten sich die Parlamentsspitzen jedoch noch nicht fest, zumal jede Gruppe noch ihre eigenen Kandidaten platzieren will. Der Beschluss bedeutet aber: Das Parlament will keine Aussenstehenden, wie etwa den aus Frankreich stammende EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier oder einen Überraschungskandidaten.

Merkel für Weber

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel unterstützte am Dienstag vor Beginn des Sondergipfels in Brüssel das Spitzenkandidaten-Prinzip und warb klar für Manfred Weber, Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP).

Andere EU-Chefs sahen das jedoch anders. Der französische Präsident Emmanuel Macron etwa will die Auswahl nicht auf die Spitzenkandidaten beschränken, sondern freie Hand für die EU-Staats- und Regierungschefs.

Macron sagte denn auch vor dem Gipfel, zuerst gehe es nun nicht um Namen, sondern um ein politisches Programm für die nächsten fünf Jahre. Als zentralen Punkt nannte er Klimaschutz und wirtschaftlichen Ausgleich.

Der niederländische Regierungschef Mark Rutte sagte ebenfalls: «Zuerst Inhalte, dann Personen.» Erst auf Grundlage der strategischen Agenda könnten der Kommissions- und der nächste EU-Ratspräsident sowie andere Personalfragen entschieden werden, sagte Rutte weiter. Am Ende müsse es Ausgewogenheit zwischen Ost und West, Nord und Süd sowie unter den Geschlechtern geben.

Macron gegen Weber

Die Liberalen dürften im Personal-Poker eine wichtige Rolle spielen. Denn die beiden Volksparteien - EVP und Sozialdemokraten - haben nach starken Verlusten im neuen Parlament zusammen erstmals keine Mehrheit mehr und brauchen als Partner zum Beispiel die Grünen oder die Liberalen.

Letztere haben mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager eine eigene Favoritin. «Selbstverständlich haben wir mit Frau Vestager eine sehr starke Kandidatin», sagte der liberale Luxemburger Premierminister Xavier Bettel vor dem Gipfel.

Macron machte zudem deutlich, welche Qualitäten die neuen EU-Führungspersönlichkeiten haben müssen. Sie müssten vor allem Erfahrung in ihrem Land oder auf europäischer Ebene haben und glaubwürdig die politischen Prioritäten vertreten, sagte Macron.

Beides geht gegen Weber: Der 46-jährige Bayer hat keine Regierungserfahrung und betonte zum Beispiel Klimaschutz im Wahlkampf weit weniger als Sozialdemokraten und Grüne.

Sanchez für SP-Kandidat

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez sagte seinerseits, er wolle den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans im Rennen um das Amt des Kommissionschefs unterstützen.

«Frans Timmermans ist der beste Kandidat», sagte der Spanier. Er habe die Fähigkeit, Kompromisse zu schliessen. Sanchez' Heimatpartei gehört zur sozialdemokratischen Parteienfamilie.

Der slowakische Ministerpräsident Peter Pellegrini sagte im Namen der vier Visegrad-Staaten Slowakei, Tschechien, Ungarn und Polen: «Wir sehen das Spitzenkandidaten-System nicht als heilige Bibel. Ich glaube, der beste Kandidat sollte der neue Präsident der Kommission werden.»

Webers Chancen ungewiss

Weber gilt aktuell als Favorit. Wie jedoch seine Chancen stehen, ist schwer vorherzusagen. Mit dem Votum der Parlamentsspitzen für das Prinzip des Spitzenkandidaten ist er zumindest einen Schritt weiter. Entscheidend ist aber, ob er im Parlament eine Mehrheit findet.

Nötig sind 376 der 751 Abgeordneten. Rechnerisch reicht ein Bündnis aus EVP, Sozialdemokraten und Grünen knapp. Sollte eine Mehrheit stehen, könnten vielleicht auch die Staats- und Regierungschefs überzeugt werden - vermutlich innerhalb eines grösseren Personalpakets.

Merkel setzte einen zeitlichen Rahmen bis zur ersten Sitzung des neuen EU-Parlaments am 2. Juli, um zu einem Personalvorschlag zu kommen. Gleichzeitig mahnte die Kanzlerin die EU, Handlungsfähigkeit zu beweisen und «pfleglich miteinander umzugehen». (sda/dpa/afp/reu/apa)

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