Bis 2100 könnten in den Alpen nur noch vier Prozent der Eisfläche von Anfang dieses Jahrhunderts übrig sein. Weltweit schmelzen die Gletscher rapide. Viele Auswirkungen dieses Schwunds - auch für die Menschen - seien bisher zu wenig beachtet worden, warnen Forscher.
Zehn Prozent der Landfläche der Erde sind von Gletschern bedeckt - Tendenz rapide fallend. Aufmerksamkeit hat insbesondere eine Folge dieser grossen Schmelze erhalten, nämlich dass der Meeresspiegel steigen wird. Andere Folgen des Gletscherschwunds, etwa auf die Wasserversorgung der Bevölkerung, wurden bisher zu wenig beachtet, mahnt ein internationales Forscherteam mit Schweizer Beteiligung im Fachblatt «PNAS».
Den grössten Anteil der verlorenen Eismassen tragen die Gletscher am Golf von Alaska, der kanadischen Arktis sowie die Eisschilde Grönlands und der Antarktis bei, wie die Forschenden - darunter Tom Battin von der ETH Lausanne und Christopher Robinson von der Forschungsanstalt Eawag - im Fachartikel schreiben. Den grössten individuellen Verlust verzeichnen jedoch die europäischen Alpen und die Anden in Südamerika.
Bereits um 54 Prozent geschrumpft
Während der letzten dreissig Jahre habe sich der Alpenraum besonders stark erwärmt. Zusammen mit vermindertem Schneefall ist die Eisfläche seit 1850 um mehr als die Hälfte (54 Prozent) geschrumpft, hiess es weiter. Derzeitigen Berechnungen zufolge könnten in den Alpen bis Ende des 21. Jahrhunderts nur noch 4 bis 13 Prozent der Eisfläche von 2003 übrig sein.
Grosse Auswirkungen des weltweiten Gletscherschwunds seien beispielsweise auf Flüsse zu erwarten, heisst es in einer Mitteilung des Fachjournals vom Montag. Ihre Wasserversorgung wird unvorhersehbarer, da sie weniger von Schmelzwasser und mehr von zufälligen Niederschlägen abhängen werden. Damit verändern sich auch die Umweltbedingungen dieser Gewässer-Ökosysteme dramatisch.
Das schmelzende Eis gibt zudem Schadstoffe frei, wie beispielsweise Emissionen aus der Industrie, Pestizide oder andere überdauernde Schadsubstanzen, die mit dem Schmelzwasser in Bächen, Flüssen und Grundwasser landen.
Bevölkerung direkt beeinträchtigt
Der Gletscherschwund werde so auch die Bevölkerung beeinträchtigen, die in vielen Facetten von Gletscher-gespeisten Flüssen abhängig sei, betonen die Wissenschaftler. Von Wasserversorgung und Landwirtschaft über Fischerei bis hin zur kulturellen und religiösen Rolle, die Flüsse in vielen Gesellschaften spielen.
Das schiere Ausmass der Folgen des Gletscherschwunds auf die davon abhängigen Ökosysteme sei bisher nicht voll erfasst worden, kommentierte Hauptautor des Fachartikels Alexander Milner von der University of Birmingham. «Von Artenvielfalt bis Tourismus, von Wasserkraft bis zur Versorgung mit sauberem Wasser, die Bandbreite der Risiken für unsere derzeitige Lebensweise ist gross.»
Die Wissenschaftler rufen daher zu mehr Forschung über die Risiken in den am meisten betroffenen Regionen und zu grösseren Bemühungen bei der Anpassung an die laufenden und bevorstehenden Veränderungen auf. (sda)