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«Wir müssen das Recht haben, offline zu sein»

Interview

«Wir müssen das Recht haben, offline zu sein»

Futurist Gerd Leonhard über Technologie-Trends, Bedrohungen für die Schweizer Wirtschaft und wie Arbeitnehmer auf die Digitalisierung reagieren sollten.
17.05.2016, 21:4518.05.2016, 13:08
Fabian hock / Aargauer Zeitung
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Herr Leonhard, was ist der grösste Trend in Sachen Technologie?
Gerd Leonhard:
Exponentielle Technologien verlagern das Internet: früher waren es Websites, dann kamen die Apps – jetzt kommt die künstliche Intelligenz und intelligente Assistenten wie Siri, Cortana, VIV und Echo. Wir leben dann sozusagen in der Datenwolke, in einem «globalen Gehirn». Momentan ist das noch umständlich und teuer, aber da geht es ganz klar hin.

Was bedeutet das für die Schweizer Wirtschaft?
Für Firmen, die hauptsächlich Hardware herstellen, wird es wohl eher schwierig werden. Sie müssen erkennen, dass immer öfter Hardware zu Software wird. Nehmen Sie das Auto: Das ist in Zukunft Software auf Rädern.

Gerd Leonhard, Jahrgang 1961, ist Futurist, Strategie-Berater, Keynote-Speaker und Autor. 
Gerd Leonhard, Jahrgang 1961, ist Futurist, Strategie-Berater, Keynote-Speaker und Autor. gerdleonhard.de

Vielleicht innendrin, aber physische Teile braucht es doch trotzdem?
Der Tesla besteht aus ca. 60 grossen Teilen und viel Software. Ein BMW hat immer noch Tausende von grossen, mechanischen Teilen. Niemand braucht in Zukunft mehr eine mechanische Kupplung im Auto, Elektroautos haben keine. Das Physische wird unwichtiger.

Wenn Swatch sagt, dass die Uhr immer eine Uhr bleibt und Apple kein Konkurrent ist – irrt Swatch da?
Im unteren Preissegment könnte Swatch dadurch erheblich gestört werden. Im oberen nicht, denn da geht es um Fashion. Das Uhren-Business ist im hochpreisigen Bereich relativ sicher.​

Welche Branchen sind von der Digitalisierung am stärksten bedroht?
Die Welle der disruptiven Technologien trifft alle Branchen. Das Musik-Business hat es bereits getroffen, ebenso wie das Verlagswesen und Print. Momentan ist der Bankensektor dran. Danach kommt der Verkehrsbereich und die Energie. Auch das Pharma-Geschäft ist extrem bedroht – aber natürlich auch extrem beschützt. Je mehr Regulierung und Abschottung, desto länger dauert es, sich auf Neues einzustellen. Aber früher oder später kommt es zu allen: abwarten bedeutet irrelevant werden.

Könnte dein Job von einem Roboter übernommen werden?
Jetzt auf

Sie sprechen dabei vom «TeslaMoment». Was bedeutet das?
Für Automobilfirmen kam dieser Moment, als sie realisierten, dass Tesla keine heisse Luft produziert. Das Ökosystem, das Tesla gebaut hat, die Batterien, die Tankstellen, die Software – auf einmal haben sie gemerkt: das geht!

Die Automobilfirmen haben diese Entwicklung nicht gesehen?
Manche haben sie gesehen, aber die meisten haben sie nicht ernst genommen.

Fünfteilige Serie
Heute startet die «Nordwestschweiz» eine Serie, die bis Samstag mit Analysen, Interviews und Porträts eine Navigationshilfe für die unbekannten Gewässer liefern soll, auf die wir zusteuern.

- Dienstag: Die digitale Revolution und ihre Folgen.

- Mittwoch: Wo und wie wir in Zukunft arbeiten werden.

- Donnerstag: Wie sich der Standort Schweiz entwickelt.

- Freitag: Welche neuen Jobprofile entstehen.

- Samstag: Was der Ökonom Thomas Straubhaar dazu sagt.

Wie können sich Arbeitnehmer darauf einstellen?
Alles, was Routine ist, wird automatisiert. Für komplexere Arbeiten gilt das bald auch, Buchhaltung zum Beispiel. Wir müssen Dinge tun, die wirklich nur Menschen tun können — und deswegen auch anders lernen!

Welche Dinge sind das?
Früher haben viele Menschen in grosser Routine eher robotermässig gearbeitet. Keine Emotionen, keine Kreativität, keine Veränderungen. Wenn ich das heute noch tue, dann werde ich ersetzt. Einfache Finanzberater werden ersetzt, denn sie holen Daten und verpacken sie. Dazu liegen sie auch noch meistens falsch. Jetzt habe ich intelligente Software, die mein Portfolio alle 10 Sekunden live verändern kann – und das umsonst.

Ist das eine Chance oder eine Gefahr für den Arbeitsmarkt?
Das ist eine grosse Chance, aber es wird früher oder später zu massiver «technologischer Arbeitslosigkeit» führen.

Sind Sie für ein Grundeinkommen?
Meines Erachtens ist das Grundeinkommen unvermeidbar — wenn auch nicht so einfach umzusetzen.

Warum sind Sie dafür?
Momentan arbeiten wir mehr wegen der Technologie, weil wir vernetzt sind. In Zukunft werden wir das nicht mehr müssen, denn Maschinen machen unsere Arbeit. Künftig werden wir nicht mehr pro Stunde gemessen werden, sondern wir werden für Resultate bezahlt.

Technologie nimmt immer mehr Raum in unserem Leben ein. Wie verhindern wir, dass das überhandnimmt?
Es gibt eine Art Technologiegehorsam und die Bestrebung, alles was menschlich ist, zu reduzieren. Wir sollen immer effizient sein – und das sind wir einfach nicht! Im Vergleich mit Maschinen sind wir langsam, teuer und ineffizient! Silicon Valley’s Mantra ist: «Everything is a technology problem» — das ist ein schlechter Trend. Technologie muss Werkzeug sein und bleiben, nicht Sinn. Hier müssen wir neue Regeln finden. Solche, die verhindern, dass jemand benachteiligt wird, wenn er oder sie nicht immer vollkommen vernetzt sein will («wired or fired»). Oder künftig keine internetfähigen Implantate haben möchte. Wir müssen auch noch das Recht haben, offline zu sein. Wir sollten Technologie umarmen, aber nicht Technologie werden!

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