In Brüssel und Berlin werden jetzt die PR- und Presseleute Überstunden machen. Die Einigung sei ein Sieg der Vernunft, es sei ein Kompromiss erreicht worden, der allen Seiten gerecht werde und die europäische Einheit sei gerettet worden, wird der Tenor lauten.
Das ist nicht völlig falsch. Tatsächlich hätte ein Grexit zu nicht abschätzbaren wirtschaftlichen und geopolitischen Folgen geführt. Griechenland als «failed state» ist ein Risiko, das weder die EU noch die NATO eingehen kann. Es wäre schlicht Wahnsinn.
Die jetzt erzielte Einigung – vorausgesetzt, sie wird von den betreffenden Landesparlamenten auch abgesegnet – ist jedoch kein Grund, euphorisch zu werden. Sämtliche PR-Kunst wird nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Europa in den vergangenen Wochen grundsätzlich verändert hat.
Europa spricht jetzt deutsch. Das ist allen klar geworden. Es ist der deutsche Finanzminister und Hardliner Wolfgang Schäuble, der sich letztlich durchgesetzt hat. Dafür wird er viel Lob im eigenen Land erhalten. Kommentare in Sinne von: Er habe klaren Kopf behalten und sich nicht von den griechischen Spielern erpressen lassen, werden jetzt zuhauf geschrieben werden.
Man kann Schäubles Triumph jedoch auch ganz anders bewerten. In der «New York Times» spricht Paul Krugman von «reiner Rachsucht, kompletter Zerstörung der nationalen Souveränität und keiner Hoffnung auf Besserung». Sein Fazit: Es handle sich um einen grotesken Verrat an allem, wofür das europäische Projekt bisher gestanden habe.
Geschrieben im ersten Frust – Krugman ist ein dezidierter Befürworter eines Grexit – mag dies übertrieben sein. Doch Tatsache bleibt: Die Deutschen haben die Griechen gedemütigt – und sie taten es mit Absicht. Die Art und Weise, wie Tsipras, Varoufakis & Co. stets als Spieler und Amateure verunglimpft worden sind, und die Art und Weise, wie selbst eine so renommierte Anstalt wie die ARD diese an Propaganda grenzende Verunglimpfung mitgetragen hat, wird Spuren hinterlassen.
Bisher hat Deutschland es vermieden, die Rolle einer europäischen Führungsmacht zu spielen, und hatte dafür gute Gründe. Das wird künftig nicht mehr möglich sein. Die griechische Tragödie hat allen klar gemacht, wo die Musik spielt; und amerikanische Aussenminister werden sich künftig nicht mehr wie einst Henry Kissinger fragen, wen sie anrufen sollen, wenn sie mit Europa telefonieren wollen. Sie werden sich direkt mit dem Kanzleramt in Berlin verbinden lassen.
Ob und wie die neuen Machtverhältnisse in Europa goutiert werden, wird sich zeigen. Frankreich, Italien und Spanien sind derzeit wirtschaftlich angeschlagen und zu keiner ernsthaften politischen Reaktion fähig. Aber auch in diesen Ländern ist nicht unbemerkt geblieben, dass die Züchtigung der Griechen nicht zuletzt den Zweck hat, zu verhindern, dass sie auf dumme Gedanken kommen.
Ein weiteres Opfer ist die Europäische Zentralbank. Verfassungsrechtlich ist sie zwar zur Unabhängigkeit verpflichtet. Mit der Kündigung der Notkredite hat sie jedoch eindeutig Stellung zugunsten der Deutschen bezogen. Auch dies wird, wenn es denn einmal aufgearbeitet sein wird, Konsequenzen haben. (Okay, das ist ein bisschen technisch. Wer es genau wissen will, hier ein Link zu einem Artikel des deutschen Finanzprofessors Martin Hellwig.)
Vor allem aber wird das Modell der deutschen Wirtschaftspolitik bald an seine Grenzen stossen. Der Trumpf Export wird nicht mehr stechen. Die USA sind nach 2008 nicht mehr länger bereit, die Rolle des «Konsumenten in letzter Instanz» zu spielen. Will heissen: alle Überschüsse aus China und Europa aufzusaugen, und wenn, dann bezahlen sie es mit einem immer wertloser werdenden Dollar.
China seinerseits ist im Begriff, seine Wirtschaft umzumodeln, ein Unterfangen mit vielen Fallstricken. Das zeigt der aktuelle Börsencrash, der unter anderem dazu geführt hat, dass Bestellungen für deutsche Luxusautos storniert oder ganz abgesagt werden.
Euroland als getuntes Exportmonster nach deutschem Vorbild wird langfristig nicht funktionieren. Das ökonomische Gleichgewicht innerhalb von Europa muss wieder hergestellt werden. Davon will man in Berlin nichts wissen.