Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 gilt die Al-Kaida als das Böse schlechthin. Nun bekommt das gefürchtete Terrornetzwerk Konkurrenz aus den eigenen Reihen: Die Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) hat innert kürzester Zeit weite Teile des Iraks erobert und plant einen Angriff auf die Hauptstadt Bagdad.
Auch im Nachbarland Syrien kontrolliert die ISIS Gelände. Aus dieser zusammenhängenden Einflusszone soll nach den Vorstellungen der Dschihadisten dereinst ein islamisches Kalifat hervorgehen, in dem alle Muslime der Region streng gemäss der Scharia leben.
ISIS war bis Ende 2013 eine Zweigstelle der Al-Kaida, als ihr Anführer Abu Bakr al-Baghdadi den alleinigen Führungsanspruch unter den dschihadistischen Rebellen in Syrien für sich beanspruchte. Weder die Al-Kaida-Führung unter Aiman al-Sawahiri noch die rivalisierende Nusra-Front akzeptierten dies, worauf es zum Zerwürfnis kam.
Manch einer hielt den 42-Jährigen Iraker damals für überheblich. Inzwischen kann al-Baghdadi derart beeindruckende militärische Erfolge vorweisen, darunter die Eroberung der Millionenmetropole Mossul, dass sogar Al-Kaida-Chef al-Sawahiri neben ihm verblasst. Momentan spricht viel für den Iraker:
Wie der britische Guardian betont, könnte al-Baghdadi wie zuvor andere Dschihadisten-Anführer allerdings auch schnell wieder von der Bildfläche verschwinden. Bei einem Sturm auf Bagdad würde er nicht auf reguläre irakische Einheiten, sondern Elitetruppen von Premierminister Nuri al-Maliki treffen. Iran hat angeblich bereits Spezialeinheiten der Revolutionsgarden entsandt und auch die Türkei dürfte einem weiteren Vorrücken der Terroristen nicht tatenlos zusehen. Selbst US-Präsident Obama scheint nach anfänglichem Zögern zum Eingreifen bereit.
Auch weiss al-Baghdadi, dass die sunnitischen Iraker sich zwar von der schiitischen Mehrheit marginalisiert fühlen, aber keineswegs eine geeinte Fraktion darstellen. Die ehemaligen Baathisten etwa, die ihn momentan unterstützen, ticken ideologisch völlig anders. Ob der kometenhafte Aufstieg des «unsichtbaren Scheichs» – gerade einmal zwei Bilder gibt es von ihm – weitergeht, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.