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EU-Chatkontrolle: Darum gehen Datenschützer gegen die EU-Kommission vor

epa10941107 European Commissioner for Home Affairs Ylva Johansson attends a joint press conference on the sidelines of the EU-Western Balkans Ministerial forum on Justice and Home Affairs in Skopje, N ...
Das hätte sich die für die weitreichenden Überwachungspläne verantwortliche EU-Innenkommissarin Ylva Johansson definitiv anders vorgestellt. Bild: keystone

EU-Kommission hat wegen «Chatkontrolle» massiven Ärger – das steckt dahinter

Die vom österreichischen Anwalt und Datenschutz-Aktivisten Max Schrems gegründete «noyb»-NGO geht rechtlich gegen die EU-Kommission vor. Im Visier: die «Mutter» der europäischen Chatkontrolle.
16.11.2023, 07:3316.11.2023, 14:54
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Die unabhängige europäische Datenschutz-Organisation «noyb» hat eine Beschwerde gegen die EU-Kommission (Generaldirektion Migration und Inneres) eingereicht. Dies geht aus einer Medienmitteilung vom Donnerstag hervor.

Der Auslöser: Im September 2023 hatte die EU-Kommission sogenanntes Micro-Targeting auf X (Twitter) genutzt, um für die umstrittene Chatkontrolle zu werben.

Damit seien «die etablierten demokratischen Verfahren zwischen den EU-Institutionen untergraben» worden und es sei gegen die geltenden europäischen Datenschutzgesetze (festgeschrieben in der DSGVO) verstossen worden.

In der Noyb-Mitteilung heisst es:

«Es dürfte sich um einen verzweifelten Versuch der EU-Kommission handeln, öffentliche Unterstützung zu finden und nationale Regierungen dazu zu drängen, den Gesetzesvorschlag zu akzeptieren.»

Die vorgeschlagene EU-Verordnung zur Chatkontrolle sei wohl eine der umstrittensten Verordnungen seit Langem.

«Kritiker:innen befürchten, dass das Gesetz die gesamte verschlüsselte Online-Kommunikation untergraben – und der Massenüberwachung Tür und Tor öffnen könnte.»

Kritik an den Plänen wurde bereits von Vertretern der Privatwirtschaft geäussert, darunter Apple, aber auch aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, den EU-Mitgliedstaaten und den juristischen Diensten der EU-Institutionen. Dennoch dränge die EU-Kommission auf eine baldige Verabschiedung.

Max Schrems gilt als Facebook-Schreck, weil er noch als Student den amerikanischen Social-Media-Konzern (heute Meta) juristisch in die Knie gezwungen hat. 2017 gründete er mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern die unabhängige, spendenfinanzierte Datenschutz-Organisation Noyb.

Druck auf sozialdemokratische EU-Innenkommissarin wächst

Die zuständige sozialdemokratische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson aus Schweden ist wegen ihres fragwürdigen Vorgehens rund um die geplante Einführung der Chatkontrolle massiv und wiederholt unter Druck geraten.

Journalistinnen und Journalisten deckten in einer internationalen Recherche auf, dass ein millionenschweres Lobbynetzwerk beim Erarbeiten des Vorschlags mitgewirkt hat, wobei es die Zuständigen an Transparenz mangeln liessen.

Die EU-Kommission nutzte darüber hinaus ausgerechnet auf der Social-Media-Plattform X das Instrument des «politischen Targetings». Das heisst, es wurde in EU-Ländern, die sich öffentlich gegen die Chatkontrolle gestellt hatten, irreführende Werbung ausgespielt für X-User – und zwar gefiltert nach politischen und religiösen Kriterien. Diese Art der politischen Werbung sei in der EU mindestens umstritten, wenn nicht sogar in Teilen illegal, hielt netzpolitik.org fest.

Noyb ruft nun in Erinnerung, dass die EU-Kommission zuvor selbst Bedenken hinsichtlich der Verwendung persönlicher Daten für das Micro-Targeting geäussert und die Praxis als «ernsthafte Bedrohung für einen fairen, demokratischen Wahlprozess» bezeichnet habe.

«Es ist unfassbar, dass die EU-Kommission sich nicht an das Gesetz hält, das sie erst vor wenigen Jahren mit institutionalisiert hat. Ausserdem behauptet X, die Verwendung sensibler Daten für Werbetargeting zu verbieten – unternimmt aber nichts, um dieses Verbot tatsächlich umzusetzen.»
Maartje de Graaf, Datenschutzjuristinquelle: noyb.eu

Die EU-Kommission scheine versucht zu haben, «die öffentliche Meinung in Staaten wie den Niederlanden zu beeinflussen, um die Position der nationalen Regierungen im EU-Rat zu untergraben». Ein solches Verhalten – insbesondere in Kombination mit illegalem Micro-Targeting – sei eine ernsthafte Bedrohung für den EU-Gesetzgebungsprozess.

Gemäss Gutachten unvereinbar mit Grundrechte-Charta

Ein früherer Richter des Europäischen Gerichtshofs geht davon aus, dass die von der EU-Kommission vorgeschlagene neue Verordnung gegen die Grundrechte-Charta der Europäischen Union verstösst. Netzpolitik.org zitierte am Mittwoch aus einem 38-seitigen Gutachten des Juristen Christopher Vajda, einem ehemaligen Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH). Darin heisst es unter anderem:

«Die Verordnung ermöglicht es, den Inhalt der Kommunikation zu überwachen, was unweigerlich genaue Rückschlüsse auf das Privatleben einer Person zulässt, und hebt auch die Sicherheitsvorkehrungen der Ende-zu-Ende-verschlüsselten Kommunikation auf.»

Zuständige EU-Parlamentarier sind gegen Chatkontrolle

Am Dienstag hatte der Innenausschuss des EU-Parlaments gegen die anlasslose Chatkontrolle gestimmt und damit eine grundsätzlich ablehnende Haltung beschlossen.

Der Kompromisstext des Parlaments nehme nun das verdachtslose, automatisierte Durchsuchen von Dateien aus dem Gesetzesentwurf heraus und schütze zudem verschlüsselte Kommunikation besonders, berichtete netzpolitik.org.

Damit stehe das EU-Parlament bereit für die sogenannten Trilog-Verhandlungen mit EU-Kommission und EU-Rat. Wann diese Verhandlungen über die Chatkontrolle beginnen, bleibe vorerst offen: Die Vertretung der Länder im EU-Rat habe sich noch nicht auf eine Position geeinigt.

Was hat es mit dem Client-Side-Scanning auf sich?

Die EU-Kommission will mit der Chatkontrolle neue Überwachungsmassnahmen schaffen, die der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet dienen. Konkret sind verschiedene Instrumente vorgesehen.

Den ursprünglichen Plänen der EU-Kommission folgend, würde eine neue Form anlassloser Massenüberwachung eingeführt – einschliesslich verschlüsselter Kommunikation.

Technisch wäre das Suchen nach illegalen Inhalten nur mit der Technologie des Client-Side-Scannings möglich, also einer Suchfunktion auf den Geräten der User selbst, bevor die Inhalte (Bilder/Videos) allenfalls verschlüsselt werden.

Gegen einen solch massiven Eingriff in die Privatsphäre und die Vertraulichkeit der digitalen Kommunikation hatten sich weltweit Bürgerrechtsorganisationen und Fachleute aus verschiedensten gesellschaftlichen und politischen Bereichen ausgesprochen, wie netzpolitik.org festhält.

Tatsächlich hatte Apple 2021 ein entsprechendes Vorgehen angekündigt, kam aber nach massiven öffentlichen Protesten davon weg und die Verantwortlichen warnen nun selber vor einer drohenden Massenüberwachung.

In der Schweiz verfolgt die Regierung keine vergleichbaren Pläne mehr, wie am Mittwoch mitgeteilt wurde. Die Verschlüsselung von Messengern wie WhatsApp und Co. soll entgegen ersten Überlegungen nicht angetastet werden.

Allerdings wäre die hiesige Bevölkerung mehr oder weniger direkt betroffen, wenn in den umliegenden EU-Staaten eine digitale Chatkontrolle eingeführt würde.

Quellen

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Garp
16.11.2023 09:07registriert August 2018
Ein Hoch auf Max Schrems! 🥂

Ylva Johansson ist total verblendet, alle Chats abhören zu wollen. Das wird nicht viel helfen gegen Kinderschänder vorzugehen, dazu braucht es überall mehr Personal.
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P.Rediger
16.11.2023 08:14registriert März 2018
Big Brother is watching you! Keine Ahnung wie Politiker: innen auf solche Ideen kommen, aber man sollte bei der Überwachung bei denen anfangen um ihnen aufzuzeigen, was das im Detail heisst. Ein unglaublicher Eingriff in die Privatsphäre.
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H.P. Liebling
16.11.2023 09:59registriert September 2018
Immer, wenn mit vermeintlicher "Sicherheit" für Überwachung und gegen unser aller Freiheit argumentiert wird, sollte man hellhörig werden... dann ist meist etwas oberfaul!
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