Die unabhängige europäische Datenschutz-Organisation «noyb» hat eine Beschwerde gegen die EU-Kommission (Generaldirektion Migration und Inneres) eingereicht. Dies geht aus einer Medienmitteilung vom Donnerstag hervor.
Der Auslöser: Im September 2023 hatte die EU-Kommission sogenanntes Micro-Targeting auf X (Twitter) genutzt, um für die umstrittene Chatkontrolle zu werben.
Damit seien «die etablierten demokratischen Verfahren zwischen den EU-Institutionen untergraben» worden und es sei gegen die geltenden europäischen Datenschutzgesetze (festgeschrieben in der DSGVO) verstossen worden.
In der Noyb-Mitteilung heisst es:
Die vorgeschlagene EU-Verordnung zur Chatkontrolle sei wohl eine der umstrittensten Verordnungen seit Langem.
Kritik an den Plänen wurde bereits von Vertretern der Privatwirtschaft geäussert, darunter Apple, aber auch aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, den EU-Mitgliedstaaten und den juristischen Diensten der EU-Institutionen. Dennoch dränge die EU-Kommission auf eine baldige Verabschiedung.
Max Schrems gilt als Facebook-Schreck, weil er noch als Student den amerikanischen Social-Media-Konzern (heute Meta) juristisch in die Knie gezwungen hat. 2017 gründete er mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern die unabhängige, spendenfinanzierte Datenschutz-Organisation Noyb.
Die zuständige sozialdemokratische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson aus Schweden ist wegen ihres fragwürdigen Vorgehens rund um die geplante Einführung der Chatkontrolle massiv und wiederholt unter Druck geraten.
Journalistinnen und Journalisten deckten in einer internationalen Recherche auf, dass ein millionenschweres Lobbynetzwerk beim Erarbeiten des Vorschlags mitgewirkt hat, wobei es die Zuständigen an Transparenz mangeln liessen.
Die EU-Kommission nutzte darüber hinaus ausgerechnet auf der Social-Media-Plattform X das Instrument des «politischen Targetings». Das heisst, es wurde in EU-Ländern, die sich öffentlich gegen die Chatkontrolle gestellt hatten, irreführende Werbung ausgespielt für X-User – und zwar gefiltert nach politischen und religiösen Kriterien. Diese Art der politischen Werbung sei in der EU mindestens umstritten, wenn nicht sogar in Teilen illegal, hielt netzpolitik.org fest.
Noyb ruft nun in Erinnerung, dass die EU-Kommission zuvor selbst Bedenken hinsichtlich der Verwendung persönlicher Daten für das Micro-Targeting geäussert und die Praxis als «ernsthafte Bedrohung für einen fairen, demokratischen Wahlprozess» bezeichnet habe.
Die EU-Kommission scheine versucht zu haben, «die öffentliche Meinung in Staaten wie den Niederlanden zu beeinflussen, um die Position der nationalen Regierungen im EU-Rat zu untergraben». Ein solches Verhalten – insbesondere in Kombination mit illegalem Micro-Targeting – sei eine ernsthafte Bedrohung für den EU-Gesetzgebungsprozess.
Ein früherer Richter des Europäischen Gerichtshofs geht davon aus, dass die von der EU-Kommission vorgeschlagene neue Verordnung gegen die Grundrechte-Charta der Europäischen Union verstösst. Netzpolitik.org zitierte am Mittwoch aus einem 38-seitigen Gutachten des Juristen Christopher Vajda, einem ehemaligen Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH). Darin heisst es unter anderem:
Am Dienstag hatte der Innenausschuss des EU-Parlaments gegen die anlasslose Chatkontrolle gestimmt und damit eine grundsätzlich ablehnende Haltung beschlossen.
Der Kompromisstext des Parlaments nehme nun das verdachtslose, automatisierte Durchsuchen von Dateien aus dem Gesetzesentwurf heraus und schütze zudem verschlüsselte Kommunikation besonders, berichtete netzpolitik.org.
Damit stehe das EU-Parlament bereit für die sogenannten Trilog-Verhandlungen mit EU-Kommission und EU-Rat. Wann diese Verhandlungen über die Chatkontrolle beginnen, bleibe vorerst offen: Die Vertretung der Länder im EU-Rat habe sich noch nicht auf eine Position geeinigt.
Die EU-Kommission will mit der Chatkontrolle neue Überwachungsmassnahmen schaffen, die der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet dienen. Konkret sind verschiedene Instrumente vorgesehen.
Den ursprünglichen Plänen der EU-Kommission folgend, würde eine neue Form anlassloser Massenüberwachung eingeführt – einschliesslich verschlüsselter Kommunikation.
Technisch wäre das Suchen nach illegalen Inhalten nur mit der Technologie des Client-Side-Scannings möglich, also einer Suchfunktion auf den Geräten der User selbst, bevor die Inhalte (Bilder/Videos) allenfalls verschlüsselt werden.
Gegen einen solch massiven Eingriff in die Privatsphäre und die Vertraulichkeit der digitalen Kommunikation hatten sich weltweit Bürgerrechtsorganisationen und Fachleute aus verschiedensten gesellschaftlichen und politischen Bereichen ausgesprochen, wie netzpolitik.org festhält.
Tatsächlich hatte Apple 2021 ein entsprechendes Vorgehen angekündigt, kam aber nach massiven öffentlichen Protesten davon weg und die Verantwortlichen warnen nun selber vor einer drohenden Massenüberwachung.
In der Schweiz verfolgt die Regierung keine vergleichbaren Pläne mehr, wie am Mittwoch mitgeteilt wurde. Die Verschlüsselung von Messengern wie WhatsApp und Co. soll entgegen ersten Überlegungen nicht angetastet werden.
Allerdings wäre die hiesige Bevölkerung mehr oder weniger direkt betroffen, wenn in den umliegenden EU-Staaten eine digitale Chatkontrolle eingeführt würde.
Ylva Johansson ist total verblendet, alle Chats abhören zu wollen. Das wird nicht viel helfen gegen Kinderschänder vorzugehen, dazu braucht es überall mehr Personal.