... Manuel Klarmann, 34, CEO des ETH-Spin-Offs Eaternity. Das Zürcher Jungunternehmen stellt Köchen auf Knopfdruck Tools zur Verfügung, mit welchen sie negative Umweltauswirkungen ihrer Restaurants aufspüren und reduzieren können.
... ursprünglich aus Deutschland, studierte aber an der ETH und der Universität Zürich Mathematik und Computation. An der ETH legte Klarmann mit seiner Lebenspartnerin Judith Ellens 2008 auch das Fundament für Eaternity, ein Start-up, das für mehr Nachhaltigkeit in unseren Tellern sorgen will: «Was nützen die besten CO2-Studien über Kohlrabi und Rindfleisch, wenn die Köche und deren Kundschaft nichts davon mitbekommen?», so der treibende Gedanke hinter der Firma.
Ellens sammelte daraufhin während ihres Master-Studiums in Umweltnaturwissenschaften die entsprechenden wissenschaftlichen Daten – und Klarmann entwickelte die erste Software, die es möglich machte, diese Daten darzustellen und zugänglich zu machen. Konkret: sie mit dem Inventar einer Restaurantküche zu verknüpfen.
Klarmann ist davon überzeugt, dass gerade das Essen der richtige Bereich ist, um etwas zum Klimaschutz beizutragen. «Unsere Nahrungsmittelversorgungskette ist für ein Drittel der weltweit verursachten Treibhausgase verantwortlich. Wie und was wir essen trägt mehr zum Klimawandel bei als der globale Personen- und Gütertransport.» Und ausserdem: Essen müsse schliesslich jeder täglich. «Es leuchtet ein, wenn man sagen kann: ‹Bereits ein Cheeseburger hat die gleiche Auswirkung auf das Klima wie 500 Stunden fernsehen.›»
... nun einen CO2-Rechner, der den ökologischen Fussabdruck tausender Gerichte berechnet – genau 76’000 Menüs bestehend aus 4600 Nahrungsmittelkomponenten. Damit hat das Zürcher Unternehmen die weltweit grösste CO2-Datenbank für Lebensmittel aufgebaut. Darin erfährt man Sachen wie: Ein Kilogramm Schweinefleisch verursacht so viel CO2 wie 80 Kilogramm Kartoffeln.
Der Koch kann so diverse Nahrungsmittel auf ihren ökologischen Fussabdruck prüfen und seine Menüs entsprechend anpassen. «Eine Reduktion von rund 20 Prozent kann jedes Restaurant ohne grossen Mehraufwand erreichen. Ein kurzer Blick vom Chef auf die Datenbank genügt.»
Das Unternehmen arbeitet schweizweit mit 74 Betrieben, darunter mit dem grossen Player unter den Cateringspezialisten, Compass Group. Weitere Projekte laufen derzeit in Deutschland, Österreich, Holland und England.
Anders als andere herkömmliche Methoden, die die Ökobilanz eines Tellers Lasagne berechnen, bezieht die Firma andere Komponenten mit ein: Wasser- und Düngerverbrauch oder die Erntezeit, aber auch: «War ein Gemüse im Gewächshaus? Welchen Transportweg musste es zurücklegen? Wie lange musste es gelagert werden? Welche Verpackungen wurden verwendet?» Insgesamt habe man pro Produkt etwa 50 solcher Parameter, die man der Einfachheit halber alle in Kilogramm CO2 umrechne, damit man die Zutaten eines Menüs auch miteinander vergleichen könne, erklärt Klarmann.
Welches ist denn der grösste Sünder auf dem Teller? «Ganz oben auf der Liste steht Bio-Filet mit dem Flugzeug eingeflogen. Auch alles mit Butter ist schlecht – wegen dem Methan, das die Kühe ausstossen. Zum Vergleich: Ein Schweinsplätzli verursacht nur ein Viertel der Emissionen des Rindfleischs.»
... eigentlich nicht viel, meint er, um den Ausstoss schädlicher Treibhausgase in die Erdatmosphäre zu reduzieren: «Würden wir uns in der Schweiz bereits dreimal pro Woche klimafreundlich ernähren, hätte dies aufs Klima die gleiche Wirkung, wie wenn auf unseren Strassen 750'000 Autos weniger unterwegs wären.»
Dass wir überdenken, wie wir essen, sei auch für das Pariser Klimaziel nötig: «Von 15 Tonnen Ausstoss an Treibhausgasen pro Kopf und Jahr runter auf eine Tonne – das geht nicht ohne eine Anpassung unserer Essensgewohnheiten.»
Hinter dieser Überzeugung stehen auch die anderen neun Mitarbeiter der Firma; Programmierer, Verkaufsspezialisten und Köche. Zu ihrem Lohn kommen sie derzeit durch Gelder des Förderfonds Engagement Migros und durch die 1300 Franken, die jeder beteiligte Restaurationsbetrieb pro Jahr für die Dienstleistung bezahlt.
Reich ist Klarmann mit seinem Geschäftsmodell bisher nicht geworden. Doch das ist auch nicht sein Ziel, wie im Gespräch deutlich wird. Ist er nun eigentlich Unternehmer oder Aktivist? «Ich bin beides, je etwa zur Hälfte. Es gab schon Deals, die wir nicht eingegangen sind, weil sie nicht zu uns passten.»
... die Zukunft rosig. «In den letzten zwei Jahren hat es in der Gesellschaft in Bezug auf unsere Ernährung einen richtigen Ruck gegeben.» Zuletzt hätten die Kantinen einer Polizeistation, einer Müllverbrennung und eines Elektritzitätswerks mit Eaternity getestet, wie sie die CO2-Werte ihres Angebots reduzieren könnten.
Nun will die Firma ihre Datenbank auch Privatpersonen zur Verfügung stellen. Klarmann: «Ziel ist es, den Konsumenten im Laden aufzuzeigen, wie es um den Öko-Fussabdruck der Produkte steht – ähnlich wie es die App Codecheck für Inhaltsstoffe anbietet.» Konkret soll ein Kunde in Zukunft nur den Barcode eines Produktes scannen müssen um zu sehen, wie ökologisch es ist.
Ausserdem liebäugelt der Unternehmer mit einem zweiten Standbein in Amerika: «Wie alle Start-ups schauen wir auf die Sillicon Valley, irgendwann wird ein Büro dort wohl unumgänglich.»
... das ganze Gastronomiegewerbe auf den Kopf stellen. «Es ist schwierig an Daten aus den Küchen zu gelangen, weil in den Restaurants vieles noch nicht digital gemacht wird. Die Chefs schreiben sich ihre Rezepte auf Notizzettel oder behalten sie im Kopf.»
Auch die eingeschliffenen Essensgewohnheiten der hiesigen Gesellschaft wird Klarmann nicht so schnell ändern können – und sieht das auch ein: «Wir essen viel Fleisch, trinken viel Milch, weil wir das mit einem hohen Status in Verbindung bringen. Unser Magen hat sich gemerkt, was er die letzten 20 Jahre gegessen hat. Der hat sich das einprogrammiert, das ist ähnlich wie bei einer Kokain-Sucht.»
Doch bald würden wir einen Entzug durchmachen müssen, sagt Klarmann. «Heute geht ein Drittel der durch unseren Konsum verursachten Umweltbelastung auf das Konto der Nahrungsmittel – bis 2050 wird diese Zahl durch Bevölkerungswachstum und anderes zwei Drittel der Bilanz ausmachen.» Ein kalter Entzug bringe aber nichts, man müsse in kleinen Schritten vorankommen. «Deshalb verbietet man das Röhrli halt, auch wenn es reine Symbolpolitik ist und sonst nichts bringt.»
... dass Avocados nicht «böse» sind. «Avocados sind als Klimasünder verschrien – das sind fast schon Fake-News.» Eine Avocado sei sehr effizient, wenn sie per Schifftransport aus Südafrika komme. Klarmann: «Drei Mal effizienter als eine lokal produzierte Tomate gleicher Masse.» Tomaten seien nicht so klimafreundlich, wie man möglicherweise erwarte. Denn sie enthalten viel Wasser, aber kaum Proteine oder Fett.
Ohnehin geisterten in Bezug auf die Ernährung mehrere falsche Annahmen herum. Der Biolandbau gelte als umwelt- und klimafreundlich. Doch wenn man die niedrigeren Erträge und den grösseren Flächenbedarf berücksichtigt, kehre sich das Bild: «Schweizer Bio-Rinder grasen auf Weiden, was einen höheren Treibhausgasausstoss mit sich bringt. Der grössere Anteil an natürlichem Futter und mehr Auslauf führt dazu, dass die Tiere langsamer wachsen und sich die Mastdauer verlängert, was den Methanausstoss erhöht.» Fazit: Der CO2-Fussabdruck sei bei Bio-Fleisch mindestens 50 Prozent höher als bei der konventionellen Rinderzucht.
Es bringe auch nichts lokal zu kaufen, wenn nicht Saison ist. Die Emissionen von beheizten Gewächshäusern seien grösser als der Import aus Spanien. «Importe von weit weg sind nicht schlecht, solange sie mit dem Schiff kommen. So weisen zum Beispiel Spargeln aus Peru praktisch die gleiche Öko-Bilanz auf wie lokale Spargeln.»
... dass er jeden Mittag mit seinen Mitarbeitern im Büro kocht – klimafreundlich natürlich. «Und dass ich innerhalb einer MTV-Reality-Show eine Bodyguard-Ausbildung absolviert habe», ergänzt Klarmann grinsend.