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Prost und raus aus der EU!

Die UKIP von Nigel Farage (r.) könnte in Grossbritannien stärkste Partei werden. Bild: Getty Images Europe
Populisten auf dem Vormarsch

Prost und raus aus der EU!

EU-Skeptiker und Populisten dürften als grosse Sieger aus der Europawahl 2014 hervorgehen. Sie profitieren von der verbreiteten Politikverdrossenheit angesichts der Schuldenkrise und Wirtschaftsflaute.
22.05.2014, 06:2822.05.2014, 18:29
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Die Stimmberechtigten der 28 EU-Mitgliedsstaaten wählen ein neues Europaparlament. Der Urnengang erfolgt zu einem schwieriger Zeitpunkt: Die Europäische Union beginnt sich erst langsam von der grössten Krise ihrer Geschichte zu erholen. Viele Länder leiden unter Rekordarbeitslosigkeit und einer harten Sparpolitik, die Stimmung ist entsprechend angespannt.

Profitieren dürften Euroskeptiker und Populisten vor allem rechter Couleur. Sie bedienen die Sehnsucht vieler Menschen nach nationaler Nestwärme. Nach jüngsten Umfragen könnten sie auf etwa 18 Prozent oder 120 der 751 Sitze in der neuen Volksvertretung kommen. Ein Überblick über einige ihrer wichtigsten Vertreter:

Vlaams Belang

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Bild: BELGA

Die rechtspopulistische Partei Vlaams Belang (Flämische Interessen) ging aus dem rechtsextremen Vlaams Blok hervor. Ihr Hauptziel ist die Unabhängigkeit Flanderns und damit die Auflösung des Staates Belgien. Bekanntester Exponent ist Filip Dewinter (rechts). Er will mit anderen Rechtsparteien eine Fraktion im Europaparlament bilden. Zuletzt litt der Vlaams Belang unter dem Erstarken der weniger radikalen Separatistenpartei Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA).

Dansk Folkeparti

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Bild: Reuters

Als «Passivmitglied» einer bürgerlichen Regierung von 2001 bis 2011 setzte die Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) die rigideste Zuwanderungspolitik innerhalb der EU durch. Vor allem gegenüber Muslimen fährt sie eine harte Linie, ausserdem war sie massgeblich daran beteiligt, die Einführung des Euro in Dänemark zu verhindern (Bild). Laut einer Umfrage könnte die Volkspartei bei der Europawahl auf mehr als 25 Prozent kommen und damit stärkste Kraft werden.

Europawahl 2014
Ab Donnerstag bis Sonntag wählen die rund 413 Millionen Wahlberechtigten in allen 28 EU-Staaten ihre 751 Abgeordneten fürs EU-Parlament. Als erste gehen am Donnerstag die Niederländer und die Briten an die Urnen, die letzten sind die Italiener. Die beiden grössten Parteien, die Konservative Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE), liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Gemäss letzten Umfragen haben die Konservativen mit 212 Sitzen die Nase gegenüber den Sozialdemokraten (209 Sitze) leicht vorn. Dieses Mal gebührt der Europawahl besondere Aufmerksamkeit: Die Staats- und Regierungschefs müssen das Ergebnis «berücksichtigen», wenn sie den neuen Chef der EU-Kommission vorschlagen. Aussichtsreichste Kandidaten sind der luxemburgische Ex-Premier Jean-Claude Juncker (EVP) und der amtierende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPE) aus Deutschland.

Alternative für Deutschland

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Bild: EPA/DPA

Erst letztes Jahr wurde die EU-kritische Alternative für Deutschland (AfD) gegründet. In den Umfragen kommt sie auf rund sieben Prozent. Sie fordert die Abschaffung des Euro oder zumindest den Ausschluss der verschuldeten Südländer, inklusive Frankreich. Ausserdem setzt sie sich für Volksabstimmungen nach schweizerischem Vorbild ein. Als Zugpferd konnte Hans-Olaf Henkel gewonnen werden, ehemaliger Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und scharfer Euro-Kritiker.

Perussuomalaiset

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Bild: Lehtikuva

Die Perussuomalaiset (Wahren Finnen) kamen bei der Parlamentswahl 2011 mit 19 Prozent auf den dritten Platz. Ein ähnlich gutes Ergebnis wird der Partei und ihrem Vorsitzenden Timo Soini bei der Europawahl zugetraut. Nicht zuletzt durch ihren Einfluss gehörte Finnland in den Verhandlungen über den Euro-Rettungsschirm zu den Hardlinern. Die Führung möchte der Partei ein moderates Image verpassen, doch immer wieder fallen Exponenten der Wahren Finnen mit rassistischen Äusserungen auf.

Front National

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Bild: AFP

Seit Marine Le Pen die Führung von ihrem Vater Jean-Marie übernommen hat, ist der rechtsradikale Front National (FN) in Frankreich salonfähig geworden. Laut den neusten Umfragen könnte er bei der Europawahl mit 25 Prozent stärkste Partei werden. Le Pen distanziert sich vom Antisemitismus und Rassismus ihres Vaters. Sie setzt auf Nationalismus und Protektionismus. Die EU würde sie am liebsten abschaffen, zumindest aber soll Frankreich aus der Eurozone austreten.

Chrysi Avgi

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Bild: Getty Images Europe

Kein Land hat mehr unter der Eurokrise gelitten als Griechenland. Profitieren davon dürften die neofaschistische Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). Ihr Emblem erinnert an ein Hakenkreuz.  Sie könnte viertstärkste Partei werden und den Einzug ins EU-Parlament schaffen, obwohl führende Mitglieder in U-Haft sitzen. Die Justiz ermittelt gegen sie wegen Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. 

Syriza

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Bild: EPA/ANSA

Ebenfalls vom Frust der Griechen profitieren wird das Linksbündnis Syriza. Bei den Kommunalwahlen am letzten Wochenende lag es praktisch gleich auf mit den regierenden Konservativen, bei der Europawahl könnte Syriza sogar stärkste Kraft werden. Parteichef Alexis Tsipras ist gleichzeitig Spitzenkandidat der europäischen Linksaussen-Parteien. Syriza fordert ein Ende der harten Sparpolitik. Innerhalb des Bündnisses gibt es einen starken EU-kritischen Flügel.

United Kingdom Independence Party

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Bild: Getty Images Europe

Seit 15 Jahren sitzt Nigel Farage bereits im Europäischen Parlament. Dabei möchte der Vorsitzende der United Kingdom Independence Party (UKIP) nichts lieber als raus aus der EU, und zwar möglichst sofort. Ausserdem soll Grossbritannien seine Grenzen für Einwanderer weitgehend dicht machen. Unter Führung des charismatischen und leutseligen Farage – der selber mit einer Deutschen verheiratet ist – dürfte der UKIP ein historischer Triumph gelingen. Die Partei, die im Londoner Unterhaus nicht vertreten ist, könnte gemäss Umfragen auf über 30 Prozent kommen und die etablierten Parteien hinter sich lassen.

Movimento Cinque Stelle

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Bild: AP/PRESL

Das Movimento Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) vertritt eher linke Positionen, ist gleichzeitig aber EU-kritisch. Sein Chef, der Komiker Beppe Grillo, wettert im Wahlkampf gegen Brüssel, den Euro und am liebsten gegen Deutschland. Damit trifft er den Nerv vieler Italiener, die genug haben von Arbeitslosigkeit und Sparpolitik. Obwohl das M5S zuletzt angeschlagen wirkte, könnte sie bei der Europawahl zweitstärkste Kraft in Italien werden.

Lega Nord

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Bild: EPA/ANSA

Zu den «Klassikern» unter Europas Rechtspopulisten zählt die Lega Nord. Die Partei, die von einem unabhängigen Norditalien träumt, ist nicht mehr so stark wie in ihren besten Tagen. Beppe Grillos M5S macht ihr viele Protestwähler abspenstig. Im Europa-Wahlkampf hat Parteisekretär Matteo Salvini deshalb die Tonalität verschärft. Die Lega verlangt den Austritt aus der Eurozone und will Migranten abschrecken, die übers Mittelmeer nach Italien kommen.

Partij voor de Vrijheid

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Bild: AFP

Den Koran möchte er verbieten, nach den Kommunalwahlen im März hetzte er gegen Marokkaner: Geert Wilders, Chef und einziges Mitglied der Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit), hat sich als scharfer Islamkritiker profiliert. Nun verlangt er den Austritt der Niederlande aus der EU, den er an einer Europa-Fahne bereits symbolisch vollzogen hat (Bild). In einer fragmentierten Parteienlandschaft könnte die PVV als stärkste Kraft aus der Europawahl hervorgehen.

Freiheitliche Partei Österreichs

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Bild: AP

Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) will den Urnengang zu einer «Denkzettel»-Wahl für die rot-schwarze Regierung in Wien machen. Aktuelle Umfragen sehen die Freiheitlichen nach zwischenzeitlichem Höhenflug nun mit rund 20 Prozent wieder hinter SPÖ und ÖVP. Als Grund gilt ein parteiinterner Zwist: Andreas Mölzer, ihr Spitzenkandidat für die Europawahl, hatte die EU mit einem «Negerkonglomerat» verglichen. Er musste zurücktreten.

Sverigedemokraterna

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Bild: Reuters

Die Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten) wurden bis vor einigen Jahren dem rechtsextremistischen Lager zugerechnet. Ihr smarter Chef Jimmie Akesson hat die Partei aus der Schmuddelecke herausgeführt. Die Schwedendemokraten sitzen noch nicht im EU-Parlament, streben jedoch zwei bis drei Mandate an. Sie wollen den «Erweiterungseifer» der EU dämpfen und Grenzkontrollen wieder einführen.

Jobbik

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Bild: Reuters

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In Ungarn könnte die rechtsextreme Partei Jobbik (Die Besseren) bei der Europawahl auf Platz zwei kommen. Sie ist offen europafeindlich, in der Vergangenheit hetzte sie gegen Juden, Roma und Homosexuelle. Zuletzt bemühten sich die Partei und ihr Chef Gabor Vona um ein gemässigteres Image, sie setzten vermehrt auf wirtschaftliche Themen.

Trotz des erwarteten Erfolgs dürfte die Schlagkraft der Rechtspopulisten im EU-Parlament beschränkt bleiben. Die Differenzen sind teilweise enorm. Marine Le Pen und Geert Wilders haben im letzten November eine Allianz vereinbart. Sie wollen eine Fraktion bilden, was ihnen mehr Einfluss verschaffen würde. Die nötigen 25 Sitze werden sie problemlos erreichen, doch in einer Fraktion müssen Parteien aus mindestens sieben EU-Ländern vertreten sein.

Die Suche nach Partnern gestaltet sich schwierig. FPÖ, Lega Nord und Vlaams Belang wollen sich der Fraktion anschliessen. Doch Wunschpartner UKIP winkt ab. Parteichef Nigel Farage bemüht sich um Stimmen von britischen Muslimen und geht auf Distanz zu den Islamkritikern Le Pen und Wilders. Umgekehrt ist für den Israel-Fan Wilders eine Koalition mit Jobbik oder Chrysi Avgi undenkbar.

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