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Hat Keller-Sutter gerade die 3. Säule abgeschafft? Nein, so ist es nicht

Bundesraetin Karin Keller-Sutter spricht an einer Medienkonferenz zum Entlastungsprogramm fuer den Bundeshaushalt, am Freitag, 20. September 2024, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. (KEYSTONE/Anthon ...
Muss die Bundesfinanzen auf Vordermann bringen: Finanzministerin Karin Keller-Sutter. Bild: keystone

Hat Keller-Sutter die 3. Säule abgeschafft? «Die Rechten werden das Vorhaben versenken»

Der Bund möchte Steuervorteile bei der zweiten und dritten Säule abschaffen, lauteten die Schlagzeilen vom Sonntag. Muss ich nun meine Säule 3a kündigen?
22.10.2024, 11:3522.10.2024, 12:47
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Wer drei Milliarden Franken über seinen Verhältnissen lebt, muss massiv Geld einnehmen oder an allen Ecken und Enden sparen. Der Bundesrat entschied sich, die jährlichen Milliardendefizite in der Bundeskasse mit einem Riesen-Sparpaket anzugehen. 60 verschiedene Massnahmen sollen rund vier Milliarden Franken einsparen. Nur zwei Massnahmen sollen Mehreinnahmen generieren. Dabei sorgt eine für rote Köpfe.

«Keller-Sutters Angriff auf den Mittelstand und die Grossverdiener», titelte die «Sonntagszeitung». Die Zeitung berichtete, dass der Bundesrat die «Steuervorteile der dritten Säule und Pensionskassen abschaffen» wolle. Aber nur für den Mittelstand und Grossverdiener – Menschen mit tiefen Einkommen hingegen sollen von der Änderung profitieren.

Der Aufschrei im bürgerlichen Lager war dementsprechend gross: Mitte, FDP und SVP sprachen sich gegen die Finanzministerin aus und nannten das Vorhaben «wider Treu und Glauben» sowie «Täuschung». Die Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr kritisierte gegenüber «20 Minuten» sogar: «Gut verdienen wird immer unattraktiver.»

Darum geht’s

Die geplante Gesetzesanpassung betrifft die Kapitalbezugssteuer. Also die Steuer, die man entrichten muss, wenn man sein angespartes Altersguthaben aus der zweiten und dritten Säule als Kapital anstatt als Rente beziehen möchte. Das sind gemäss dem Bundesamt für Statistik aus der Pensionskasse 56 Prozent der Neurentner, die sich ihr ganzes Kapital oder einen Teil davon bei der Pensionierung auszahlen lassen. Aus der Säule 3a kann man nur das Kapital auszahlen lassen, es gibt keine Rente.

Gegenüber den Rentenbezügern waren die Kapitalbezüger bisher im Vorteil, wenn sie mehrere Säule-3-Konti besassen und das Altersguthaben gestaffelt bezogen haben, da die Kapitalbezugssteuer progressiv ist. Die Rente hingegen muss als Einkommen zu einem höheren Steuersatz versteuert werden. Diese «Ungleichheit» möchte der Bundesrat nun aus der Welt schaffen: Indem auch die Kapitalbezugssteuer einkommensabhängig gemacht werden soll, würden viel mehr Menschen in eine höhere steuerliche Progression fallen. Sie müssten also mehr Steuern bezahlen.

Die «Sonntagszeitung» rechnete aus: Grossverdiener würden bis zu viermal so viel Steuern bezahlen müssen, der Mittelstand etwa doppelt so viel. Menschen mit einem niedrigen Einkommen hingegen würden leicht profitieren. Doch was ist nun falsch an der Aussage, dass der Bundesrat die «Steuervorteile der dritten Säule und Pensionskassen abschaffen» möchte?

Nicht alle Vorteile abgeschafft

Falsch ist, wenn jemand denkt, dass «die Steuervorteile abgeschafft» werden – also alle. Auf der dritten Säule würde man auch nach der Gesetzesanpassung noch die jährliche Steuervergünstigung auf sein einbezahltes Kapital erhalten – je nach Kanton macht das eine Ermässigung von bis zu 20 Prozent aus.

Beispiel: Eine Frau verdient Brutto 100’000 Franken. Sie wohnt in Zürich, ist ledig, konfessionslos und hat keine Kinder. Sie zahlt den jährlichen Maximalbetrag von 7056 Franken in die Säule 3a ein. Dadurch spart sie sich jährlich 1836 Franken Steuern. Würde sie 250’000 Franken verdienen, läge die Ersparnis gar bei 2786 Franken. Da eine Säule 3a tendenziell über eine lange Laufzeit von bis zu 47 Jahren geschlossen werden kann – bis zur Pensionierung –, können durch die Steuervorteile Zehntausende Franken gespart werden. Bei der Säule-3a-Einzahlung bleiben die Steuerprivilegien also erhalten.

Allerdings muss man eines beachten, sagt Karl Flubacher, Pensionierungsexperte beim VZ Vermögenszentrum: «Die diskutierte Gesetzesänderung betrifft die Bundessteuer. Oft geht vergessen: Nach der Pensionierung werden die Pensionskassen-Renten auch von den Kantonen und Gemeinden lebenslänglich als Einkommen besteuert. Auch das Kapital aus der Säule 3a und der Pensionskasse unterliegt der Vermögenssteuer – ebenfalls ein Leben lang.» Nur bei der Säule-3a-Auszahlung und bei der Auszahlung des Pensionskassenguthabens als Kapital – nicht als Rente – würden somit «Steuervorteile reduziert».

Was mehr ins Gewicht fallen wird, die Ersparnis durch die Säule-3a-Einzahlung oder die geplante neue Praxis bei der Auszahlung als Kapital, die zu höheren Steuern führen würde, ist nicht belegt. Flubacher sagt dazu:

«Der Gesamteffekt lässt sich heute nur schwer sagen. Denn die Steuern hängen von einigen Faktoren ab. Entscheidend ist, wie hoch die bezogenen Ersparnisse sind, wie viel man im Bezugsjahr verdient und wo man wohnt.»

Finanzdepartement: «grenzwertig»

Aufgrund dieser Faktenlage versteht man in Bundesbern die Aufregung über die geplante Gesetzesänderung nicht. Pascal Hollenstein, Leiter Kommunikation des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD), sagt zu watson: «Ich habe die Schlagzeilen grenzwertig gefunden, weil ausgeblendet wird, welche steuerlichen Vorteile Einzahlungen gerade in die dritte Säule bringen.» Hollenstein erklärt auch, dass es sich nicht um «Karin Keller-Sutters Angriff auf den Mittelstand und die Grossverdiener» handle.

Die Massnahme sei von der Expertengruppe unter der Leitung von Serge Gaillard vorgeschlagen worden. Dieser hatte im Auftrag des Bundesrats die Bundesfinanzen analysiert und zahlreiche Sparvorschläge gemacht, aber auch drei Vorschläge für Mehreinnahmen. «Der Bundesrat hat sich entschieden, die Massnahme mit der Änderung der Kapitalbezugssteuer weiterzuverfolgen und in die Vernehmlassung zu schicken. Dann werden sich alle interessierten Kreise dazu äussern können», sagt Hollenstein. Es gehe dabei um eine Ausgewogenheit zwischen Sparmassnahmen und Massnahmen für Mehreinnahmen – um alle politischen Kräfte zu berücksichtigen.

Laut Hollenstein sei die geplante Gesetzesänderung mit geschätzten Mehreinnahmen von 220 Millionen Franken für Bund und 60 Millionen Franken für die Kantone zudem ein «vergleichsweise kleiner Schritt» zu den Entlastungsmassnahmen von 4 Milliarden Franken.

Keine Chance im Parlament

Ob die Gesetzesänderung jemals umgesetzt wird, ist fraglich. Diese muss es nach der Vernehmlassung zuerst durch das bürgerlich dominierte Parlament schaffen. Wie SP-Nationalrätin Jacqueline Badran zu watson sagt, könnte spätestens dann Schluss sein. «Die Rechten werden das Vorhaben versenken.»

Es gehe der SP zudem nicht um das Ausspielen von Menschen mit tieferen Einkommen und Grossverdienern. Sondern es gehe um den Kampf zwischen Arbeit und Kapital.

Bundesraetin Karin Keller-Sutter, links, diskutiert mit Jacqueline Badran, SP-ZH, waehrend der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 25. September 2024, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaun ...
Sind finanzpolitisch selten einer Meinung: Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Nationalrätin Jacqueline Badran. Bild: keystone

«Natürliche Personen, die von Arbeit und Rente leben, wurden in der Vergangenheit steuerlich belastet durch mehrmalige Mehrwertsteuer-Erhöhungen und Gebühren in den Kantonen. Kapitaleigentümer – also Grossaktionäre – hat man dagegen ohne Not in mehreren Runden mit Milliarden steuersubventioniert. Das ist inakzeptabel», kritisiert Badran. Sie fordert, dass solche «Steuersubventionen ans Kapital», wie die Senkung der Stempelsteuer, rückgängig gemacht werden müssen – anstatt die Steuervorteile beim Sparen in der dritten Säule rückgängig zu machen. «Auch wenn hier die Gutverdienenden überdurchschnittlich profitieren», sagt sie.

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301 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Eraganos
22.10.2024 11:56registriert September 2019
Reiche mehr zur Kasse bitte immer gerne, jedoch trifft die Idee den Mittelstand brutal. Darum wird es hoffentlich versenkt.

Und das sage ich als Linker.
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blacksh33py
22.10.2024 11:55registriert Oktober 2023
Das finde ich wirklich unfair, dass hier die Spielregeln während des Spiels einfach geändert werden. Ich habe mich vor Jahren entschieden, dass ich den Maximalbetrag einzahle und damit auch meine Altersvorsorge einigermassen aufbessern kann und auch keine EL beziehen muss. Es ist ohnehin schon nicht einfach, jeden Monat Geld bei Seite zu legen bei all den gestiegenen Kosten. Und jetzt wollen die in Bern uns noch mehr zur Kasse bitten. Wenn das so weitergeht, dann muss man sich echt fragen, ob es sich überhaupt lohnt hart zu arbeiten und sparen...
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Rikki-Tiki-Tavi
22.10.2024 12:01registriert April 2020
Dieser Vorschlag ist ein Skandal, Diebstahl aus dem Hinterhalt. Gegen alle Regeln und das geltende System. Das muss versenkt werden. Das verstösst gegen Treu und Glauben, richtet sich gegen Leute, die über Jahre hinweg geschuftet und mehr gespart haben, um später auch etwas davon zu haben, und nicht der Allgemeinheit zu Last zu fallen.
Es würde einmal mehr den Mittelstand treffen, den etwas "oberen" oder eher "mittleren" - ganz sicher aber nicht die Schwerreichen.
Hände weg!
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