Als die konservativen Républicains Ende 2023 wissen wollten, ob sich ihre harte Linie zum neuen Immigrationsgesetz von Emmanuel Macron an den Wahlurnen auszahlen würde, gaben sie wie in solchen Fällen üblich beim angesehenen Institut Ipsos eine Meinungsumfrage in Auftrag. Das Resultat war spektakulär. Allerdings nicht für die Republikaner: Dem «Rassemblement National» (RN), der «Nationalen Sammlungsbewegung» von Marine Le Pen, werden in der 577-köpfigen Nationalversammlung im Fall von Neuwahlen 278 Sitze gutgeschrieben. Das würde die Regierungsmehrheit bedeuten.
Das Umfrageresultat war so brisant, dass es die Republikaner unter Verschluss behielten; Mitte März wurde es nur durch eine Indiskretion publik. Es bestätigte eine Erhebung von Februar, laut der Marine Le Pen erstmals überhaupt eine Mehrheit bei Präsidentschaftswahlen eingeräumt wird. Gegen den aktuellen Premierminister Gabriel Attal erhielte die Populistin bei ihrem vierten Anlauf 51 Prozent der Stimmen, gegen Ex-Premier Edouard Philippe 50 Prozent. Macron selbst kann 2027 kein drittes Mal antreten.
Mitten im Ukraine-Krieg und den martialischen Auftritten Macrons gingen diese Umfragezahlen mehr oder weniger unter. Für viele Pariser Medien und Bürger sind sie schlicht unvorstellbar: Eine Le Pen, Trägerin eines verpönten Namens, Populistin vom Schlage Donald Trumps, also das Gegenteil der republikanischen Kultur Frankreichs – sie soll in den ehrwürdigen Elysée-Palast einziehen?
Warum nicht, sagen sich offenbar immer mehr Franzosen. Bei den Europawahlen von Juni liegt das von Listenchef Jordan Bardella geführte RN mit 30 Prozent Stimmen weit vorne – die nächstbeste Partei, Macrons «Renaissance», kommt nur auf 18 Prozent. Le Pens Saat geht auf. Knapp zehn Jahre nach dem Rauswurf ihres Vaters Jean-Marie Le Pen, eines bekennenden Rassisten, hat es seine 55-jährige Tochter geschafft, aus dem Schmuddeleck zu kommen und sich als staatstragende Politikerin zu inszenieren.
«Dédiabolisation» («Entteufelung») lautet der Begriff dieser Strategie. Le Pens 88 Abgeordnete geben sich heute gesittet und Krawatte tragend; den Zoff und Zank überlassen sie in der Nationalversammlung den Linksaussen von Jean-Luc Mélenchon. Le Pen selbst wettert nicht mehr über die Ausländer; sie hat sich eine warmherzige Stimme antrainiert und gibt bedachte Worte von sich. Nur selten bricht noch durch, woher sie kommt – im Februar etwa, als sie einem aufsässigen Macron-Abgeordneten enerviert zurief: «Halt die Klappe, du, halt die Klappe!»
Studienergebnisse, laut denen das RN in seinen Reihen mehr Antisemiten zählt als andere Parteien, veranlassten eine andere Renaissance-Parlamentarierin, Olga Givernet, zum Twitterspruch: «Das RN hat ein sauberes Schaufenster, aber die Küche dahinter ist immer noch schmutzig wie eh.»
In ihrem Bemühen um Salonfähigkeit versucht sich Le Pen auch von der deutschen AfD abzugrenzen, mit der sie im Europaparlament die Rechtsfraktion «Identität und Demokratie» teilt. Als in Berlin das umstrittene Remigrationskonzept kursierte, verlangte die RN-Chefin von der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel demonstrativ eine schriftliche Distanzierung.
Die Deutsche gestand nur einen «Übersetzungsfehler» zu. Zuvor war in ihrer Partei kritisiert worden, Le Pen benehme sich schulmeisterlich und reichlich heuchlerisch. Denn Remigration sei auch in Frankreich ein Thema.
Der Pariser RN-Abgeordnete Serge Federbusch hatte sich zuvor klar für die Remigration von Ausländern ausgesprochen. Er forderte auch die Grünen-Chefin im Pariser Stadtrat, Fatoumata Koné, über die sozialen Medien auf, nach Westafrika zurückzukehren: «Die einzige Lösung ist die Remigration, die deinige eingeschlossen.»
Auch zum Ukraine-Krieg vertreten RN und AfD sehr ähnliche Positionen. Wahlfälschung, Oppositionellen-Morde oder Kriegsverbrechen russischer Machart sind für Le Pen kein Thema. Vielmehr verstieg sie sich noch Mitte letzten Jahres zur Behauptung, der russische Präsident Wladimir Putin habe sein Land auf «bewundernswerte» Weise aufgestellt und «ins Konzert der Nationen zurückgeführt». Unlängst fügte sie an: «Putin hat seinem Volk die Lebensfreude zurückgegeben.»
Als williges Sprachrohr des Kremls lehnt die blonde Ex-Anwältin jegliche Wirtschaftssanktionen gegen Moskau ab; Waffenlieferungen an Kiew bedeuten für sie das «Risiko eines dritten Weltkrieges». Die teils wörtliche Übernahme der russischen Propaganda bestätigt einen parlamentarischen Untersuchungsbericht in Paris, laut dem sich das RN als «Transmissionsriemen» des Kremls betätigt.
Das Macron-Lager versucht im Europawahlkampf, Le Pens kaum verhüllten Putinismus zu entblössen. Die Regierung setzte zu diesem Zweck im Februar eigens eine Ukraine-Debatte in der Nationalversammlung an. Le Pen hielt sich aber wie üblich geschickt zurück und konterte, der Staatschef führe sich wie ein «Kriegschef» auf, wenn er Bodentruppen in die Ukraine entsenden wolle.
Premierminister Gabriel Attal fragte in der erhitzten Debatte mit Verweis auf die prorussische RN-Rhetorik zurück, ob «Wladimir Putins Truppen nicht schon in unserem Land» agierten. An die Adresse der dreifachen und wohl auch zukünftigen Präsidentschaftskandidatin Le Pen sagte er: «Wenn Sie 2022 gewählt worden wären, würden wir heute Waffen nach Russland liefern, um die Ukrainer zu zermalmen.»
In Le Pens Präsidentschaftsprogramm von 2022 hatte effektiv der Passus figuriert: «Ohne Furcht vor amerikanischen Sanktionen wird eine Allianz mit Russland in gewissen Themen angestrebt.» Als erstes Thema nannte sie ausgerechnet «die europäische Sicherheit». Eine Allianz mit Putin sucht Le Pen auch in Afrika – wo die Russen gerade daran sind, die Franzosen mit einem gewaltigen propagandistischen Einsatz aus ihren Ex-Kolonien zu werfen. Absurd? Nein, Le Pen.
Während die RN-Gründerin eine Achse Moskau-Paris wie im Ersten Weltkrieg gegen Berlin anstrebt, will sie die deutsch-französische Partnerschaft raschmöglichst beenden. Zwischen Berlin und Paris bestehe eine «tiefe und unheilbare Differenz der Doktrinen», heisst es in Le Pens Programm, das als ersten Schritt die bilateralen Rüstungsprojekte für einen europäischen Panzer und einen Kampfjet beenden will.
Den «Frexit», das heisst den EU-Austritt Frankreichs, hat Le Pen beerdigt, aber nur, um ihn durch ein «Europa der Nationen» ohne Brüsseler Zentrale zu ersetzen. Das NATO-Kommando würde sie nach einem Wahlsieg 2027 verlassen. An seine Stelle wünscht sich Le Pen dann für Europa ein russisch-französisches Kommando.
Was Trump für die USA bedeutet, bedeutet diese glanzpolierte Faschistin für die EU und ganz Europa!
merde 💩 ce serait une honte
„französisch-russische Freundschaft“
da verginge mir grad die Lust auf Baguette, Käse, Wein und „Hon Hon Hon“ 🇫🇷