Die Nationalversammlung hat am Montag das von Innenminister Gérald Darmanin portierte Immigrationsgesetz überraschend mit 270 zu 265 Stimmen zurückgewiesen. Und das, noch bevor die Eintretensdebatte begonnen hatte. Der Pariser Politologe Alain Duhamel sprach von einer politischen «Ohrfeige».
Dass der allmächtige französische Präsident vom notorisch schwachen Parlament auf diese Weise abgestraft wird, ist ein Novum. Es sagt viel aus über die geschwächte Stellung Macrons.
Anders als in seiner ersten Amtszeit regiert seine Partei Renaissance seit 2022 ohne Mehrheit in der Nationalversammlung. Die unpopuläre Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre hatte Macron noch mit einem Verfassungskniff durchgeboxt. Beim aktuellen Einwanderungsgesetz haben sich nun aber sämtliche Oppositionsparteien gegen ihn verbündet, obwohl sie politisch Lichtjahre trennen. Dass sie sich nicht scheuten, gemeinsame Sache gegen die Macronisten zu machen, zeugt allein schon von der Wucht der Ablehnung, die dem Präsidenten entgegenprallt.
In der Sache waren die Rechts- und Linkspopulisten aus entgegengesetzten Gründen gegen das neue Einwanderungsrecht. Marine Le Pen warf Darmanin vor, er verschärfe die Ausweisung illegal Eingereister nur zum Schein; zugleich hole er neue Migranten ins Land, um den Fachkräftemangel in gewissen Berufen wie dem Bausektor oder dem Tourismus auszugleichen. Jean-Luc Mélenchon von den linken «Unbeugsamen» unterstellte dem Gesetz dagegen eine «Atmosphäre des Rassismus», denn mit Fachkräften seien vor allem europäische Zuwanderer gemeint.
Dass sich der Aufstand des Parlamentes gegen den Staatschef ausgerechnet an der Migrationsfrage Bahn bricht, ist kein Zufall. Die Stimmung im Land ist nach mehreren Messerattacken aufgeheizt. Im November wurde in Crépol der junge Besucher eines Dorffestes erstochen, dann in Paris ein deutscher Tourist.
Im Oktober hatte ein junger Tschetschene in Arras einen Lehrer gemeuchelt. Darmanin behauptete, nach dem neuen Immigrationsrecht wäre der radikalisierte Täter schon früher ausgewiesen worden. Le Pen stellte dies in Abrede. Sie warf humanitären Vereinen vor, die Ausweisung der islamistischen Familie des Täters 2014 verhindert zu haben.
Über das Einwanderungsgesetz hinaus scheitert der Staatschef aber auch mit seinem allgemeinen Kurs der politischen Mitte. Gemäss seinem Lieblingsausdruck «en même temps» (gleichzeitig) versuchte Macron erneut, es beiden politischen Lagern recht zu machen. Mit dem Immigrationsgesetz schaffte es der unpopuläre, in der Opposition geradezu verhasste Präsident aber nur noch, beide Seiten gegen sich aufzubringen.
Macron beschloss am Dienstag die Einsetzung einer paritätisch zusammengesetzten Parlamentskommission, die eigene Vorschläge für ein neues Migrationsrecht machen soll. Mit dieser Minimallösung wird er sich aber kaum aus der Affäre ziehen können. Le Pen verlangt Darmanins Demission und vor allem die Ansetzung von Neuwahlen. Macron kann dazu nicht Hand bieten; denn bei einem Wahlsieg seiner Erzfeindin Le Pen müsste er mit den Rechtsextremisten eine Regierung nach dem Prinzip der «Cohabitation» eingehen. Das kommt für ihn nicht infrage.
Der Präsident könnte noch, wie dies öfters geschieht, seine Premierministerin Elisabeth Borne opfern. Dies würde ihm keine Parlamentsmehrheit verschaffen. Zunehmend isoliert, hat der Präsident mit der Einwanderungsvorlage die letzten Linken in seinem Lager brüskiert. Sein langjähriger Weggefährte Daniel Cohn-Bendit kündigte ihm diese Woche offiziell die Freundschaft auf. Auf der konservativen Seite sind die Republikaner aber auf Macron nicht besser zu sprechen. So muss er sich darauf einstellen, die verbleibenden dreieinhalb Jahre im Elysée-Palast daumendrehend zu verbringen. Für einen hyperaktiven Präsidenten eine grässliche Vorstellung. (aargauerzeitung.ch)