Ministerpräsident Sorin Grindeanu von der Sozialdemokratischen Partei (PSD) lehnte in einem Fernsehinterview einen Rücktritt ab. Er habe eine «Verantwortung» gegenüber den Menschen, die seine Partei bei der Parlamentswahl am 11. Dezember gewählt hätten.
Dass Grindeanu die umstrittene Eilverordnung, die den Kampf gegen Korruption eingeschränkt hatte, zurückgenommen hat, hielt die Menschen nicht von neuen Protesten ab. Auf dem Siegesplatz in Bukarest, wo sich der Regierungssitz befindet, versammelten sich am Abend den Schätzungen der TV-Sender zufolge zwischen 200'000 und 300'000 Regierungsgegner.
Zwischen rumänischen Flaggen, EU-Flaggen und Protestschildern hielten viele Teilnehmer ihre leuchtenden Smartphones hoch. Die Demonstranten riefen «Rücktritt» und «Diebe». In mindestens 20 weiteren Städten gab es Kundgebungen mit jeweils Tausenden oder Zehntausenden Demonstranten.
In Bukarest und anderen Städten sangen die Menschen die Nationalhymne. Im westrumänischen Timisoara (Temeswar) und im nordostrumänischen Iasi beteten die Demonstranten das Vaterunser im Chor. In Ploiesti, 60 Kilometer nördlich von Bukarest, knieten rund 3000 Demonstranten vor dem Sitz der regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD) nieder, um den Rücktritt der Regierung zu erflehen, berichtete die Nachrichtenagentur Mediafax.
Grindeanu hatte die Rücknahme des Dekrets am Samstag angekündigt, am Sonntag folgte das Kabinett mit dem entsprechenden Beschluss. Grindeanu kündigte statt der Eilverordnung einen neuen Gesetzentwurf an, der dieses Mal dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden solle. Die Kehrtwende begründete er damit, er wolle eine «Spaltung» des Landes verhindern.
Der Parteichef der regierenden PSD, Liviu Dragnea, warf der Opposition vor, die Regierung stürzen zu wollen. «Wenn die Demonstrationen nach der Rücknahme des Dekrets weitergehen, dann wird klar, dass es sich um einen nach den Parlamentswahlen (im Dezember) geschmiedeten Plan handelt», um die Regierung zu stürzen, erklärte er.
Vor dem Präsidentensitz in Bukarest versammelten sich am Sonntag rund 1200 Anhänger der Regierung. Sie riefen den konservativen Staatspräsidenten Klaus Iohannis zum Rücktritt auf, der dem gegnerischen Mitte-rechts-Lager angehört. Auf Transparenten nannten sie ihn einen «Verräter».
In den vergangenen Tagen hatten täglich durchschnittlich um die 200'000 Menschen gegen die Regierung protestiert, es waren die grössten Massenkundgebungen seit dem Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu 1989.
Die Regierung wollte mit der Eilverordnung die Ahndung von Amtsmissbrauch deutlich erschweren. Unter anderem sollte Amtsmissbrauch nur noch mit Gefängnis bestraft werden, wenn der Streitwert über umgerechnet 44'000 Euro liegt. Nach Angaben von Grindeanu wird die 44'000 Euro-Grenze in dem nun angekündigten Gesetz «vermutlich» wieder fallengelassen.
Die Regierung hatte die Massnahmen nach nicht einmal einem Monat im Amt am vergangenen Dienstag erlassen. Sie argumentiert, sie wolle damit die überbelegten Gefängnisse entlasten und die Strafgesetze mit der Verfassung in Einklang bringen. Von den Regeln hätten allerdings auch unzählige Politiker und Behördenvertreter profitiert – von denen viele der PSD angehören.
Gegen das Dekret hatten der rumänische Ombudsmann Victor Ciorbea, Präsident Iohannis sowie die Justizaufsicht Beschwerde beim Verfassungsgericht eingelegt. Auch in Brüssel und Washington stiessen die Vorgänge im EU-Land Rumänien, wo Korruption noch immer weit verbreitet ist, auf Kritik.
Die damalige von der PSD geführte Regierung von Ministerpräsident Victor Ponta war Ende 2015 nach Massenprotesten gegen Korruption zurückgetreten, die Wahl im vergangenen Jahr sollte eigentlich einen Neuanfang bringen. Die PSD verfügt über eine solide Anhängerschaft im ländlichen Milieu und bei der ärmeren Bevölkerungsschicht. (sda/afp/dpa)