Kurz vor 18 Uhr (Lokalzeit) hörte man in der Umgebung von Beiruts Hafen mehrere Explosionen, kurz danach fluteten Videos davon die sozialen Medien. Schnell war klar, dass es sich nicht bloss um ein Industriefeuer handelt.
Auf den Videos ist gut zu sehen, wie ein Lagerhaus neben den Silos am Hafen von Beirut in die Luft fliegt, das zeigt auch eine Recherche der Investigativ-Seite Bellingcat.com.
Drohnenbilder der Nachrichtenagentur AP vom Mittwoch zeigen das Epizentrum am Hafen. Die Getreidesilos stehen noch halbwegs, sind aber stark beschädigt, das Lagerhaus ist dem Erdboden gleichgemacht.
Das kann noch nicht abschliessend gesagt werden. Die Opferzahlen werden laufend nach oben korrigiert. Laut dem neuesten Stand (ca. 18.30 Uhr) ist die Zahl der Todesopfer auf mindestens 135 angestiegen, ausserdem gibt es über 5000 Verletzte, meldete das libanesische Rote Kreuz am Mittwochnachmittag.
Schweizer Todesopfer sind bis jetzt nicht bekannt, aber eine der über 5000 Verletzten ist die Schweizer Botschafterin Monika Schmutz, wie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Dienstagabend mitteilte. Die Botschafterin habe sich leicht verletzt und sich ins Spital begeben.
Das übrige Botschaftspersonal sei wohlauf, eine Mitarbeiterin habe man aber bislang nicht erreichen können. Durch die Explosion am Hafen seien auch die Schweizer Botschaft und die Residenz der Botschafterin stark beschädigt worden.
Die Schweizer Vertretung klärt derzeit ab, ob noch weitere Schweizer Staatsangehörige von der Explosion betroffen sind. Bislang gebe es keine Hinweise darauf.
Das kann zum derzeitigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit gesagt werden. Der libanesische Ministerpräsident, Hassan Diab, sagte aber, dass eine sehr grosse Menge Ammoniumnitrat die Explosion ausgelöst haben könnte. Jahrelang seien schätzungsweise 2750 Tonnen der gefährlichen Substanz ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen gelagert worden.
Auf vielen Videos ist zu sehen, wie sich kurz vor der zweiten, massiven Explosion mehrere kleinere Explosionen ereignen. Das befeuerte die Theorien, dass es sich bei der ersten kleineren Reihe von Explosionen um Feuerwerkskörper handelt. Das ist aber noch nicht bestätigt.
Haltlos dagegen sind die Theorien von einem Raketeneinschlag, die in den sozialen Medien kursieren. Die libanesischen Behörden sagten noch am Dienstag, dass es dafür keine Anhaltspunkte gebe. Spekulationen, dass Israel hinter der Explosion stecken könnte, räumte der israelische Aussenminister Gabi Aschkenasi aus.
Ebenso haltlos sind Theorien einer atomaren Explosion. Jegliche Anzeichen dafür fehlen. Dazu gehören etwa ein weissliches Licht, das Kameras blenden würde, extreme Hitze, die Strukturen in der Umgebung zum Schmelzen bringt, oder etwa atomarer Fallout.
This isn't that complicated, people. There is a fire and a secondary explosion. There are literally none of the phenomena one sees with a nuclear explosion. pic.twitter.com/OeT2ohd7hg
— Jeffrey Lewis (@ArmsControlWonk) August 4, 2020
Ammoniumnitrat ist ein Salz, das sich aus Ammoniak und Salpetersäure bildet. Es wird insbesondere zur Herstellung von Düngemitteln und Sprengstoffen verwendet.
Es kann bei höheren Temperaturen detonieren. Die Substanz dient zum Raketenantrieb und vor allem zur Herstellung von Düngemittel. Die farblosen Kristalle befanden sich auch in dem Gefahrgutlager der chinesischen Hafenstadt Tianjin, wo 2015 nach einer Serie von Explosionen 173 Menschen getötet wurden. In Deutschland fällt die Handhabung von Ammoniumnitrat unter das Sprengstoffgesetz.
In der Schweiz wird derzeit über ein entsprechendes Gesetz für die Regulierung von sogenannten Vorläuferstoffen für explosionsfähige Stoffe beraten. Ein Entwurf des Gesetzes sieht vor, den Zugang zu Ammoniumnitrat ab einer bestimmten Konzentration einzuschränken.
>>> Warum Ammoniumnitrat so gefährlich ist, kannst du hier nachlesen
Der Stoff könnte von einem Frachtschiff stammen, dem libanesische Behörden laut Berichten im Jahr 2013 wegen verschiedener Mängel die Weiterfahrt untersagt hatten. Das Schiff war demnach von Georgien aus ins südafrikanische Mosambik unterwegs. Der Besatzung gingen dann Treibstoff und Proviant aus, der Inhaber gab das Schiff offenbar auf. Der Crew wurde nach einem juristischen Streit schliesslich die Ausreise genehmigt. Das Schiff blieb zurück mit der gefährlichen Ladung, die in einem Lagerhaus untergebracht wurde.
US-Präsident Donald Trump schien den Vorfall als Anschlag einzustufen: Seine «Generäle» gingen von einer Art Bombe aus, sagte Trump im Weissen Haus. Die Explosion deute nicht auf einen Unfall hin, sagte Trump unter Berufung auf seine Militärberater. O-Ton Trump:
Zwei anonyme Quellen aus dem Pentagon sagten aber gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass es unklar sei, woher Trump diese Information habe. Die ersten Berichte hätten nicht auf eine Attacke hingedeutet. Man schätze die Katastrophe eher als Unfall ein.
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.
Ich wünsche den Libanesen alles Gute.
Die Welt ist aber bereits soweit abgestumpft, dass man ihm nicht mal mehr zuhört - geschweige denn glaubt. Und das vom US Präsident. Einfach immer noch unfassbar.
Zum Vorfall:
Extrem bitter für die grossartigen und gastfreundlichen Menschen im Libanon / Beirut. Habe in diesem Land eine wunderbare Zeit verbracht.
Hoffe, die Zerstörungen sind nicht ganz so schlimm, wie man befürchten muss.
Die Ammoniumnitrat-These scheint mir sehr plausibel zu sein. Vergleicht man die Bilder mit der Ammoniumnitrat Explosion der Firma AZF in Toulouse aus dem Jahr 2001 und den Beschreibungen der Explosion (rötliche Wolke, riesiger Krater, massive Verwüstungen im ganzen Stadtgebiet) passt es schon sehr gut!
Offen ist die Frage, warum das Ammoniumnitrat explodiert ist. Aber ich vermute, man wird das gar nie schlüssig beweisen können. Da ist nichts mehr.
Ich wünsche den Libanesen alles Gute bei der Bewältigung dieses Unglücks.