Angesichts wachsender Spannungen mit dem Westen hat der russische Präsident Wladimir Putin eine Stationierung taktischer Atomwaffen im Nachbarland Belarus angekündigt. Mit dieser Verlegung nach Westen will Russland erstmals seit den 90er-Jahren Nuklearwaffen ausserhalb des eigenen Staatsgebiets bereithalten. Belarus ist der engste Verbündete Russlands bei dessen Krieg gegen die Ukraine, hat allerdings keine eigenen Truppen in die Kämpfe geschickt.
Taktische Atomwaffen haben im Gegensatz zu strategischen Atomwaffen eine deutlich geringere Sprengkraft. Als strategische Atomwaffen gelten Sprengköpfe mit einer Detonationskraft von 100 Kilotonnen TNT bis hin zu mehreren Megatonnen. Zum Vergleich: Die Bombe, die 1945 Hiroshima zerstörte, hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen. Die Sprengkraft moderner taktischer Atomwaffen variiert stark und kann sogar noch deutlich unter jener der Hiroshima-Bombe liegen. Das macht sie allerdings nicht weniger gefährlich – im Gegenteil.
Während strategische Atomwaffen der Logik der wechselseitigen Zerstörung unterliegen und damit «nur» der Abschreckung eines Gegners dienen, führt der Einsatz von taktischen Atomwaffen nicht zwangsläufig zu einem unbegrenzten atomaren Schlagabtausch. Unter Militärs gelten taktische Sprengköpfe in einem begrenzten Szenario daher als «einsetzbar».
Russland verfügt über das grösste Atomwaffenarsenal der Welt, auch im taktischen Bereich. Während die Nato-Armeen ihre taktischen Bestände bis auf wenige Ausnahmen wie die im Fliegerhorst Büchel gelagerten B61-Bomben abgeschafft haben, hat Russland sein taktisches Arsenal bis heute weitgehend aufrechterhalten. US-Forscher vom «Bulletin of the Atomic Scientists» schätzen die Zahl taktischer Sprengköpfe in russischen Arsenalen zurzeit auf mindestens 1'912 Stück, die meisten davon sind unter Kontrolle der Marine und der Luftwaffe.
Russland habe in Belarus zehn Flugzeuge stationiert, die als Träger derartiger Waffen geeignet seien, sagte Putin nun. Auch eine Anzahl taktischer Iskander-Marschflugkörper, die zum Abschuss von Nuklearwaffen geeignet seien, sei in das Nachbarland verlegt worden. Die Bedienungsmannschaften sollten vom 3. April an entsprechend ausgebildet werden. Russland behalte die Kontrolle über die Sprengköpfe.
Mittelstreckenbomber wie die Tupolew Tu-22M, die Suchoi Su-24 oder die MiG-31K sind in der Lage, nuklear bestückte Marschflugkörper aus der Luft abzufeuern. In diese Kategorie gehört auch die Kinshal genannte Hyperschallrakete, die Russland im Krieg gegen die Ukraine schon mehrfach eingesetzt haben will – allerdings mit konventionellem Sprengstoff bestückt.
Mittelstreckenraketenwerfer vom Typ Iskander-M können Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 1'500 Kilometern abfeuern – sowohl nuklear als auch konventionell bestückt. Iskander-M sind bereits in der russischen Exklave Kaliningrad stationiert, von wo sie auch Berlin, Warschau oder Kopenhagen erreichen könnten.
Entwickelt wurden taktische Atomwaffen während des Kalten Krieges, um Truppenansammlungen, Panzerverbände, Kommandozentralen oder unterirdische Bunker zu zerstören. Auch wenn ihre Sprengkraft geringer ist als die strategischer Atomwaffen, ist ihre Wirkung immer noch verheerend. Selbst kleine Sprengköpfe erzeugen einen Atompilz, nuklearen Fallout und setzen alles in der Umgebung in Brand.
«Bei diesen Waffen geht es nicht um militärische Ziele, es geht darum zu demonstrieren, dass man bereit ist, sie einzusetzen und dabei unzählige Zivilisten zu töten», sagte Abrüstungsexperte Pavel Podvig bereits vergangenen Herbst mit Blick auf Russlands taktische Atomwaffen.
Wissenschaftler werteten Putins Ankündigung überwiegend als Säbelrasseln. «Das ist ein Teil von Putins Versuch, die Nato einzuschüchtern», sagte der Experte Hans Kristensen von der Rüstungs- und Sicherheitsthemen spezialisierten Federation of American Scientists. Militärischen Nutzen ziehe Russland aus diesem Schritt nicht, da es bereits ein umfassendes Atomwaffenarsenal auf dem eigenen Staatsgebiet unterhalte.
Das US-Präsidialamt erklärte nach Putins Ankündigung, es sei weder ein Grund zur Änderung der US-Nuklearwaffenpolitik zu erkennen noch gebe es Anzeichen für Vorbereitungen Russlands zum Einsatz einer Nuklearwaffe. Ein hoher Regierungsbeamter sagte, Russland und Belarus hätten bereits seit dem vergangenen Jahr über eine solche Vereinbarung gesprochen.
Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, sprach hingegen von einer äusserst gefährlichen Eskalation. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sei die Gefahr einer Fehleinschätzung sehr hoch. Es bestehe das Risiko katastrophaler humanitärer Folgen.
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Abscheulich bleibt es natürlich trotzdem.