Die vom Kreml angekündigte Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus stösst insbesondere in Deutschland auf deutliche Kritik. Im Auswärtigen Amt in Berlin war am Samstagabend von einem «weiteren Versuch der nuklearen Einschüchterung» die Rede. Die ukrainische Staatsführung reagierte demonstrativ unbeeindruckt auf die Ankündigung aus Moskau. Dort hatte Präsident Wladimir Putin kurz zuvor ein Aufrüstungsprogramm verkündet, das den westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine angeblich überlegen sei.
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Putin hatte am Abend im Staatsfernsehen bekannt gegeben, dass sich Russland und Belarus – die beide an die Ukraine grenzen – auf die Stationierung von taktischen Atomwaffen verständigt hätten. Taktische Atomwaffen haben im Vergleich zu Interkontinentalraketen – die auch die USA treffen könnten – eine geringere Reichweite, sie beträgt aber immer noch mehrere hundert Kilometer.
Der Kremlchef verwies darauf, dass auch die USA bei Verbündeten in Europa Atomwaffen stationiert hätten. «Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen», sagte Putin. Er hatte in der Vergangenheit den Abzug von Atomwaffen aus Deutschland verlangt, da diese Russlands Sicherheit bedrohten.
Im deutschen Auswärtigen Amt wollte man das so nicht stehen lassen: «Der von Präsident Putin gezogene Vergleich zur nuklearen Teilhabe der Nato ist irreführend und kann nicht dazu dienen, den von Russland angekündigten Schritt zu begründen», hiess es aus Berlin. Zudem habe sich Belarus international in mehreren Erklärungen darauf festgelegt, frei von Nuklearwaffen zu sein. Der belarussische Dauer-Machthaber Alexander Lukaschenko – oft als «letzter Diktator Europas» bezeichnet, gehört zu Moskaus engsten Verbündeten.
Russlands Abmachung mit Belarus verstosse nicht gegen den internationalen Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, betonte Putin. Die Atomwaffen würden auch nicht Belarus überlassen, sondern lediglich dort vorgehalten. Die Ausbildung an den Waffen solle am 3. April beginnen. Die Schächte für die mit atomaren Sprengköpfen bestückbaren Iskander-Raketen sollen am 1. Juli fertiggebaut sein. Russland habe Belarus zuletzt schon beim Umbau von Flugzeugen geholfen, von denen nun zehn so ausgerüstet seien, dass sie ebenfalls taktische Nuklearwaffen abschiessen könnten, so Putin.
Das russische Vorgehen könnte aus Sicht der Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) zur Katastrophe führen. Putins Plan sei eine «extrem gefährliche Eskalation», warnte die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Organisation in Genf. Damit steige die Wahrscheinlichkeit, dass solche Waffen auch zum Einsatz kommen. «Im Kontext des Ukraine-Kriegs ist das Risiko einer Fehleinschätzung oder Fehlinterpretation extrem hoch.»
Die Organisation erinnerte daran, dass der Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) Staaten verbiete, ausländische Atomwaffen auf ihrem Territorium zuzulassen. Das 2017 verabschiedete Abkommen wurde bislang von 92 Staaten unterzeichnet. Russland und Belarus sind aber ebenso wenig darunter wie Staaten mit US-Atomwaffenstützpunkten – also auch Deutschland, Belgien, Italien, die Niederlande und die Türkei.
Putin kündigte in seinem Fernsehauftritt auch an, angesichts der westlichen Panzerlieferungen für die Ukraine die eigene Panzerproduktion auszubauen. «Die Gesamtzahl der Panzer der russischen Armee wird die der ukrainischen um das Dreifache übertreffen, sogar um mehr als das Dreifache», sagte er. Während die Ukraine aus dem Westen 420 bis 440 Panzer bekomme, werde Russland 1600 neue Panzer bauen oder vorhandene Panzer modernisieren.
Ex-Präsident Dmitri Medwedew hatte diese Woche bereits die Produktion von 1500 Panzern angekündigt. Putin sagte zudem, Russland könne das Dreifache der Munitionsmenge produzieren, die der Westen der Ukraine liefern wolle. Die nationale Rüstungsindustrie entwickle sich in hohem Tempo. Allerdings wolle er die eigene Wirtschaft nicht übermässig militarisieren, behauptete der Kremlchef.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete eine «vollständige Niederlage Russlands» im Krieg als beste «Garantie gegen neue Aggressionen und Krisen». Er verwies in seiner abendlichen Videoansprache am Samstag darauf, dass die Ukraine in den vergangenen Tagen weitere Hilfen aus Deutschland und weiteren Ländern bekommen habe und bis zum Jahresende für die Anschaffung von Drohnen für das Militär mindestens 500 Millionen Euro ausgeben werde.
In einem Interview, dass am Samstag in der japanischen Tageszeitung «Yomiuri Shimbun» erschien, dämpfte Selenskyj indes die Erwartungen an eine baldige ukrainische Gegenoffensive. Diese könne noch nicht beginnen, weil Kiew dafür nicht genügend Waffen und Munition habe.
Der Chef der Internationalen Atombehörde (IAEA), Rafael Grossi, will nächste Woche das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine besichtigen. Er habe entschieden, das AKW erneut zu besuchen, «um selbst zu sehen, wie sich die Lage seit September entwickelt hat», sagte Grossi am Samstag in Wien. Dabei wolle er auch «mit denen sprechen, die die Anlage unter beispiellosen und sehr schweren Bedingungen betreiben». Die Lage sei trotz Anwesenheit von IAEA-Experten in dem AKW heikel.
Die Kämpfe im Osten der Ukraine gehen unvermindert weiter. Vor allem die Städte Bachmut, Awdijiwka und Wuhledar gelten weiterhin als schwer umkämpft. Ausserdem dürfte mit weiteren Reaktionen auf die angekündigte Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus zu rechnen sein. (sda/dpa)