Die EU sagt definitiv Nein zu der von der Schweiz geforderten Schutzklausel gegen eine übermässige EU-Zuwanderung. Diese gehe für Brüssel «einen Schritt zu weit», zitiert der «Blick» aus einem vertraulichen EU-Dokument, welches die Zeitung einsehen konnte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe Bundespräsidentin Viola Amherd bei ihrem Treffen in Genf diese Woche die entsprechende Nachricht überbracht.
Sind die Verhandlungen mit Brüssel nun also gescheitert? Immerhin ist die viel zitierte Schutzklausel in den letzten Wochen zum zentralen Streitpunkt in den Gesprächen geworden. Die Schweizer Unterhändler versuchen händeringend, hier von der EU noch ein Zugeständnis herauszubekommen. Das innenpolitische Unwohlsein über die anhaltend hohe Zuwanderung aus der EU haben den Druck erhöht. Zudem hofft der Bundesrat, so der SVP-«Nachhaltigkeitsinitiative» etwas entgegenzusetzen können. Das Volksbegehren könnte 2026 praktisch zeitgleich mit den neuen EU-Verträgen zur Abstimmung kommen und will in letzter Konsequenz die Personenfreizügigkeit kündigen.
Recherchen von CH Media ergeben: Es ist noch nicht ganz vorbei mit der Schutzklausel. Aber auf den letzten Meter werden mit besonders harten Bandagen gekämpft.
Tatsächlich haben hohe EU-Kommissionsbeamte die EU-Mitgliedsstaaten bei einer Sitzung am Montag darüber informiert, dass man eine einseitige Schutzklausel nicht akzeptieren werde. Das Entscheidende ist: Die Mitgliedstaaten unterstützen diese Haltung unisono. «Die Schweiz muss sich von der Schutzklausel verabschieden», heisst es aus Diplomatenkreisen.
Geplant ist, dass sich die EU-Staaten bei einem Ministertreffen in zehn Tagen öffentlich hinter die Kommission stellen und ein «Signal der Einheit» nach Bern senden werden. Drei Hauptbotschaften sollen ankommen: Erstens soll sich die Schweiz an das in den Vorgesprächen vereinbarte «Gemeinsame Verständnis» halten, wo von einer Schutzklausel nirgends die Rede sei. Zweitens sollen die Verhandlungen bis Ende Jahr abgeschlossen sein. Und Drittens müsse Bern einem verbindlichen Mechanismus für künftige Kohäsionszahlungen zustimmen.
Auf Widerstand stösst die Schutzklausel vor allem wegen der vom Bundesrat geforderten «Einseitigkeit». Dass die Schweiz bei vermeintlich negativen Begleiterscheinungen die Freizügigkeit einschränken könnte, ohne sich mit der EU abzusprechen, ist für Brüssel ein «No-Go». Auch eine Zuwanderungsobergrenze oder sonstige mengenmässige Beschränkungen wird es mit der EU-Kommission nicht geben. In informellen Gesprächen heisst es stets, dass man bei der Personenfreizügigkeit der Schweiz schon viele Ausnahmen zugestehe und mit dem neuen Abkommen auch zusätzliche Ausnahmen schaffe. Noch mehr liege nicht drin.
Aber eigentlich war das schon länger klar. Schon im März erteilte der für die Schweiz zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic im Interview mit der NZZ einer Schutzklausel eine Absage. Von EU-Beamten war gleichzeitig zu hören, man hätte ab 2014 im Nachgang zur Masseneinwanderungsinitiative (MEI) schon achtzehn Monate ergebnislos über eine «Schutzklausel» verhandelt. Eine Neuauflage würde nichts bringen. Trotzdem liess sich auch die EU auf eine Diskussion ein. In der Schweizer Öffentlichkeit entstand unterdessen eine immer grössere Erwartungshaltung, die vom Bundesrat auch nie korrigiert wurde.
Kampflos aufgeben will die Schweiz aber auch nicht. Im Gegenteil: Bundespräsidentin Viola Amherd habe bei ihrem Treffen mit Ursula von der Leyen in Genf dem Vernehmen nach erneut betont, wie wichtig eine Schutzklausel für die Landesregierung weiterhin sei. Und offenbar hat auch Brüssel die Tür noch nicht ganz zugemacht. Die entsprechenden Gespräche sollen jedenfalls weitergehen.
Zu erwarten ist, dass das Thema der Verhandlungsdramaturgie folgend in der finalen Schlussrunde nochmals auf die oberste politische Ebene gehievt wird. Denn eines ist klar: Ohne Einigung bei der Personenfreizügigkeit wird es keine neuen Abkommen geben. Da sind sich die Schweiz und die EU für einmal sehr einig. (aargauerzeitung.ch)