Es geht auf die Zielgerade in den Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel über die Modernisierung der bilateralen Abkommen. In manchen Bereichen wurden schon grosse Fortschritte erzielt. Zum Beispiel bei den institutionellen Mechanismen wie dynamische Rechtsübernahme und Streitschlichtung. An anderer Stelle ist man noch mittendrin im Feilschen um Kompromisse und Lösungen.
Zum Beispiel bei der Personenfreizügigkeit. Genauer: der vom Bundesrat geforderten Schutzklausel, die die Schweiz anwenden möchte, wenn die Zuwanderung aus der EU aus dem Ruder läuft.
Die EU-Kommission hat wenig Interesse, der Schweiz hier entgegenzukommen. Erst nach langem Zähneknirschen hat sie sich überhaupt auf eine Diskussion eingelassen. Brüssels Argument: Von einer Schutzklausel war im «Gemeinsamen Verständnis», auf das man sich nach langen Vorgesprächen schriftlich geeinigt hatte, keine Rede. Die Schweiz bringe mit ihrer neuen Forderung das erarbeitete Gleichgewicht durcheinander.
Das sieht auch Frankreich so – trotz der politischen Turbulenzen in Paris noch immer ein entscheidender Player in Brüssel. Am Montag sagte Frankreich im mächtigen Ausschuss der EU-Botschafter, dass man gegen eine Einigung bis Ende 2024 sei, wenn sich die Schweiz nicht an das vorbesprochene gemeinsame Verständnis halte.
Eine Ankündigung mit Folgen: Schliessen die Verhandler beider Seiten nicht bis Ende Jahr ab – im Fachjargon «paraphieren» – fliegen die Schweizer Unis wieder aus dem EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe». Konkret können sich Schweizer Forscherinnen und Forscher dann nicht mehr auf die grossen Horizon-Ausschreibungen des Jahres 2025 bewerben, welche im Januar und Februar starten. So wurde es im schriftlichen «Gemeinsamen Verständnis» vereinbart. Dazu sagt ein EU-Diplomat: «Es gibt eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten, die sich für eine rasche Einigung und einen vollen Zugang der Schweiz zu Horizon einsetzen würden. Aber die Schweizer Haltung, besonders im Bereich der Personenfreizügigkeit, macht es sehr schwierig im Moment.»
Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Frage ist, ob sie der Schweiz gefallen.
Dem Vernehmen nach hat die EU-Kommission als Gegenforderung zum Schweizer Wunsch nach der Schutzklausel die sogenannte «Studentenfreizügigkeit» auf den Tisch gebracht. Sie besagt, dass EU-Studenten und Schweizer-Studenten grundsätzlich gleichbehandelt werden müssen, was den Zugang zu den Universitäten angeht. Eines der Probleme dabei ist die Anerkennung der europäischen Maturitätszeugnisse. In Europa ist nicht nur das Niveau der Maturität nicht überall gleich hoch. Sondern die Reifeprüfung ist zum Teil auch ganz unterschiedlich aufgebaut, was die Vergleichbarkeit erschwert. Die Schweizer Verhandler befürchten, dass mit einem Freipass für die EU-Studenten der Stellenwert der hiesigen Maturität abgesenkt würde.
Zudem ist das Thema politisch brisant: Erst kürzlich haben die eidgenössisch technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne entschieden, die Studiengebühren für Ausländer zu erhöhen. Angesichts der stetig steigenden Studierendenzahlen aus der EU und den knappen Ressourcen ist der Druck aus der Politik hoch, hier die Schraube noch weiter anzuziehen.
Fazit: Es geht zwar vorwärts in den Verhandlungen mit der EU. Ob die harten Nüsse aber bis Ende Jahre zu knacken sein werden, bleibt fraglich. Schliesslich gibt nicht nur die Schutzklausel, sondern auch noch das Elektrizitätsabkommen und die Frage nach dem Schweizer Kohäsionsbeitrag, die aktuell Kopfzerbrechen bereiten.
Am Rande des 70-Jahre Jubiläums des Kernforschungszentrums Cern in Genf traf sich Bundespräsidentin Viola Amherd am Dienstag mit der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Diese bekräftigte danach die Absicht, «die Gespräche bis Ende 2024 abzuschliessen». Auch wenn noch viel Arbeit zu tun bleibe – wohl wahr. (aargauerzeitung.ch)