Angesichts der seit Monaten laufenden Proteste dürfte Fussball im Iran zurzeit nicht die oberste Priorität haben. Trotzdem: Der Sport hat im Land einen hohen Stellenwert.
Und vor dem ersten WM-Spiel des Irans gegen England werden die Stimmen lauter, die auch von der Nationalmannschaft deutliche Gesten der Unterstützung für die heimischen Proteste fordern. Schliesslich gibt es kaum eine bessere Bühne für ein Anliegen als eine Fussballweltmeisterschaft.
Der Druck auf die Nationalmannschaft wirkt deshalb gross. Irans Stürmer Alireza Jahanbakhsh steht bei vielen Fans bereits in der Kritik. Vor dem Abflug nach Katar posierte er für Fotos mit dem konservativen Präsidenten Ebrahim Raisi. Auch die englischen Medien sprachen die Spieler des Irans vor dem Spiel auf mögliche Proteste an. Am Freitag weigerten sich die Spieler Karim Ansarifard und Morteza Pouraliganji, Fragen zu den Protesten zu beantworten. Andere wie Jahanbakhsh reagierten sichtlich genervt:
Allerdings: Die Spieler, welche die Proteste im Heimatland befürworten oder unterstützen, scheinen in der Mehrheit zu sein. Der iranische oppositionelle Sportjournalist Mehdi Rostampour sagte kürzlich gegenüber ARD: «Ich kann mit Sicherheit sagen, dass unter den Spielern der Nationalmannschaft, abgesehen von zwei oder drei, die auf der Seite der Regierung stehen, der Rest mit dem Volk sympathisiert.»
IMPORTANT 🇮🇷 Ahead of their game against England, Iran’s captain Ehsan Hajsafi becomes the first Iranian player to speak out in support of women’s rights protesters in his home country, expressing condolences to families who’ve lost loved ones.pic.twitter.com/iyOiZ9cikl
— Men in Blazers (@MenInBlazers) November 21, 2022
Dieses Bild bestätigen auch englische Medien. Kapitän Ehsan Hajsafi erklärte demnach, dass er auf der Seite der Demonstrierenden stehe. Vor dem Spiel gegen England sagte er:
Irans Trainer, der Portugiese Carlos Queiroz, früherer Co-Trainer bei Manchester United, hat bereits erklärt, dass es seinen Spielern freisteht, bei der Weltmeisterschaft zu protestieren: «Jeder hat das Recht, sich zu äussern.»
Der iranische Nationalspieler Sardar Azmoun ist Spieler bei Bayer Leverkusen und dürfte auch vielen Fussballfans in Europa ein Begriff sein. Auch er riskierte bereits vor der WM einiges, darunter seine Teilnahme am Turnier. Mitte September stellte sich Azmoun auf Instagram öffentlich und klar hinter die protestierenden Frauen:
Azmoun löschte den Post kurz darauf wieder. Zu seinem Glück kann der Nationalspieler aber trotz des öffentlichen Protests in Katar mittun und wurde in das Kader aufgenommen.
Der iranische Fussballjournalist Sina Saemian ist denn auch davon überzeugt, dass die iranischen Spieler die Proteste mehrheitlich unterstützen. Die Spieler hätten schon im Testspiel gegen Senegal ihre Meinung kundgetan. So hätten einige von ihnen sich geweigert, die iranische Nationalhymne zu Beginn des Spiels zu singen. «Sie haben mit Gesten gezeigt, auf welcher Seite sie stehen. Aber ich denke, dass die Frustration einiger Teile der Demonstranten darin besteht, dass dies nicht genug ist», so Saemian gegenüber Sky Sports.
Nicht nur die Spieler, auch die iranischen Fans wollen am Spiel gegen England aktive Statements setzen. Gemäss ARD gibt es einen Aufruf, wonach die Zuschauer im Stadion in der 22. Spielminute den Namen von Mahsa Amini rufen sollen. Der Tod der 22-jährigen Iranerin Mitte September war der Auslöser für die Proteste.
Wie das ZDF berichtet, wollen an diesen Protestaktionen auch englische Fans teilnehmen. Das Auftaktspiel des Irans gegen England ist nämlich auch deshalb brisant, weil in England eine grosse iranische Gemeinschaft lebt. So protestieren viele Exil-Iraner an Orten wie im Londoner Hyde Park regelmässig gegen das iranische Regime.
Iran wird in der Gruppenphase neben England auch gegen Wales und die USA spielen. Angesichts der historischen Feindschaft zwischen den USA und der Islamischen Republik wird zumindest auch dieses Spiel von hoher sportpolitischer Brisanz sein. (lak)