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Das erste Spiel des Irans: Was haben Nationalmannschaft und Fans vor?

England-Iran am Montag: Werden die Fans ein Zeichen setzen?
Die iranische Nationalmannschaft bestreitet ihr erstes Spiel an der WM während turbulenten Zeiten.Bild: keystone/watson

Das erste Spiel des Irans: Was haben Nationalmannschaft und Fans vor?

Heute Nachmittag (14 Uhr) spielt der Iran an der WM in Katar gegen England. Vor dem Spiel fragen sich viele: Finden die Proteste im Land auch ihren Weg in das Khalifa International Stadium in Doha?
21.11.2022, 10:1721.11.2022, 14:29
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Angesichts der seit Monaten laufenden Proteste dürfte Fussball im Iran zurzeit nicht die oberste Priorität haben. Trotzdem: Der Sport hat im Land einen hohen Stellenwert.

Und vor dem ersten WM-Spiel des Irans gegen England werden die Stimmen lauter, die auch von der Nationalmannschaft deutliche Gesten der Unterstützung für die heimischen Proteste fordern. Schliesslich gibt es kaum eine bessere Bühne für ein Anliegen als eine Fussballweltmeisterschaft.

Erwartungen ans Nationalteam

Der Druck auf die Nationalmannschaft wirkt deshalb gross. Irans Stürmer Alireza Jahanbakhsh steht bei vielen Fans bereits in der Kritik. Vor dem Abflug nach Katar posierte er für Fotos mit dem konservativen Präsidenten Ebrahim Raisi. Auch die englischen Medien sprachen die Spieler des Irans vor dem Spiel auf mögliche Proteste an. Am Freitag weigerten sich die Spieler Karim Ansarifard und Morteza Pouraliganji, Fragen zu den Protesten zu beantworten. Andere wie Jahanbakhsh reagierten sichtlich genervt:

«Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, ob diese Frage aufgetaucht wäre, wenn England nicht in unserer Gruppe wäre. Und zweitens werden wir schon seit einigen Wochen von den englischen Medien damit konfrontiert – das war die ganze Zeit in den Schlagzeilen, während wir uns der Weltmeisterschaft nähern, was auch immer der Grund dafür ist.»
Alireza Jahanbakhsh, Stürmer der iranischen Nationalmannschaft

Allerdings: Die Spieler, welche die Proteste im Heimatland befürworten oder unterstützen, scheinen in der Mehrheit zu sein. Der iranische oppositionelle Sportjournalist Mehdi Rostampour sagte kürzlich gegenüber ARD: «Ich kann mit Sicherheit sagen, dass unter den Spielern der Nationalmannschaft, abgesehen von zwei oder drei, die auf der Seite der Regierung stehen, der Rest mit dem Volk sympathisiert.»

Dieses Bild bestätigen auch englische Medien. Kapitän Ehsan Hajsafi erklärte demnach, dass er auf der Seite der Demonstrierenden stehe. Vor dem Spiel gegen England sagte er:

«Sie sollen wissen, dass wir bei ihnen sind. Und wir unterstützen sie. Und wir sympathisieren mit ihnen, was die Bedingungen angeht. Wir müssen akzeptieren, dass die Bedingungen in unserem Land nicht stimmen und unsere Leute nicht glücklich sind. Wir sind hier, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht ihre Stimme sein sollten oder sie nicht respektieren sollten.»
Ehsan Hajsafi, Kapitän der iranischen Nationalmannschaft
epa10316123 Iran player Ehsan Hajisafi attends a press conference at the Qatar National Convention Center (QNCC) in Doha, Qatar, 20 November 2022. Iran will face England in their first group B match o ...
Ehsan Hajsafi an einer Pressekonferenz in Doha am Sonntag, 20. November.Bild: keystone

Irans Trainer, der Portugiese Carlos Queiroz, früherer Co-Trainer bei Manchester United, hat bereits erklärt, dass es seinen Spielern freisteht, bei der Weltmeisterschaft zu protestieren: «Jeder hat das Recht, sich zu äussern.»

Der iranische Nationalspieler Sardar Azmoun ist Spieler bei Bayer Leverkusen und dürfte auch vielen Fussballfans in Europa ein Begriff sein. Auch er riskierte bereits vor der WM einiges, darunter seine Teilnahme am Turnier. Mitte September stellte sich Azmoun auf Instagram öffentlich und klar hinter die protestierenden Frauen:

«Wegen der Regeln der Nationalmannschaft durften wir bis zum Abschluss unseres Trainingslagers nichts sagen, aber ich kann kein Schweigen mehr ertragen. Schmeisst mich raus. Wenn dadurch ein Haar einer iranischen Frau gerettet wird, hat es sich gelohnt. Schämt euch, die ihr Menschen so leicht tötet. Lang leben die iranischen Frauen.»
Sardar Azmoun auf Instagram

Azmoun löschte den Post kurz darauf wieder. Zu seinem Glück kann der Nationalspieler aber trotz des öffentlichen Protests in Katar mittun und wurde in das Kader aufgenommen.

Der iranische Fussballjournalist Sina Saemian ist denn auch davon überzeugt, dass die iranischen Spieler die Proteste mehrheitlich unterstützen. Die Spieler hätten schon im Testspiel gegen Senegal ihre Meinung kundgetan. So hätten einige von ihnen sich geweigert, die iranische Nationalhymne zu Beginn des Spiels zu singen. «Sie haben mit Gesten gezeigt, auf welcher Seite sie stehen. Aber ich denke, dass die Frustration einiger Teile der Demonstranten darin besteht, dass dies nicht genug ist», so Saemian gegenüber Sky Sports.

Proteste der Fans?

Nicht nur die Spieler, auch die iranischen Fans wollen am Spiel gegen England aktive Statements setzen. Gemäss ARD gibt es einen Aufruf, wonach die Zuschauer im Stadion in der 22. Spielminute den Namen von Mahsa Amini rufen sollen. Der Tod der 22-jährigen Iranerin Mitte September war der Auslöser für die Proteste.

Wie das ZDF berichtet, wollen an diesen Protestaktionen auch englische Fans teilnehmen. Das Auftaktspiel des Irans gegen England ist nämlich auch deshalb brisant, weil in England eine grosse iranische Gemeinschaft lebt. So protestieren viele Exil-Iraner an Orten wie im Londoner Hyde Park regelmässig gegen das iranische Regime.

Iran wird in der Gruppenphase neben England auch gegen Wales und die USA spielen. Angesichts der historischen Feindschaft zwischen den USA und der Islamischen Republik wird zumindest auch dieses Spiel von hoher sportpolitischer Brisanz sein. (lak)

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Die Gesichter des Protestes gegen das Regime in Iran
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Der Auslöser für die Proteste war der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini. Die 22-Jährige starb wohl, weil sie ihr Kopftuch nicht so getragen hatte, wie die iranischen Mullahs und das iranische Gesetz es für Frauen vorsehen. Die genauen Umstände ihres Todes sind noch unklar. Amini wurde zu einer Ikone im Kampf für Freiheit.
quelle: keystone / abedin taherkenareh
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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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BB1899
21.11.2022 11:21registriert Mai 2015
Als Schweiz-Iraner habe ich heute grosse Erwartungen an die Spieler und hoffe, dass die grosse Mehrheit (ausser die regimetreuen Spieler Amiri und Torabi) ein Zeichen setzt! ❤️ Schade war Azmoun die letzten Monate verletzt, aber ich hoffe auf ein Wunder, dass er heute auflaufen und treffen kann und es mit seinem Torjubel den Mullahs zeigt!
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